50 Jahre nach dem Pogrom ‚Mich wundert, daß überhaupt jemand gekommen ist‘

Die Wahl des Bundespräsidenten Dr. Kurt Waldheim und das Gedenkjahr 1988 haben die Geschichte Osterreichs zu einer aktuellen, tagespolitischen Frage werden lassen. Im folgenden seien Ausschnitte aus den Briefen ehemaliger Kremser an den Verfasser zitiert, um der tiefen Betroffenheit und den Befürchtungen der Opfer jenen gebührenden Platz einzuräumen, den die Republik ihnen bis heute – sieht man von Sonntagsreden ab – verwehrt hat.

 

Kurt Hruby (Paris)
21. Dezember 1988
„‚Krems und die Kristallnacht‘. Ich finde, Ihre Gruppe hat viel Mut, um aus diesem Anlaß gerade dort etwas zu unternehmen, wo man doch eindeutig den Wunsch hat, das alles möglichst dem Vergessen anheimfallen zu lassen. Mich wundert wirklich, daß überhaupt jemand gekommen ist. Übrigens fand ja der ‚kleine Pogrom‘ in Krems schon im Juni statt, anläßlich der Sudetenkrise, als man die Inneneinrichtung der Synagoge zerstörte, um angeblich Platz für die Unterbringung der Sudetenflüchtlinge zu schaffen. Und da die Synagoge schon ‚geleert‘ war, ist sie auch baulich erhalten geblieben, bis sie dann die Kultusgemeinde Wien vor Jahren auf Abbruch verkaufte. Nachher mußte ja, wie Sie wissen, ein Prozeß geführt werden, weil sich der Besitzer des Nachfolgehauses weigerte, eine Gedenktafel anbringen zu lassen, die dann im Inneren des Hauses ihren Platz fand. Das liegt ganz im Sinne dieses Verdrängens. Diese (…) Fabers von der ‚Landzeitung‘ haben ja schon Jahre vorher immer wieder darauf hingewiesen, daß die ‚Synagogenruine‘ (die ja gar keine war, zumindest baulich nicht) eine Gefahr für die Vorübergehenden darstelle. Nun, das ist ja alles Vergangenheit und die Leute, die mit diesen Ereignissen persönlich zu tun hatten, werden immer weniger.“

 

5.12.1989
„Was die von Ihnen angeregte Errichtung eines bescheidenen Denkmals am jüdischen Friedhof in Krems anbetrifft, so denke auch ich, daß Sie bei den Zuständigen auf wenig Verständnis und noch weniger guten Willen stoßen wird. Erstens erinnert man sich nicht gern an das, was unter den Nazis mit den Juden geschehen ist – übrigens bin ich überzeugt, daß viele Menschen auch heute noch dieses Geschehen billigen, denn in unserer scheinbar ‚zivilisierten‘ Welt leben ja alle Vorurteile lustig weiter – und dann fühlt sich ja die heutige Generation ’nicht betroffen‘. Ich will Ihnen natürlich gerne ein Schreiben an die Stadtverwaltung Krems schicken, nur möchte ich ungefähr wissen, wieviele Kremser Juden direkt Opfer der Verfolgungswelle geworden sind. Da Sie sich ja im Detail mit den Einzelschicksalen beschäftigt haben, können sie mir gewiß darüber Auskunft geben.“

 

Esra Cohen (Israel)
5.12.1988
„Die Tatsache, daß die gemütlichen und lebensfreudigen Österreicher den Dr. Kurt Waldheim als Präsidenten haben wollten, beweist, daß die Nazis eine üble Erbschaft hinterlassen haben. Ich und viele andere können bis heute nicht begreifen, daß dieser Mann zehn Jahre UNO Generalsekretär war, obwohl er (…). Das ist eine der Schattenseiten der herkömmlichen Diplomatie. Daß man moralische Grundsätze politischen Interessen opfert. Es freut mich, daß Sie Sinnesgenossen in Krems fanden, um diese Mahnwache zu demonstrieren und ich wundere mich, daß dieses Ereignis ungestört verlaufen ist, denn der Antisemitismus schwelt weiter fast in der ganzen Welt und es braucht bloß ein Mann daherzukommen, der das Feuer entfacht. Man beschuldigt die Judenheit, daß Jesus ans Kreuz geschlagen wurde. Aber die Greueltaten, die man in der Welt in seinem Namen beging und noch immer begeht, kreuzigen ihn noch täglich. Und die diversen Religionskriege im Mittelalter? Was macht der Papst, der Vertreter Gottes auf Erden? Ist er in Irland zufrieden mit seinen Schafen? Ich schließe jetzt, denn sonst müßte ich noch über die vergangenen Wahlen für unser Parlament und die politischen Verhältnisse, die schon vorhanden sind, die sich nach den Wahlen entwickeln werden, mit der Aufstellung der neuen Regierung, schreiben. Ich und viele andere finden sich da nicht zurecht und müssen abwarten, wie sich unsere Politiker der verschiedenen Parteien einen Modus vivendi schaffen, der es ermöglicht, allen Beteiligten die verschiedenen Programme auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Als Sie in Krems waren wegen dieser Mahnwache, haben Sie vielleicht meinen Bruder getroffen? Es wäre mir sehr interessant zu wissen, wie sich die österreichische Zeitung über das jetzige Israel ausdrückt. Ich schicke Ihnen eine kleine Kostprobe von unseren süßen Datteln und wünsche Ihnen frohe Weihnachten und ein gutes Neues Jahr.

„ICH KÖNNTE WEINEN ÜBER MEIN WARMHERZIGES LAND“

Anna Lambert (Großbritannien)
25.10.1987
„Wie die Österreicher den Waldheim so jubelnd wählen konnten, zeigt, daß in Österreich noch viele Nazis in wichtigen Positionen sind und das Land sehr von den Nazis beeinflußt ist. Ich könnte weinen über mein ehemalig so schönes und warmherziges Land.“

1.3.1988
„Ich habe vor mir zwei Briefe und schäme mich einzugestehen, daß ich nicht sicher weiß, ob ich den ersten beantwortet habe oder nicht. Der Monat war sehr häßlich zu mir, auch war ich ein paar Tage im Spital, um einen neuen Schrittmacher eingesetzt zu bekommen, weil der bisherige bereits fünf Jahre alt war und das ist die durchschnittliche Arbeitslänge dieser kleinen Maschine. Februar konnte ich nie leiden, aber dieses Jahr war es der Gipfel von Untaten. Was unrichtig war, war unrichtig, was schlecht ausfallen konnte, fiel schlecht aus und das Wetter war abscheulich. Meine Schreibmaschine streikte und meine Finger waren so steif und unwillig, das jeder Versuch voll Fehler ist. Mit der Hand ist das

weg S 190:

Anna Lambert mit ihrem Sohn Kurt Binnis auf Besuch
bei ihrem Bruder Johann Kohn in Krems 1990

Schreiben ganz unmöglich, weil es einfach unmöglich zu lesen ist. Sogar für mich. Wenn ich einkaufen gehe, muß ich die jeweiligen Schecks bei the Geschäftsassistenten schreiben lassen und ich leide unter diesen Erniedrigungen. Österreich hat leider inzwischen seinen guten Ruf verloren und hat sich bei der Wahl des (…) Waldheim sehr beschmutzt. Ich kann nur nicht verstehen, wie es jemals möglich war, und wie er seinen Platz erreicht hat. Die Israelis waren so geschickt in der Auffindung dieser Verbrecher und holten sie von der anderen Seite der Welt und jetzt dieser Mensch muß ja unter ihnen gelebt haben und jetzt, sie sind nicht aufgewacht zu seiner Vergangen-heit bis es viel zu spät war und auch jetzt noch haben sie nichts 100-prozentig erreicht. Vor kurzem hörte ich mit den Fernsehnachrichten, daß nun auch die Anhänger sagen, Österreich kann es sich nicht leisten, ihn als Bundespräsidenten zu haben. Aber warum sind die Israelis so stumm? Natürlich, die haben ja jetzt schreckliche Sorgen und leben unter einer dunklen Wolke, mit den Gewalttaten einiger Soldaten. Aber die haben ja den Rücken zur Wand und nirgends wo zu gehen und die PLO natürlich will sie unbedingt von dort vertreiben … (…) Wenn sie mir ehrenwörtlich versprechen,daß Sie mir die Skripten bald wieder zurück-schicken und sie inzwischen gut aufbewahren, so lege ich es halt bei, aber es wird ja von keiner historischen Bedeutung sein. Vergessen Sie nicht, daß ich in ein paar Monaten 81 Jahre alt sein werde und es mir nicht mehr möglich wäre, diese History von meiner Kindheit zu wiederholen, und ich wollte, daß meine Kinder und Enkelkinder, wenn sie reif genug sind, lernen sollen, was für eine Kindheit ich verbrachte und wie verschieden sie ist von deren Kindheit.“

IST EIN „JUDENFREIES“ KREMS BESSER?

Malvine Rosengarten (USA)
11.12.1987
„Ich sprach mit einigen Leuten, die meinen Vater kannten, aber denen war es so unange-nehm, daß sie mich einfach stehen ließen und mich in keiner Weise freundlich aufnahmen. Bei meinem ersten Besuch kamen mein Mann und ich im Parkhotel an, und im Restaurant hörte ich, wie jemand den Herrn Bürgermeister Thorwesten begrüßte. Ich stellte mich vor und sagte, daß ich nach 40 Jahren in meine Heimatstadt zurückgekommen sei und ob er sich an meine Eltern erinnere. Leider war es ihm so unangenehm, er murmelte nur etwas und verließ fluchtartig das Restaurant. Ich bin überzeugt, daß es viele anständige Menschen in Krems gibt, aber da ich kaum glaube, jemals zurückzukommen, muß ich es dabei bleiben lassen. Aber, wie gesagt, Sie wollen nur von der Vergangenheit wissen, ich wünschte ich könnte hören, was die Kremser, die in den Hitlerjahren und vorher dort lebten, über diese schreckliche Zeit, jedenfalls über die Kremser Juden, zu sagen haben und besonders, ob sie denken, daß es besser sei, ein judenreines Krems zu haben.“

8.4.1988
„(…) So will ich Ihnen leider wegen eines Besuches bei uns absagen. Wir könnten die Aufregungen bei diesem Besuch nicht verkraften. Man würde dann nur davon sprechen was gewesen ist und was heute noch in Österreich los ist. Wir leben hier so in Frieden und hören nie etwas antisemitisches, und da wir beide schon 65 Jahre alt sind, ist es gar nicht wichtig, was sich in Österreich oder in Krems tut. Unsere Kinder haben kein Interesse daran, sprechen nicht einmal deutsch und für uns alte Leute ist es ganz egal, was die Nazis wieder anfangen.

BERÜHRT VOM GEDENKEN

Peter B. Neubauer (USA)
5.12.1988
„Thank you so much for keeping me informed.1 was very touched by your description of the memorial service, if one can call it that; and at the saure time disappointed and angry. Krems still doesn’t seem to be a lively town in which the review of the past offers a new future.“

„HOFFENTLICH HABEN DIE KREMSER NAZI GEBÜHREND GEFEIERT“

Alfred Silbermann
November 1988
„Jetzt war 50 Jahre `Kristallnacht‘. Hoffentlich haben die Kremser Nazis das gebührend gefeiert. Ein Monat später kam der letzte Brief von meiner Mutter, wo sie schrieb, wie diese Verbrecher ins Haus gestürmt sind und alle Fenster zerschlagen haben und am nächsten Tag kam der Glaser, ein Nazi, und hat neue Scheiben gestellt und eine große Rechnung gegeben. Als ob meine Mutter geahnt hätte, schrieb sie mir: Die werden uns noch alle ermorden.

14.12.1988
„Also ich hoffe, Du bist gesund und gehst fleißig ins Theater. After all everyone needs a distraction. Ich staune, daß 50 Menschen erschienen sind. Wahrscheinlich waren es damals wenigstens 300. Daß die nicht einmal eine kleine Marmor- oder Metallgedenkplatte montiert haben, wundert mich nicht. Die brauchen doch nur schreiben: Hier war die Synagoge von der Jüdischen Gemeinde Krems (von 1650-1938). Aber ich erinnere mich, in dem kleinen Gäßchen vom Hotel Weiße Rose (Landstraße zu Theaterplatz) haben sie auch erst nach 200 Jahren im Jahre 1928 eine Gedenkplatte für Franz Liszt montiert. Also vielleicht für die Juden nach 2000. Aber ich stelle mir vor, ein Kriegerdenkmal haben sie aufgestellt, wo sie alle am 12. November hinhatschen. Alle Veteranen, ein paar Geistliche, natürlich alle Offiziere mit allen Hundsmarken, das Bürgertum und der andere faschistische Dreck. Nachher wird gesoffen und von den „Heldentoten“ gesprochen. Dann, schreib mir bitte, was hat Hruby erzählt. Ich habe einmal im Sommerhäuschen seiner Eltern etliche Reparaturen gemacht und bei der Gelegenheit mit ihm gesprochen.“

weg S 192:

Die Kremser in Israel
1. Reihe: Trude Pisker, Alice Bader (geb. Kohn),
Miriam Karpfen (geb. Wasservogel), Frau von Fritz Karpfen,
Grete Kolb, Erna Wasservogel, Rudolf Wasservogel,
(?), Steffi Nemschitz
2. Reihe: Fritz Nemschitz (4. v.l.), Edith Nemschitz
(Frau von Fritz N.), Olly Salzmann (geb. Nemschitz),
Dora Nemschitz, (Frau von Abraham/Hardy N.),
Hanna Karpfen (Frau von Kurt Karpfen), Hilde Kohn
(Frau von Robert Kohn)
3. Reihe: Robert Kohn, Fritz Karpfen, (?), Abraham Nemschitz,
Kurt Karpfen