Gabriele Anderl: ‚Entweder ihr verschwindet über die Donau, oder in der Donau‘ Die Flucht österreichischer Juden nach Palästina

Josef Nemschitz aus Krems war einer der mehr als 3.500 jüdischen Flüchtlinge aus Österreich, Deutschland, Danzig und dem „Protektorat Böhmen und Mähren“, die mit dem von Berthold Storfer organisierten großen Flüchtlingstransport nach Palästina im Herbst 1940 den Fängen der Nationalsozialisten entkamen. Es war der letzte derartige Transport aus dem „Reichsgebiet“ vor dem offiziellen Auswanderungsstop im Herbst 1941. Mit dem deutschen Überfall auf den Balkan im Frühjahr 1941 waren die letzten gangbaren Verkehrswege abgeschnitten. Nach dem Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion im Juni 1941 eröffneten sich für die Nationalsozialisten neue Möglichkeiten der „Lösung der Judenfrage“, die Weichen wurden auf Vernichtung umgestellt. Vor 1941 jedoch, als durch die nationalsozialistische Vertreibungspolitik ein Entkommen noch möglich war, hatte die „freie“ Welt immer hermetischer ihre Tore vor den andrängenden jüdischen Flüchtlingsscharen verschlossen. War Großbritannien bis Kriegsbeginn noch vergleichsweise großzügig bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus dem deutschen Machtbereich, so betrieb es in seinem Mandatsgebiet Palästina eine äußerst restriktive Politik. Noch vor der formalen Übernahme des Mandates hatten sich die Briten 1917 in der „Balfour-Deklaration“ zur Förderung der Errichtung einer nationalen jüdischen Heim-stätte in Palästina verpflichtet. Zwischen 1918 und 1939 wuchs die jüdische Bevölkerung Palästinas von 56.000 auf 475.000. Allein in den Jahren 1933 bis 1939 kamen insgesamt 215.232 neue Einwanderer ins Land, hauptsächlich aus den Gebieten des Deutschen Reiches und aus Polen. In Palästina wurden die Briten auf viel dramatischere Weise als in Großbritannien selbst mit den Folgen des Massenexodus der Juden aus Mittel- und Osteuropa konfrontiert. 1936 reagierte die arabische Bevölkerung mit einem halbjährigen Generalstreik. Nach der Veröffentlichung der Vorschläge der britischen „Peel-Kommis-sion“ zur Teilung des Landes in zwei souveräne Staaten, einen jüdischen und einen arabischen, begannen anhaltende und blutige Aufstände. Die Araber forderten das Ende der jüdischen Einwanderung und ein Verbot des Landverkaufs an Juden. Die Briten ließen den Teilungsplan fallen und schlugen die Aufstände nieder. Das im Mai 1939 veröffent-lichte „Weißbuch“ blieb für die Dauer des Krieges die formale Basis der britischen Politik in Palästina. Es bedeutete eine Absage an die in der Balfour-Deklaration enthaltenen Grundsätze, indem es drastische Beschränkungen des Landverkaufs an Juden ankündigte (die im Februar 1940 offiziell inkraft gesetzt wurden) und vor allem – in indirekter Form – das Ende der jüdischen Einwanderung ankündigte. Die Einwanderung sollte nämlich von der Zustimmung der Araber abhängig gemacht werden, wobei für eine Übergangsfrist für die kommenden fünf Jahre eine Gesamteinwanderungsquote von insgesamt höchstens 75.000 neuen Immigranten festgelegt wurde. Für die Zionisten bedeutete diese Neurege lung einen vernichtenden Schlag, der noch dazu in der Stunde der äußersten Bedrängnis des europäischen Judentums kam. Durch diese Situation gewann die illegale Einwande rung, die „Alija Bet“r, die sich über die restriktive Gesetzgebung der Mandatsmacht hin wegsetzte, verstärkt an Bedeutung. Bereits Mitte der dreißiger Jahre hatte es einige Versuche gegeben, Juden auf Schiffer illegal ins Land zu bringen. Nach dem „Anschluß“ Österreichs nahmen die illegaler Transporte bald das Ausmaß einer Massenfluchtbewegung an. Von 1938 bis Kriegsaus bruch im September 1939 kamen 17.240 illegale Einwanderer nach Palästina – das wag fast die Hälfte der jüdischen Gesamteinwanderung in diesem Zeitraum? Einer der erster und aktivsten Organisatoren solcher Transporte war der Wiener Rechtsanwalt Dr. Will3 Perl, der zunächst von seinem Büro am Wiener Stubenring, später vom Ausland aus illegale Schiffe für insgesamt Tausende Flüchtlinge organisierte.‘ Ab der Jahreswende 1938/9 begann auch der zu diesem Zweck gegründete „Mossad le Alija Bet“, der der zionistischen Arbeiterbewegung und dem Hechaluz^ nahestand illegale Transporte zu organisieren. Innerhalb des linkszionistischen Lagers und der vor der Arbeiterpartei dominierten Jewish Agency, der offiziellen jüdischen Repräsentanz ir Palästina, mußten zunächst große Widerstände gegen diese Methode überwunden wer-den. Sie waren, wie sich herausstellen sollte, auch zum Zeitpunkt des Storfer-Transporte: noch keineswegs beseitigt. Ein berühmter Vertreter der zionistischen Arbeiterbewegung in Palästina, David Ben-Gurion, brachte die paradoxe Situation der Zionisten nach Kriegsbeginn auf eine Formel: man sollte mit den Briten gegen Hitler kämpfen, als gäbe es kein Weißbuch, und zugleich gegen das Weißbuch kämpfen, als gäbe es keinen Krieg. Prononcierte Gegner der illegalen Einwanderung setzten auf eine Verständigung mit den Briten und wollten jegliche Provokation vermeiden. Sie plädierten für eine kompromiß-lose Unterstützung Großbritanniens, das sich zu dieser Zeit allein gegen Nazideutschland im Krieg befand. Da der Verlauf des Krieges für das gesamte europäische Judentum von entscheidender Bedeutung war, sollte jegliche Schwächung der britischen Position vermieden werden. Viele Zionisten bemühten sich um die Aufnahme von Juden, sowohl aus Palästina wie aus der Diaspora, in die britischen Streitkräfte. Dies war eine Möglich-keit, sich aktiv am Kampf gegen Hitler zu beteiligen, und ließ außerdem hoffen, daß die Briten nach Kriegsende als Dank zu einer großzügigeren Einwanderungspolitik überge-hen würden. Chaim Weizmann, der Präsident der zionistischen Weltorganisation, war einer der entschiedensten Gegner der illegalen Alija, sah er doch darin eine Gefährdung seiner Bemühungen um die Schaffung einer eigenen jüdischen Einheit innerhalb der britischen Streitkräfte. Die ersten Transporte nach dem „Anschluß“ waren über verschiedene Adriahäfen abgefertigt worden. Zur Umgehung der wachsenden Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Transitvisa durch Italien und Jugoslawien wurde ab Herbst 1938 für die meisten Fahrten die Donau als internationaler Wasserweg benutzt. Im allgemeinen wurden die Flüchtlinge mit Linienschiffen der DDSG zur Donaumündung transportiert und dort auf Hochseedampfer umgeschifft. Obwohl die Behörden der Transitländer weitgehend über das wahre Ziel der Reise informiert waren, mußten zur Wahrung der Form fiktive Endvisa, meist für lateinamerikanische Länder, zu hohen Preisen von bestechlichen Konsularbeamten gekauft werden. Die Organisatoren der illegalen Einwanderung arbeiteten mit Reedern und Mittelsmännern in den Balkanländern, vor allem in Griechenland zusammen, meist wenig seriösen Figuren, die sich vielfach schon vorher mit illegalen Geschäften – etwa Schmuggel von Waffen für den Spanischen Bürgerkrieg oder von Alkohol in die USA während der Zeit der Prohibition – befaßt hatten. Die Besatzung rekrutierte sich im allgemeinen aus Matrosen mit krimineller Vergangenheit. Nur altersschwache oder ausgediente Schiffe zu überhöhten Preisen ließen sich für derartige Unternehmungen beschaffen. Schon seit 1933 war die antijüdische Politik der Nationalsozialisten auf die Förderung der jüdischen Auswanderung ausgerichtet, wobei Palästina ein besonderer Stellenwert zukam. Den entscheidenden Impetus erhielt diese Politik aber mit dem „Anschluß“ Österreichs im März 1938. Konnte die Auswanderung bis dahin noch in vergleichsweise geordneten Bahnen und unter Rettung zumindest eines Teiles des jüdischen Besitzes abgewickelt werden, so stand nun eine kompromißlose Vertreibungspolitik auf der Tagesordnung. Die in Eichmanns „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ in Wien entwickelte Methode der effizient organisierten Zwangsauswanderung mit vorangehender öko-nomischer Ausplünderung gewann Modellcharakter für das übrige „Reichsgebiet“. Die „Zentralstelle“ übernahm wenige Jahre später nahtlos und unter Beibehaltung ihres Namens eine neue Aufgabe, bei deren Erfüllung sie ebenso „vorbildlich“ und voller Initiative tätig wurde: die Organisierung der Verschickung der österreichischen Juden zu den Vernichtungsstätten im Osten. Wurde die „Zentralstelle“ anfangs von Eichmann persönlich geleitet, so hatte zum Zeitpunkt der Zusammenstellung des beschriebenen Transportes bereits Alois Brunner (der berüchtigte „Brunner I“) das Kommando übernommen.5 Während die Organisierung der illegalen Einwanderung aus dem Reichsgebiet in den Jahren 1938/39 in den Händen zionistischer Aktivisten lag, schob die SS im Laufe des Jahres 1939 immer mehr einen Mann in den Vordergrund, der wohl Jude, aber keineswegs Zionist war. Kommerzialrat Berthold Storfer, in der Zeit vor dem „Anschluß“ ein erfolgreicher Finanzexperte und Geschäftsmann, wurde Leiter des neu geschaffenen „Ausschusses für jüdische Überseeetransporte“ in der Rotenturmstraße/Rotgasse in Wien.‘ Dieser Ausschuß befaßte sich, wie der Name vermuten läßt, mit der Auswanderung in verschiedene überseeische Länder, konzentrierte sich in der Praxis jedoch hauptsächlich auf illegale Palästina-Transporte. Storfer wurde von der SS mit immer größeren Vollmachten ausgestattet: im Herbst 1939 übertrug sie ihm die Oberaufsicht über sämtliche Palästina-Transporte, was auf eine Kontrolle der Aktivitäten der zionisti-schen Organisatoren hinauslief. Aus einem Bericht der Wiener Kultusgemeinde geht hervor, daß die SS im März 1940 Storfers Macht noch weiter ausbaute: sie übertug ihm, über seine Zuständigkeit für die „Ostmark“ hinaus, auch die Verantwortung für alle „Übersee-Transporte“ aus dem „Altreich“ und dem „Protektorat“.7 Die zionistischen Organisatoren reagierten verbittert und haßerfüllt auf Storfers Machtzuwachs. Ihre Ressentiments gegen ihn finden sich zum Teil noch in Jahrzehnte später verfaßten Memoiren. Storfer wurde als Kollaborateur, ja als „Agent des Teufels“ bezeichnet. Diese Vorwürfe sind insofern ungerecht, als Storfer durch seine Tätigkeit Tausende Menschen gerettet hat, andererseits auch die Zionisten unter den gegebenen Verhältnissen ihre Transporte nur mit dem Wissen und einem gewissen Grad an Mitwirkung der NS-Behörden organisieren konnten. Hinter der lautstarken Kritik verbergen sich jedoch andere Motive: Storfer wurde von den zionistischen Aktivisten, besonders von den Mossad-Leuten, als unwillkommener, lästiger, von der SS aufgezwungener Konkurrent empfunden, der sie in ihrem selbständigen Arbeiten behinderte und sie in eine Position der Abhängigkeit brachte. Es ist schwierig, alle Gründe für die Ernennung Storfers auszulo-ten. Eine bedeutende Rolle spielte dabei zweifellos der Wunsch der SS, die organsiato-rische Verantwortung für die illegalen Palästina-Transporte auf eine Person zu konzen-trieren, die sich leichter kontrollieren und lenken ließ. Storfers Tätigkeit, sein Büro und seine Korrespondenzen wurden von „Zentralstelle“ und Gestapo schärfstens überwacht. Ein weiteres Motiv lag zweifellos in der grundsätzlich ambivalenten und paradoxen Haltung der Nationalsozialisten gegenüber der zionistischen Auswanderung: obwohl die Ausrichtung auf Palästina im Rahmen der Auswanderungs- und Vertreibungspolitik gefördert wurde, wurde innerhalb der verschiedenen NS-Behörden und besonders auch der SS der Gedanke eines jüdischen Staates zu allen Zeiten strikt abgelehnt. Ein selbständiger jüdischer Staat symbolisierte für sie alle Gefahren einer Machtkonzentra-tion des „Weltjudentums“ und wurde mit der Bedeutung des Vatikans für den politischen Katholizismus oder Moskaus für den „Weltkommunismus“ verglichen.‘ Besonders die nach streng selektiven Kriterien gestaltete Einwanderungspolitik der Jewish Agency, die der Einwanderung von Kadergruppen für den Aufbau und die künftige Verteidigung des Landes besondere Bedeutung zumaß, konnte den Interessen der SS in diesem Sinne nur zuwiderlaufen. Mit der Ernennung Storfers sicherte sie sich auch die Einflußnahme auf die Zusammensetzung der Transporte, in die nun viele Menschen hineingezwungen wurden, die den Auswahlkritierien der Zionisten in keiner Weise entsprachen: Nichtzio-nisten, Alte, Kranke. Eben dieser Punkt war es auch, der von den zionistischen Organi-satoren aufs heftigste kritisiert wurde. Um seinen Mammut-Transport realisieren zu können, mußte Storfer einen steinigen Weg gehen und an vielen Fronten und gegen zahllose Hindernisse und Schikanen ankämpfen. Die Geschichte des Transportes begann schon Ende September 1939. Storfer verhandelte mit dem griechischen Reeder Socrates Avgherinos wegen des Dampfers „Astrea“.

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Beengte Unterbringung auf der „Atlantic“

Mitte November kam es in den Räumen des Wiener Palästina-Amtes zum Vertrags-Abschluß. Die Kultusgemeinde erklärte sich bereit, aus ihrem Devisenbestand 1.500 Pfund zur Verfügung zu stellen.9 Diese Vorschußzahlung traf jedoch nicht wie vereinbart bis Ende November in Piräus ein, weshalb sich die Abfahrt der „Astrea“ von Griechenland zum Schwarzmeerhafen bis zum 15. Dezember verzögerte. Von der DDSG war der Dampfer „Minerva“ mit festem Anschluß an die „Astrea“ für den Transport von 500 Personen gechartert worden. Die „Minerva“ wurde am 27. November in Bratislava stellig gemacht, die Auswanderergruppe zur Einschiffung dorthin gebracht. Wegen der plötzlich eingetretenen Kälte mußte die Ausreise aus Bratislava jedoch verschoben werden, mit der Wiedereröffnung des Donauverkehrs konnte erst für etwa Ende Februar gerechnet werden. Während der Weihnachtstage traf dann die Schreckensnachricht ein, daß die „Astrea“, ein mehr als dreißig Jahre alter Dampfer, mit 16 Mann Besatzung während eines schweren Sturmes im Schwarzen Meer gesunken war. Nach Bekanntwerden der Katastrophe war Storfer gezwungen, für die bereits in Preßburg befindliche, inzwischen auf rund 600 Personen angewachsene Flüchtlings-gruppe, ein Ersatzschiff zu beschaffen. Die Menschen wurden in einer aufgelassenen Pa-tronenfabrik, der sogenannten „Patronka“, interniert und von Mitgliedern der sogenann-ten „Hlinka“-Garde, der faschistischen Kampftruppe des slowakischen Marionettenstaa-tes, bewacht. Im Herbst 1939 hatte sich die Situation der österreichischen Juden durch eine neue Komponente der antijüdischen Maßnahmen einschneidend verändert: im Zusammen-hang mit Plänen zur Schaffung eines Judenreservates im Gebiet von Lublin (im „Gene-ralgouvernement“), waren in der zweiten Oktoberhälfte unter Regie der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ etwa 1.500 jüdische Männer aus Wien nach Nisko am San abtransportiert worden. Zwar wurde das Projekt nach diesen ersten Transporten wegen der völlig unzureichenden Planung und der Widerstände anderer NS-Stellen abgebrochen, doch benutzte die SS gegenüber den jüdischen Institutionen die Drohung weiterer Ver-schickungen als erfolgreiches Druckmittel zur Forcierung der Auswanderung. Sie bedien-te sich auch der Methode, „Schutzhäftlinge“ aus Konzentrationslagern, vor allem Dachau und Buchenwald, unter der Bedingung der sofortigen Ausreise freizulassen. Verzögerte sich die Auswanderung, drohte die Rückstellung in das Lager. Angesichts dieser Situation suchte Storfer fieberhaft nach weiteren Transportmöglich-keiten, sowohl für neue Auswanderergruppen, wie für die in Bratislava festsitzenden Flüchtlinge. Die Kultusgemeinde versprach, für den Erwerb eines Schiffes weitere Devisen im Wert von 55.000 Dollar zum günstigen Gegenwert von 10 Reichsmark pro Dollar zur Verfügung zu stellen. Anfang Februar 1940 stellte der Reeder zwei Schiffe zur Beförderung von insgesamt 2.400 Personen in Aussicht. Am 4. März 1940 kam es zum Vertragsabschluß. Storfer verpflichtete sich zu einer Vorschußzahlung in der Höhe von 13.800 Pfund an die Banque Commerciale de Grace in Piräus. Der Reeder war vertraglich gebunden, innerhalb von 14 Tagen die beiden Schiffe mit der vorschriftsmäßigen Besatzung und den nötigen Mengen an Kohle und Trinkwasser stellig zu machen, für die Schaffung der vorgesehenen Einrichtungen zur Unterbringung der Passagiere (Schlafstellen, sanitäre Anlagen) zu sorgen, für die Reise Nahrungsmittel zur Verfügung zu stellen und beim zuständigen rumänischen Hafenkapitanat die Kommissionierung der Schiffe hinsichtlich ihrer Seetüchtigkeit und Zulässigkeit für die vorgesehene Anzahl von Personen einzuholen. Storfer erhielt die Sicherheit, daß er im Falle des Verlustes oder der Beschädigung der Dampfers in keiner Weise haftbar war. Seine Rechte waren wie folgt festgelegt: „Demnach ist K 1 (Storfer, Anm. G.A.) berechtigt, über die (…) erwähnten Dampfer zur Durchführung dieses Abkommens frei wie ein Eigentümer zu verfügen. Diese Klausel gilt als eine unwiderrufliche Generalvollmacht.“ Die Situation der in Bratislava internierten Gruppe war seit ihrer Ankunft prekär. Die slowakischen Behörden drängten auf baldigste Weiterreise und drohten mit schwerwie-genden Sanktionen. Mitte April 1940 forderte das slowakische Innenministerium die Räumung des Lagers bis spätestens Monatsende und drohte mit der Rückstellung des Transportes an die deutsche Grenze. Das Reisebüro „Cedok“ in Bratislava, später abgelöst vom halbstaatlichen „Zelka“, hatte sich in die Angelegenheit eingeschaltet und konfron-tierte Storfer mit immer neuen finanziellen Forderungen, etwa für die Unterkunft und Verpflegung der Gruppe und Spesen für die „Hlinka-Garde“ und die Torwärter der Patronka.10 Erschwerend kam hinzu, daß die DDSG die Verfügung über die von Bratislava abgehenden Schiffe dem Reisebüro „Zelka“ überlassen hatte.“ Storfer schrieb verzwei-felt: „Wir stehen schon heute in großen Unannehmlichkeiten und unsere Lage wird von Tag zu Tag unglücklicher. Wir rufen um Eile und Hilfe!! Sage und schreibe den ersten April 1940, in vorgeschrittener Zeit.“ Bis zum Sommer war die Lage in Bratislava vollkommen untragbar geworden. Storfer im Juli: „Ich halte die Situation buchstäblich ‚mit den Zähnen‘ und hoffe, noch ein wenig Zeit zu haben.““ Die bereits für April geplante Abreise des Transportes verzögerte sich durch die unglückliche Verkettung weiterer mißlicher Umstände. Bis Ende März waren die verein-barten 13.800 Pfund noch immer nicht auf dem griechischen Konto eingetroffen. Einige Wochen später gab Avgherinos bekannt, daß die Summe nun wohl bei der Commerzialbank eingegangen war, die Auszahlung des Betrages jedoch an die Unterschrift eines gewissen Schmaria Zameres, der als Vertreter des „Joint“ auftrat, gebunden war. Zameres verlangte die Bekanntgabe des Schiffsnamens und der Flagge, die Vorlage des Vertrages und die Besichtigung des Schiffes. Storfer fand heraus, daß Zameres kein Vertreter des Joint, sondern einer der ihm feindlich gesinnten Mossadagenten war. Zur gleichen Zeit wie Storfer bemühten sie sich um die Beschaffung von Schiffen für einige reisefertige Gruppen in Deutschland und dem „Protektorat“, vor allem aber für den in Kladovo/ Jugoslawien gestrandeten Mossad-Transport.“ Storfer erfuhr auch, daß es den Mossad-agenten gelungen war, beim Joint, der die illegale Einwanderung nach Palästina ohnedies nur sehr zögernd und verdeckt unterstützte, Mißtrauen gegen ihn zu schüren.14 Die Schwierigkeiten mit den Mossadleuten brachten Storfer in große Verlegenheit gegenüber dem Reeder und gefährdeten den gesamten Transport. „Ich glaube nicht, daß Avgherinos bereit sein wird, seine Geschäftsgeheimnisse einem erklärten Mann der Averbuch-Gruppe bekanntzugeben, umsoweniger, als Averbuch (Vertreter des Mossad, Anm.G.A.) als Konkurrent und Gegner in Athen auftritt“, schrieb Storfer.15 Gegenüber der Kultusgemeinde klagte Storfer Ende April: „A. (Avgherinos, Anm G.A.) kündigte mir den Wiener Vertrag und erklärte Zameres als einen frechen Menschen, mit dem er nichts zu tun haben wolle. (…) Wir hatten einen guten Vertrag, ein gutes Schiff und einen verläßlichen Reeder. Nun stehen wir mit erschütterten Vertragsrechten und mit dem drohenden Unglück in Bratis-lava und überhaupt mit Zeitversäumnissen da, deren Folgen nicht zu berechnen sind“ Anfang Mai ließ Avgherinos, dem inzwischen für das gleiche Schiff von anderen Interessenten weitaus höhere Beträge geboten worden waren, Storfer über seinen Wiener Rechtsanwalt ein Telegramm folgenden Inhalts übermitteln: „Avisiert schriftlich in meinem Namen daß infolge Verspätung der Zahlung 13.800 und unerhörter Schikane ich Verträge als aufgelöst betrachte und Entschädigung verlange. Haltet verantwortlich.“ Storfer bat die Wiener Kultusgemeinde dringend um Intervention: Der „Joint“ sei verpflichtet, die Weisung der Kultusgemeinde auszuführen, ohne sich von Querulanten irreführen zu lassen. Endlich erhielt Zameres am 27. Mai vom „Joint“ die Weisung, das Geld freizugeben. Nun tauchte jedoch eine neue Schwierigkeit auf: das Geld war vom „Joint“ aus den USA über Amsterdam transferiert worden. Nach der deutschen Besetzung der Niederlande waren in Griechenland auf Weisung der holländischen Gesandtschaft alle von dort einlangenden Überweisungen als holländisches Vermögen gesperrt worden. Diese Verordnung betraf auch die 13.800 Pfund, obwohl das Geld eigentlich aus den USA stammte. Erst nach weiteren zeitaufwendigen Interventionen konnte der Betrag endgültig freigemacht werden. Die Verzögerung des Transportes hatte schwerwiegende Konsequenzen: „Als Folge des Stockens unseres Transportes müssen mehrere Leute, welche auf Grund unserer Bescheinigungen befristet freigelassen wurden, in ihre Internierungslager zurück-kehren.“,16 schrieb Storfer. Während der Monate seit Vertragsabschluß hatten sich die Kurse geändert, beim Einkauf von Kohle, Material und Lebensmitteln, wie auch bei den Versicherungsprämien und den Löhnen für die Mannschaften waren große Preisdifferenzen entstanden, das Risiko der Reise hatte sich seit Ende April bedeutend erhöht. Auch Storfer mußte die Mehrforderungen des Reeders akzeptieren. Er schrieb an die Kultusgemeinde: “ (…) es ist nicht möglich einen griechischen (oder anderen) Reeder monatelang derart herumzuführen wie ich es getan habe und schließlich ihm die Konsequenzen an den Kopf zu werfen.““ Storfer konnte sich des Andranges von verzweifelten Menschen zu seinem Transport kaum erwehren und war darüber hinaus mit Forderungen der Kultusgemeinde konfron-tiert, die von ihm als Gegenleistung für den gewährten „Vorzugspreis“ für die bereitgestellten Devisen die Mitnahme einer größeren Zahl von Mittellosen verlangte. Bis Mitte Juli 1940 waren ihm von Zentralstelle und Gestapo mehr als 150 Personen zur Ausreise übergeben worden.` Teilweise waren die von den Behörden aufgedrängten Personen in schlechtem gesundheitlichen Zustand. Unter Einrechnung der aufgezwungenen Zugänge war die Teilnehmerzahl des neuen Wiener Transportes inzwischen auf 860 angewachsen. Die Zentralstelle setzte Storfer unter Druck, den Transport raschestmöglich abzufertigen.19 Seit Jahresbeginn befand sich Storfer in einem zähen Ringen mit der DDSG über die Konditionen des Donautransportes, vor allem über die Preisfrage. Storfer wandte sich in seiner Verzweiflung wiederholt an die „Zentralstellen“ in Wien und Berlin. Storfer am 18. April 1940: „Wir sind zu unserem Bedauern gezwungen, die Hilfe der geehrten Zentralstelle zu erbitten, weil es sich um ein inländisches Monopolunternehmen handelt, das mit der einzigen ausländischen Konkurrenz, der Jugoslawischen Donauschiffahrtsgesellschaft, eine kartellmäßige Verabredung zu unserem Schaden getroffen hat. Gegenüber einem solchen Drucke ist unsere alleinige Position zu schwach.“ Während im allgemeinen die Umschiffung in Sulina erfolgte, mußten auf Vorgabe der DDSG die Seeschiffe zu dem weiter stromaufwärts gelegenen Donauhafen Tulcea vorrücken. Die DDSG verpflichtete sich, die Verpflegung während der Donaureise zu liefern.20 Storfer hatte mit der DDSG die Bereitstellung von zwei Dampfern für Ende Juli / Anfang August ausgehandelt. Die DDSG verlangte jedoch als Bedingung den Nachweis der Kommissionierung der beiden Hochseedampfer in Rumänien. Storfer war gezwungen, den Abfahrtstermin zu verschieben, weil die Einrichtungsarbeiten in Tulcea noch nicht abgeschlossen waren. Ursachen dafür waren die kriegsbedingten Verzögerungen bei bank- und devisenbehördlichen Formalitäten und vor allem Materialmängel in Rumänien, wo beispielsweise sämtliche Nägel für militärische Zwecke requiriert worden waren und 2000 Kilogramm Nägel ersatzweise aus Griechenland beschafft werden mußten. Die DDSG drängte immer vehementer auf die Abreise. Der Druck wurde im August unerträglich, weil die DDSG den Auftrag erhalten hatte, am 10. September 1940 alle ihre Schiffe für eine großangelegte Rücksiedlungsaktion von über 100.000 Voksdeutschen aus Bessarabien und der Dobdrudscha an der unteren Donau bereitzustellen. Wieder appellierte Storfer an die Zentralstelle: “ (…) nötigenfalls würden einige inoffizielle Worte bei der „Deutschen Mittelstelle“, (SS-Organisation, die die Rücksiedlungsaktion organisierte) genügen, um die Nervosität der DDSG zu mäßigen. Die Auswanderung der Juden bedeutet ebenfalls ein öffentliches Interesse. Wir sind bedroht, den Anschluß und Geld zu verlieren.“21 Storfer und Avgherinos hatten inzwischen über die Aufnahme weiterer Flüchtlingsgrup-

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Geld- und Wertsammlung für Kohle

pen aus dem „Altreich“, dem „Protektorat“ und Danzig verhandelt. Storfer suchte die Bedenken des europäischen „Joint“-Repräsentanten Morris Troper und verschiedener anderer jüdischer Stellen wegen der Gefahren der Schiffsreise durch das Mittelmeer zu zerstreuen. Die Reise sei nicht nur notwendig, sondern mit Schiffen neutraler Staaten auch gefahrlos. Storfer beteuerte, alles für die größtmögliche Sicherheit der Reise getan zu haben.22 Storfer reiste sogar Ende Juli persönlich nach Piräus, um vor Ort Informationen über die Sicherheit des Verkehrsweges nach Palästina einzuholen, nachdem die Zeitungen über das Bombardement von Haifa berichtet und Gerüchte über Minengefahr im Mittelmeer verbreitet hatten.21 Am 8. Juli konnte Storfer die Ankunft der beiden Schiffe, für die er spanische Flaggen beschafft hatte, in der Donaumündung bekanntgeben. Am 13. Juli jedoch erhielt er aus Bukarest ein Telegramm folgendes Inhalts: „Bucarester spanische Gesandtschaft hat Zurückhaltung (der Schiffe, Anm. G.A.) durch Ministerium Äußeres und Marine veranlaßt wegen angeblicher Beförderung Palästiner (sic!) Auswanderer ich verständigte gleichzeitig Avgherinos zwecks dortiger Intervention und betreibe Kommissionierung“. Es dauerte bis Ende August, bis Storfer mit den Schikanen des spanischen Generalkon-suls zurande gekommen war. Dieser mußte im Auftrag Madrids seine Intervention bei der rumänischen Marinebehörde zurückziehen. Storfer mußte jedoch unter großem finanziellen Mehraufwand für die Schiffe statt der spanischen die panamesische Flagge erwerben. Nach weiteren Verhandlungen standen für den Transport letztlich drei Schiffe zur Verfügung, die nach mehrfacher Umbenennung „Atlantic“, „Milos“ und „Pacific“ hießen und für insgesamt 3.400 Personen von der rumänischen Marine-Direktion zertifiziert wurden. Ein viertes, für einen späteren Transport vorgesehenes Schiff, die „Rositta“, wurde in der Donaumündung erwartet. Die von Avgherinos rekrutierte Schiffsmannschaft mußte wegen der Verzögerungen durch den Flaggenkonflikt zweimal erneuert werden. Darüber Storfer: „Im entscheidenden Moment haben (…) die griechischen Behörden wegen der Ereignis-se im Mittelmeer die Ausreisepässe versagt und die rumänischen Behörden des neuen Regimes waren abgeneigt, Einreisevisa zu erteilen. Diese Schwierigkeiten wurden mit viel Zeitverlust behoben und der Dampfer ‚Rositta‘ konnte erst am 22. September ds. J. mit der Mannschaft für die bezeichneten 3 Schiffe aus Piräus abfahren. In Istanbul waren die üblichen Durchreisetaxen und 120 To. Kohle für die Rositta vorausbezahlt. Die Istanbuler Hafenbehörde verweigerte aber die Kohlenlieferung und der Kohlenersatz mußte in Galatz beschafft werden. Hierdurch ist eine weitere Verspätung dazugekommen, derzufolge die Rositta und die Mannschaft erst am 1. Oktober ds. J. in Tulcea eingetroffen sind. Während des Passierens der Rositta am Sitze der Donaukommission in Sulina und des kurzen Aufenthaltes zur üblichen Durchreisekontrolle, hat der englische Konsul von Sulina an die Kapitäne und die Mannschaft Warnungsbriefe verteilen lassen. Durch diese Briefe sollte das Personal abgehalten werden, nach Palästina zu fahren. Den Kapitänen gegenüber wurden ganz besondere Strafen angedroht. Dieser Vorfall hat der Mannschaft die Gelegenheit geboten, bei Eintreffen in Tulcea an den Reeder Avgherinos neue unerschwingliche Forderungen zu stellen, welche das 6 – 10-fache jener Beträge betrug, welche er vertragsmäßig bei der Banque de Grece in Athen in Devisen vorausbezahlt hatte. Nach langwierigen Verhandlungen, welche wieder Zeit in Anspruch nahmen, hat Avgherinos 3-fach erhöhte Löhne bewilligt, konnte aber nur ungefähr 2 Drittel des Personals gewinnen, während er 1 Drittel in aller Hast und Eile aus Griechen, welche in Braila und Galatz aufgetrieben wurden, akquirieren mußte (rumäni-schen Staatsbürgern wäre die Ausreise nicht bewilligt worden). Das sind die Gründe des bedauerlichen, mehr als dreiwöchigen Aufenthaltes unserer Auswanderer im Orte Tulcea.“ Am 3. und 4. September 1940 traten von Wien und Bratislava aus über 3.500 Flüchtlinge nach monatelangem bangen Warten endlich ihre Reise an. Die Verschiffung auf vier Dampfern der DDSG – „Helios“, „Melk“, „Uranus“ und „Schönbrunn“ – erfolgte im letzten Augenblick, bevor die große Aktion zur „Heimholung der Volksdeutschen“ ins „Reich“ unter Einsatz der gesamten Personenflotte der DDSG begann. Drei Tage verspätet, indirekt bedingt durch den Regimewechsel in Rumänien, fand am 14. Septem-ber 1940 die Umschiffung auf die drei Hochseeschiffe statt. In Tulcea ergaben sich neue Probleme, auch mit der Versorgung: „Tulcea ist ein kleiner Ort mit schlechtem Wasser. Die Bevölkerung ist gewöhnt, das filtrierte Donauwasser zu trinken. Die Verpflegung von 3500 Menschen aus einem so kleinen Markt wie Tulcea, war ganz außerordentlich schwierig. Die Einkäufe haben eine ganz fühlbare Preissteigerung erzeugt und die Bevölkerung erachtete sich geschädigt, führte bei den Behörden Beschwerde und war im allgemeinen nicht gut gesinnt“, charakterisierte Storfer die Lage. In Tulcea warteten die Flüchtlinge wochenlang zusammengepfercht und eingesperrt auf den Schiffen auf die Weiterreise. Der untere Teil der „Atlantic“, auf der besonders unerträglicher Platzmangel herrschte, war wegen des Kohlemangels nicht elektrisch beleuchtet, die provisorisch errichteten sanitären Anlagen waren vollkommen unzureichend. Storfer kritisierte die mangelnde Disziplin der Reisenden, vor allem auf der „Atlantic“, auf der sich auffallend viele ältere Menschen, Kranke und Kinder befanden: Die Reiseleitung dieses Schiffes habe vollkom-men versagt, es habe Meinungsverschiedenheiten zwischen den Reisegruppen – Danzigern, Tschechen und der „mißliebigen, aus heterogenen Elementen zusammengesetzten ostmärkischen Gruppe“ gegeben. Im Gegensatz dazu lobte Storfer die „ausgesprochene Ordnung“ auf der „Pacific“. Der Berliner Erich Frank, Mitglied der zionistischen Pionierorganisation „Hechaluz“, der gemeinsam mit dem Wiener Hans Rabl Reiseleiter auf der „Pacific“ war, schrieb aus Tulcea an die jüdischen Stellen in Berlin: „Wir hatten uns ja von vornherein die Sondertransporte als mit den größten Schwierigkeiten verknüpft vorgestellt, und unsere Menschen sind darauf vorbereitet. (…) Sehr viele Leute sind bei dem Ordnungsdienst, bei der Magazinverwaltung, als Baugruppe, beim Waschdienst und in der Küche beschäftigt und wir versuchen, für die andern, die freilich den größten Teil ausmachen, durch Lehrkurse und Sprachunterricht eine Beschäftigung zu schaffen (…)“. Die Reiseleitungen konnten nur unter heftigen Protesten eine einigermaßen ausreichende Verpflegung für die Fahrt durchsetzen. Frank nach einem Besuch von Avgherinos auf dem Schiff an die jüdischen Stellen in Berlin. „Reeder beabsichtigt Proviant, Wasser nur 7 Tage, notwendig für 21, Wasser 4 Liter je Kopf Tag. Verlangen auch Ausrüstung Seekarte, Sextant, Lot, Log, Instandsetzung Rettungsboote, Magazinbau für offenen Lebensmittel-Vorrat, unter Berufung abgeschlossenen Vertrag. Erbitten Unterstützung Eure, Storfer, Joint, Löwenherz. Grüße Frank.“

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Kartoffelschälen auf der „Atlantic“

Endlich stachen die drei Schiffe am 7. Oktober 1940 von Tulcea aus in See – die „Atlantis“ mit 1.829 Passagieren, die „Pacific“ mit 986 und die „Milos“ mit 702, zusammen also 3.517 Person. Die „Pacific“, die etwas hinter den anderen beiden Schiffen zurückgeblieben war, geriet bald nach der Abreise aus Sulina im Schwarzen Meer in einen Orkan. Der havarierte Dampfer mußte zu Reparaturarbeiten den bulgarischen Hafen Varna anlaufen. Dort wurde das Schiff mit Lebensmitteln und Kohle versorgt. Als Gegenleistung verlangten jedoch die jüdische Gemeinde von Varna und Baruch Konfino, ein privater Organisator illegaler Palästina-Transporte, die Mitnahme weiterer Passagiere. Das Schiff mußte danach zur nochmaligen Ergänzung der Vorräte den kleinen Hafen St. Nicolaos auf Kreta anlaufen, wo durch die Bemühungen eines jüdischen Hilfskomitees in Athen der Bedarf großzügig gedeckt wurden. Die Reise der beiden Schiffe „Pacific“ und „Milos“ verlief – verglichen mit den abenteuerlichen Irrfahrten der „Atlantis“, des größten der drei Schiffe – rasch und problemlos. Die „Atlantis“ fuhr gleich zu Beginn der Reise, wahrscheinlich wegen eines betrunkenen Lotsen, bei der Ausfahrt aus Tulcea bei der sogenannten „Teufelskrüm-mung“ auf eine Sandbank auf und mußte von einem Schleppschiff wieder flottgemacht werden. Im Hafen Iraklion auf Kreta kam es zu einem unfreiwilligen, mehrwöchigen Aufenthalt. Avgherinos hatte wohl Geld für die Beschaffung von Lebensmittel und Kohle überwiesen, die Transaktion verzögerte sich jedoch aufgrund der politischen Situation im Mittelmeerraum: am 28. Oktober hatte der italienische Angriff auf Griechenland begonnen. Die Schiffsmannschaft, verunsichert durch das neue, zusätzliche Sicherheitsrisiko, nutzte einmal mehr die unglückliche Lage und forderte zusätzlichen Lohn. Sie scheute nicht einmal vor einem Sabotageakt zurück und kippte einen Teil der kostbaren, frisch geladenen Kohle ins Meer, um auf diese Weise die Weiterfahrt durch das verminte Mittelmeer zu verhindern. Nach diesen Ausschreitungen griff die Transportleitung entschlossen durch: der Kapitän wurde in seine Kabine gesperrt, die „Atlantic“ fuhr mit Hilfe der wenigen loyal gebliebe-nen Mannschaftsleute und einiger Passagiere, die die Aufgaben der Maschinisten und Heizer übernahmen, am 8. November 1940 aus Kreta ab. Die Rolle des Kapitäns und Chefmaschinisten übernahm ein ehemaliger Navigationsoffizier der tschechoslowaki-schen Luftwaffe, Erwin Kovac. Als nach wenigen Tagen die Kohle knapp wurde, nahm die „Atlantic“ Kurs auf Zypern. Doch zur Bewältigung der Strecke mußten alle brennbaren Gegenstände – Kabinenwän-de, Masten und Pritschen – demoliert und zu Brennholz gemacht werden, bis von der „Atlantic“ nur noch ein gespenstisches Skelett übrig war. An Bord herrschte bereits Hunger, eine Typhusepidemie forderte ihre ersten Opfer. Unweit der zypriotischen Küste mußte das Schiff auf offener See ankern und gab Notsignale. Zwei britische Zerstörer, die vorüberfuhren, kamen nicht zur Hilfe. Endlich wurde die „Atlantic“ von einem britischen Schlepper nach Limassol gezogen, wo den Passagieren zur Bezahlung der Kohle die letzten Wertgegenstände – Eheringe, Uhren und Füllhalter – abgenommen wurden. Erst am 23. November konnte das Schiff, bereits mit britischem Militär an Bord, aus Zypern abfahren. Doch in der Bucht von Haifa erwartete die Ankommenden eine unangenehme Überra-schung. Dort ankerte die „Patria“, ein ehemaliger französischer Luxusdampfer, den die Briten nach dem deutschen Überfall auf Frankreich requiriert hatten. An Bord befanden sich bereits die Passagiere der beiden Schiffe „Milos“ und „Pacific“, denen die britische Regierung die Landung in Palästina verwehrt hatte. Gemäß einer Verlautbarung vom 20. November sollten die Flüchtlinge der drei Schiffe für die Dauer des Krieges in eine britische Kolonie abgeschoben werden und auch nach Kriegsende nicht in Palästina Einlaß finden. Dieser Schritt stellte den Höhepunkt der bisherigen Maßnahmen der britischen Regie-rung bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung dar, nachdem alle anderen, mit großem Aufwand betriebenen Bemühungen ziemlich erfolglos geblieben waren: Die Briten hatten die Balkanstaaten durch diplomatischen Druck dazu bewegen wollen, den Flüchtlingen die Durchreisevisa zu verweigern, das Auslaufen der Flüchtlingsschiffe zu verhindern und gegen die Besitzer mit behördlichen Schikanen vorzugehen. Ein Teil der Schiffe war vor der palästinensischen Küste aufgebracht und beschlagnahmt, Kapitäne und Mannschaften waren verhaftet worden. Tausende illegale Einwanderer waren in Palästina in Internierungslager eingewiesen worden. Ab Mitte 1939 wurden die illegalen Einwanderer von der offiziellen Einwanderungsquote abgezogen. Obwohl der britische Premierminister Winston Churchill als ausge-sprochen prozionistisch galt, konnte er sich in der Frage der Einwanderungspolitik in Palästina nicht gegen die harte Linie des britischen Außen- und vor allem des Kolonialministeriums durchsetzten, für die strategische Interessen Großbritanniens in der Region ausschlaggebend waren. Als nun die Briten mit der Realisierung ihrer drastischen Strafmaßnahme begannen und versuchten, auch die „Atlantic“-Passagiere auf die „Patria“ umzuschiffen, kam es zu einem unerwarteten Zwischenfall. Kaum waren etwa 80 Passagiere transferiert, wurde die „Patria“ von einer Explosion erschüttert. Binnen weniger Minuten neigte sich das Schiff zur Seite und sank im Hafen auf Grund. Panik brach unter den Passagieren aus, jeder versuchte sich irgendwie zu retten. Insgesamt 267 Menschen kamen bei dem Unglück ums Leben, viele weitere erlitten Verletzungen. Es stellte sich heraus, daß der Anschlag von einigen Mitgliedern der „Hagana“, der im Untergrund operierenden jüdischen Kampfgruppe (dem Nukleus einer jüdischen Armee in Palästina), verübt worden war, nachdem sich alle diplomatischen Bemühungen zionistischer Führer als fruchtlos erwiesen hatten. Die Aktion war vollkommen geheim innerhalb der „Hagana“-Führung vorbereitet worden, nicht einmal die zionistische Führung, zu der die „Hagana“ in enger Verbindung stand, war informiert. Geplant gewesen war lediglich eine leichte Beschädigung des Schiffes, durch die Repaaturarbeiten und damit die Verbringung der Passagiere an Land erzwungen werden sollten. Munja Mardor, der „Hagana“-Mann, der die Bombe als Hafenarbeiter verkleidet an Bord geschmuggelt hatte, gab später in seiner Autobiographie eine Erklärung für den unvorhergesehenen, tragischen Verlauf der Aktion: der Zustand des Schiffes sei völlig falsch eingeschätzt worden. Die Explosion hatte in die bereits stark verrostete Schiffswand ein so großes Loch gerissen, daß das Schiff sofort Schlagseite bekam und sank. Innerhalb der zionistischen Führung löste der ohne höhere Autorisierung durchgeführte Sabotageakt heftige Kontroversen aus, in deren Rahmen auch wieder die grundsätzliche Frage der illegalen Einwanderung aufgeworfen wurde, in der es in dieser Phase keineswegs eine klare, eindeutige Linie gab. Der britische Hochkommissar für Palästina, Harold MacMichael, mußte nach massiven öffentlichen Protesten und der Intervention Chaim Weizmanns letztlich den Überlebenden der „Patria“ in einem „außerordentlichen Gnadenakt“ gestatten, in Palästina zu bleiben. Sie wurden in das Anhaltelager Atlith in der Nähe von Haifa eingewiesen. Gegenüber den auf der „Atlantic“ verbliebenen Passagieren jedoch blieb er unerbittlich. Auch sie wurden zunächst nach Atlith transferiert, jedoch streng von den „Patria“-Passagieren abgesondert. Am Abend des 8. Dezember wurden die Betroffenen über ihren bevorstehenden Abtransport informiert. In einem Akt passiven Widerstandes gegen die Verschickung legten sich Männer und Frauen nackt auf ihre Betten und weigerten sich, die Baracken zu verlassen. Das britische Militär griff rücksichtslos durch. Unter Brachialgewalt – die ganze Aktion war als Militäraktion geplant – wurden die Flüchtlinge zum Hafen geschafft, auf zwei große Dampfer verfrachtet und auf die Insel Mauritius transportiert. Dort blieben die 1.580 Juden zum größten Teil für die gesamte Kriegsdauer in einer alten Festung interniert, über 200 von ihnen meldeten sich als Freiwillige zu den alliierten Armeen, 124 starben meist infolge von Tropenkrankheiten. Nur durch hartnäk-kige Bemühungen der zionistischen Organisationen gelang es, den Deportierten nach Kriegsende die Rückkehr nach Palästina zu ermöglichen. Die „Patria“-Überlebenden wurden in den meisten Fällen nach etwa einem Jahr aus der Internierung entlassen. Storfer, der Organisator des Transportes wurde nach Ankunft der Schiffe vor der Küste Palästinas von vielen jüdischen Stellen Dank und Lob zuteil, etwa vom Prager „Hechaluz“, vom Berliner Palästina-Amt oder der Prager Kultusgemeinde.23 Storfer selber gelang die Flucht nicht mehr. Er wurde einige Jahre später von den Nationalsozialisten ermordet. Als er 1943 über seine bevorstehende Deportierung nach Theresienstadt informiert wurde, versteckte er sich, wurde jedoch aufgegriffen und direkt nach Auschwitz gebracht?24

ANMERKUNGEN

1 (hebr.), bedeutet soviel wie „B-Einwanderung“ im Gegensatz zur legalen „A-Einwanderung“ mit Zertifikaten im Rahmen des komplizierten britischen Quotensystems. „Alija“ ( wörtlich Aufstieg) bedeutete in der zionistischen Ideologie nicht nur Einwanderung, sondern zugleich den menschlichen und beruflichen Neubeginn, möglichst als Landarbeiter, im jüdischen Nationalheim in Palästina.
2 Der Anteil von Juden aus den Gebieten des Deutschen Reiches betrug in dieser Phase 52% der Gesamteinwanderung und 70% an der illegalen Einwanderung.
3 Perl war Mitglied der rechtszionistischen „revisionistischen Bewegung“, die sich unter dem Namen „Neue Zionistische Organisation“ (NZO) 1935 von der Zionistischen Weltorganisation abgespalten hatte, und gehörte innerhalb dieser Bewegung dem extremen Flügel an. Die Revisionisten forderten eine Mas seneinwanderung nach Palästina und die Schaffung eines jüdischen Staates zu beiden Seiten des Jordans. Perl organisierte seine Transporte jedoch weitgehend als Privatperson. Er lebt heute in den USA.
4 Der „Hechaluz“ war die zionistische Dachorganisation, die für die landwirtschaftliche Vorbereitung junger Zionisten auf die Einwanderung in Palästina verantwortlich war.
5 Brunner setzte später im übrigen nazikontrollierten Europa – in Berlin, Griechenland, Frankreich und der Slowakei – seine in Wien gewonnenen „Fachkenntnisse“ bei der Organisierung der Deportationen ein. Brunner gelang nach Kriegsende die Flucht. Er lebt noch heute – geschützt durch die syrische Regierung, deren Geheimdienst er mit aufgebaut hat – unter dem Namen Georg Fischer in Damaskus. Eichmann war damals bereits in höherer Position tätig: er hatte zunächst nach Wiener Vorbild „Zentral-stellen fürjüdische Auswanderung“ in Berlin und Prag eingerichtet und war dann von Reinhard Heydrich in das neue Reichssicherheitshauptamt in Berlin geholt worden, wo er Leiter des Gestapo-Referates IV D 4 (bzw. IV B 4) wurde, das sich mit „Judenangelegenheiten“ befaßte und dem auch die „Zentralstellen“ in Wien, Berlin und Prag unterstellt waren.
6 Storfer war plötzlich, in den Monaten nach dem „Anschluß“, im jüdischen Leben aufgetaucht, zunächst als Begleiter des Leiters der jüdischen Gemeinde, Josef Löwenherz, bei der internationalen Flüchtlings-konferenz in Evian am Genfersee im Juli 1938. Neben unzähligen Funktionen im Wirtschafts- und Finanz-bereich hatte Storfer eine eigene Bankommanditgesellschaft besessen, war Aktionär mehrerer interna-tionaler Großfirmen gewesen, und 1933, nach Zusammenbruch der Österreichischen Kreditanstalt, von der Regierung als Experte für die großen Finanztransaktionen herangezogen worden. Aus den Akten wird deutlich, daß Löwenherz Storfer für das Amt des Leiters des „Ausschusses fürjüdische Überseetranspor-te“ vorgeschlagen hatte. Ohne Zweifel war Storfer aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen auf dem Finanzsektor, seiner ausgezeichneten geschäftlichen Verbindungen vor allem auch zum Balkanraum und seiner organisatorischen Fähigkeiten eine gute Wahl für die ihm zugedachte Tätigkeit. Nach Abschluß von Storfers Tätigkeit bedankte sich Dr. Josef Löwenherz, Leiter und Amtsdirektor der Wiener Kultusgemeinde:
„Es gereicht mir zur besonderen Freude, daß Sie seinerzeit über meinen Vorschlag die Leitung des Ausschusses für jüdische Übersee-Transporte übernommen haben. Während der ganzen Zeit hatte ich Gelegenheit, in ernster Arbeit mit Ihnen die großen Schwierigkeiten, die sich der Durchführung der Transporte entgegenstellten, zu überbrücken. Mit überaus großem Eifer, selbstloser Aufopferung und zäher, nie erlahmender Energie konnten Sie alle Schwierigkeiten überwinden und sich Ihrer verantwortungsvollen großen Aufgabe in bewundernswerter Weise entledigen. Es gereicht mir zur aufrichtigen Genugtuung, daß ich in schwierigsten Zeiten, ja in Augenblicken, in welchen schon viele verzagten, Sie in treuer Weggemeinschaft stets begleitete und Sie im Glauben an den Enderfolg immer unterstützte. Niemand kann auch die Größe Ihrer Leistung aus unmittelbarer Wahrnehmung so richtig beurteilen wie ich, der stets über alle Phasen der gehäuften Schwierigkeiten unterrichtet war. Ich hatte Gelegenheit, Ihnen wiederholt mündlich meine Bewunderung und volle Anerkennung auszusprechen und nehme den Anlaß Ihres Schlußberichtes wahr, um Ihnen auf diesem Wege nochmals den Dank der Kultusgemeinde Wien zum Ausdrucke zu bringen und Sie meiner persönlichen aufrichtigen Freundschaft zu versichern.“
7 In einer Aktennotiz der Wiener Kultusgemeinde heißt es dazu:
„Am 27. und 30.3.1940 werden neue Weisungen für Überseetransporte von H’Stuf EICHMANN den Vertretern der Kultusgemeinden Wien, Berlin und Prag erteilt, wonach jeder Überseetransport bezüglich seiner Durchführbarkeit vor Abschluß mit den Reisebüros von Herrn STORFER, Leiter des Büros für jüdische Überseetransporte geprüft werden muß und von ihm ein erschöpfender Bericht in jedem einzelnen Falle Herrn H’Stuf EICHMANN vorzulegen ist. Erst nach dessen Genehmigung darf mit den Reisebüros abgeschlossen werden. Es ist darauf zu achten, daß nur seriöse Firmen, wie die DDSG (…) Berücksichtigung finden. Auch ist es erforderlich, daß eine ausdrückliche Erklärung und zwar für jeden einzelnen Transport von einer jüdischen Organisation im neutralen Ausland erfolgt, welche ihre Mithilfe bei der Landung zusichert. Dr. LÖWENHERZ erklärt, daß sich bezüglich einer solchen Erklärung Schwierigkeiten ergeben müssen, weil es den jüdischen Organisationen im Großdeutschen Reich unmöglich ist, sich über das neutrale Ausland mit jüdischen Faktoren in Palästina in Verbindung zu setzen. H‘ Stuf EICHMANN sieht diesen Einwand als gerechtfertigt an und setzt diesen Punkt der Weisung außer Kraft.“ Dieser letzte Punkt blieb jedoch eine Schwachstelle in Storfers Tätigkeit: während die zionistischen Organisationen über eigene Auffangorganisationen in Palästina verfügten, die die geheime Landung der Passagiere vorbereiteten, besaß Storfer keinerlei derartige Kontakte. Sein schlechtes Verhältnis zu den zionistischen Organisationen verunmöglichte auch jede diesbezügliche Zusammenarbeit.
8 Innerhalb der verschiedenen NS-Behörden herrschte keine Einigkeit über die bevorzugte Förderung der jüdischen Auswanderung nach Palästina. Besonders im Auswärtigen Amt wurden aus außenpolitischen Erwägungen zeitweise heftige Widerstände gegen diese Politik formuliert. Die SS, die mit dem Jahr 1938 zur treibenden Kraft in der nationalsozialistischen Judenpolitik wurde, hatte die zionistische Auswanderung von Beginn an gefördert.
9 Da die deutschen Behörden sich weigerten, Devisen zur Finanzierung der Auswanderung zur Verfügung zu stellen, mußte die Wiener Kultusgemeinde von ausländischen jüdischen Hilfsorganisationen, besonders dem amerikanischen „Joint“ („Joint Distribution Commitee“), mit Devisen versorgt werden. Sie wurden an zahlungsfähige Auswanderer zu einem Mehrfachen des offiziellen Kurswertes in Reichsmark verkauft. Aus diesen Einnahmen finanzierte die Kultusgemeinde einerseits ihre Fürsorgetätigkeit, ande-rerseits unterstützte sie damit die Auswanderung Mittelloser.
10 Storfer über „Cedok“:
„Das Reisebüro ‚Cedok‘ hat eigentlich mit unseren Auswanderern gar nichts zu schaffen, aber es hat verstanden sich einzuschalten, um Geld zu verdienen und das ist in der letzten Zeit so geschehen, daß ‚Cedok‘ mit einem eigenen Angestellten dafür sorgt, daß die Auswanderer sich in das Durchgangslager begeben und nicht etwa in der Slowakei verschwinden.“ (Niederschrifteiner Einvernahme bei der Gestapo vom 23. Dezember 1939 als „vertrauliche Aktennotiz“, vermutlich an die Zentralstelle).
11 Die DDSG zwang Storfer, die „Zelka“ als ihre Generalvertretung in Bratislava anzuerkennen, obwohl sie eine eigene Filiale in Bratislava besaß. Storfer in einer Aktennotiz vom 18. März 1940 über seine Verhandlungen mit der DDSG (Ob.-Schiffsrat Schötz):
„Aus dem Verhalten des Herrn Direktor Schötz habe ich entnommen, daß die DDSG ihre Position an der Donau ebenso rücksichtslos, wie bisher, ausnützen will. Die D.D.S.G. (…) zwingt uns unter die Verwaltung des Bratislavaer Reisebüro „Zelka“, von dem wir nur Nachteile erwarten.“ Storfer hatte sich um eine Einschiffung in Wien in den stillen Abendstunden oder von der kleinen Donaustation Hainburg bemüht, was jedoch von Eichmann „aus höheren Gründen“ abgelehnt worden war (Storfer an die Zentralstellen Wien und Prag, 18. März 1940). Wie bei seinen Problemen mit der DDSG wandte sich Storfer auch wegen der Schwierigkeiten in Bratislava an die Zentralstellen: „Das Reisebüro betont geflissentlich, daß es ’staatlich‘ ist und droht, die Abreisen und Durchreisen durch die zuständige Behörde aufhalten zu lassen, wenn die erwähnten Zahlungen nicht geleistet würden.“ Die Zelka habe kein Recht auf solche gewaltigen Forderungen. „Wir wollen der Zentralstelle nicht zumuten, sich im Wege der deutschen Behörden zu exponieren, um derart solche auswanderungsstörende Ausnützereien abzuschaffen. Wir sind aber überzeugt davon, daß man uns in Bratislava solche Lasten nicht aufdrängen würde, wenn Herr Ob.-Sturmführer Dannecker in Bratislava erscheinen könnte, um auf die Unzulässigkeit solcher Forderungen hinzuweisen. Wir bitten, diese unsere Anregung wohlwollend in Erwägung ziehen zu wollen.“ (An die Zentralstelle Wien, 28. Juli 1940).
12 Storfer an IKG Wien, 15. Juni 1940.
13 Dieser Transport, der letztendlich rund 1.200 Juden, zum großen Teil Österreicher umfaßte, war unter dem Druck der drohenden Deportationsdrohung (Nisko) im Herbst 1939 überstürzt abgefertigt worden, obwohl der Mossad über kein Schiff für die Weiterreise verfügte. Die rumänischen Behörden verweigerten die Einreise, sodaß die Fahrt im kleinen jugoslawischen Winterhafen Kladovo (nach dem dieser Transport auch benannt ist) endete. Dort, und später in der kleinen serbischen Stadt Sabac an der Save, warteten die Flüchtlinge vergeblich auf die Weiterreise. Ihr Schicksal war mit dem Einmarsch der deutschen Truppen in Jugoslawien im April 1941 besiegelt: die Männer wurden im Herbst 1941 im Rahmen einer „Geiselerschießungsaktion“ unter Leitung des österreichischen Generals Böhme erschossen, die Frauen und Kinder starben im Frühjahr 1942 in Gaswägen des SD. Nur einer kleinen Gruppe von rund 200 Menschen, großteils Jugendlichen, die legale Einwanderungszertifikate erhielten, gelang noch knapp vor dem deutschen Überfall auf dem Landweg die Flucht nach Palästina.
14 Ende April führten zwei Delegierte Storfers, Rottenstreich und sein Schwager Goldner, von Bratislava aus ein Telephonat mit zwei Kollegen von Zameres, den Mossadagenten Kantor und Averbuch in Genf. Kantor erklärte, der „Joint“ wolle eine Kontrolle über die Verwendung des Geldes. „Kantor: Wem soll das Geld gegeben werden, dem Astrea-Schwindler? Goldner: Wenn Sie so sprechen, dann wissen Sie nicht, was Sie reden. Ich berufe mich auf Herrn Dr. Löwenherz, der gewiß nichts gutheißen wird, was zum Nachteile des „Joint“ gereichen könnte. Kantor: Dr. Löwenherz hat sich nur um die Institutionen der Kultusgemeinde zu bekümmern, er hat bewiesen, daß er von Transporten gar nichts versteht, denn es ist sein Verschulden, wenn der Kladovoer Transport bis heute nicht weitergekommen ist, er verwendet das Geld für andere Zwecke (…) Goldner: (in lautem Ton, sodaß Rottenstreich ihn zurückhalten mußte) Ich kenne Sie zwar nicht, aber wie unterstehen Sie sich über Herrn Dr. Löwenherz so zu sprechen? Die Kladovoer Leute sind auf ausdrücklichen Abruf des Averbuch weitergeschickt worden, wie überhaupt die Hechaluz-Abteilung sich an die ausländischen Hechaluz-Herren zu halten pflegte. Kommen Sie zu uns Auswanderung machen, aber unterstehen Sie sich nicht, von dort aus über eine Persönlichkeit wie Dr. Löwenherz, der dem Judentum große Dienste geleistet hat und sich dafür aufopfert, so zu reden. Sie haben mit Ihren Irreführungen wegen der nicht vorhanden gewesenen x – Schiffe (…) genug Unheil angerichtet, als daß Sie so reden dürfen. Nachdem das Gespräch daraufhin zu einem Zank ausgeartet ist, hat Kantor die Muschel niedergelegt.“ (Storfer an IKG Wien, 28. April 1940)
15 Storfer an 1KG, 23. April 1940.
„In Piräus herrscht eine tumultöse Hausse pto. Schiffe und Schiffsfrachten, die alle Dämme niederreißt“, charakterisierte Storfer am 3. April die Situation. In dieser Periode, als des Krieges besondere Knappheit an Schiffsraum herrschte, zogen die Schiffspreise von Woche zu Woche an, Kohle, Öl und Personal wurden ebenfalls teurer. Immer weniger Reeder waren noch an derartigen Geschäften interessiert, weil es für ihre Schiffe lukrativere und vor allem ungefährli-chere Aufgaben zu erfüllen gab. Dazu kam die Gefahr der Beschlagnahme der Schiffe durch die Seepolizei in Palästina. In den vorangegangenen Monaten waren mehrere solcher Schiffe sequestriert und in Haifa um geringe Preise versteigert, Kapitäne und Matrosen verhaftet worden.
16 Storfer an IKG Wien, 27. April 1940.
17 Mitteilung Storfer, 19. Juni 1940.
18 Storfer an IKG Wien, 15. Juli 1940.
19 Storfer an die Kultusgemeinde, 30. April 1940:
„Unser ad hoc gegründetes Büro bemüht sich, dem großen Ansturm nach Möglichkeit standzuhalten (…). Bedauerlicherweise kann nicht ruhig gearbeitet werden, weil die Schwärme von in Not befindlichen Menschen unsere Organe von früh bis in die Nacht hinein ganz einfach erdrücken. Die vielen unerfüllbaren Forderungen sind bekannt und es erübrigt sich, darüber zu schreiben. Der Umstand aber, daß wir den mannigfaltigen Wünschen der vielen Tausenden nicht Genüge leisten können, führt zu Unzufriedenheiten und zu Klagen. Die häufigsten Beschwerden sind (…) dadurch verursacht, daß Tausende Personen dort Platz haben wollen, wo kaum Hunderte zu placieren sind. (…) In den letzten Tagen kommen zu uns Frauen von Männern, die sich im Konzentrationslager befinden, häufiger als zuvor und erpressen mit turbulenten Szenen die bekannten‘ Bescheinigungen‘, die wir oft aus verschiedenen Gründen nicht zuerteilen vermögen. Die Frauen stören unsere Arbeit und lassen sich unter keinen Umständen abweisen. Wir erleben böse Stunden und wollen nichts anderes, als daß man uns wenigstens in unserem Ansehen nicht schädigt; diesem Bestreben entspringen diese Zeilen.“ Storfer an die Kultusgemeinde am 29, Mai 1940: „Wir erhalten täglich Anweisungen und Interventionen von verschiedenen Seiten. Als besonders autoritäre Stellen nennen wir auch die Zentralstelle und die Kripo. Darüber hinaus kommen täglich von verschiedenen Seiten `sehr dringende‘ und unentgeltliche Fälle vor, denen wir nicht gerecht werden können. Der Transport war schon vor einem Monat geschlossen und seither werden wir täglich ununter-brochen in Anspruch genommen.“ An die „geehrte Zentralstelle“ schrieb Storfer am 16. Juli 1940: „Nachdem wir überkomplett sind, bitten wir ergebenst, uns weitere Zuteilungen nicht auftragen zu wollen. Wir sind beim besten Willen wirklich außerstande weitere Personen zu placieren.“ Anfang Mai gab Storfer der Kultusgemeinde einen Überblick über die Zusammensetzung des Wiener Transportes, der zu diesem Zeitpunkt 810 Personen umfaßte: 305 aus Konzentrationslagern, 238 Ausge-wiesene, 267 mit Angehörigen in Palästina (darunter auch 30 von der Kultusgemeinde eingereihte Personen). Von den 810 waren 257 Nullzahler und 209 Kleinzahler. Ein Auswahlkomitee, dem auch Vertreter von Kultusgemeinde und Palästinaamt angehörten, hatte die Aufgabe, die Auswahl der Kandidaten vorzunehmen. Storfer betrachtete dies als ein Entgegenkommen gegenüber den Wünschen des „Ziellandes“. Wegen der großen Zahl der von den Nazi-Behörden aufge-drängten Personen und den vielen mittellosen Passagieren, mußten andererseits überdurchschnittlich zah-lungskräftige Personen in den Transport eingereiht werden. Dadurch entsprach die Zusammensetzung des Transportes letzten Endes doch in keiner Weise den Anforderungen etwa des Hechaluz. Nicht bezahlen konnten vor allem die entlassenen „Schutzhäftlinge“ aus den Lagern. Mitte April klagte Storfer gegenüber der Kultusgemeinde, die Zentralstelle habe ihn „stürmisch beauftragt, den Transport zu forcieren. Es wurden mir alle möglichen Folgen vorgehalten. Darüber hinaus wurde die Befürchtung ausgesprochen, daß externe Hindernisse eintreten können. Ich habe alles Mögliche zugesagt, um Beruhigung zu schaffen. Gerade während meiner Anwesenheit in der Zentralstelle wurde eine Frau mit Kellerarrest bestraft, weil sie noch nicht abgereist ist.“ (Storfer an 1KG Wien, 18. April 1940)
20 Als Tagesverpflegung bot die DDSG: Frühstück: ein Viertelliter Tee mit Zucker und Rum oder Zitrone, 1 Stück Käse oder Wurst; Mittag- und Abendessen: je ein Eintopfgericht; außerdem 1 Kilo Brot pro Tag und Kopf. Die Speisen wurden nicht serviert, sämtliche Mahlzeiten mußten von den Fahrtteilnehmern in mitgebrachten Eßgeschirren, die auch selbst gereinigt werden mußten, bei den Ausgabestellen der Dampfer in Empfang genommen werden. Sonstige Lebensmittel waren nur mit Bordgeldscheinen erhältlich, die vor Beginn der Reise gekauft werden konnten. Anspruch auf rituelle Verpflegung war vor der Abreise anzumelden. Storfer war der Ansicht, “ (…) daß eine solche sorgenvolle Reise durch rituelle Genauigkeit nicht beschwert werden soll, doch möchte ich mich von Vorwürfen befreien.“
21 Storfer an Troper, 10. Juli 1940: „Mehrkönnen wir unter den obwaltenden Umständen nicht tun und wer Mängel sucht, der wird sie finden. Wer Pessimist ist, der hat es leichter als wir.“ Erich Frank, Mitglied des Berliner Hechaluz und später Reiseleiter auf der „Pacific“, lobte Storfers Initiative, selbst vor Ort die Verhältnisse zu prüfen. Er gemahnte an die Verantwortung der jüdischen Organisatoren:
„Auch wir fühlen diese Verantwortung sehr stark, zumal sich die Fälle mehren, in denen von Seiten der Transportteilnehmer vor allem Zweifel an der gefahrlosen Erreichung des Ziellandes laut werden. (…) Aber zweifellos haben die meisten Transportteilnehmer ein starkes Vertrauen in die gefahrlose Durch-führbarkeit bis zum Ziellande aus der Tatsache geschöpft, daß wir als jüdische Organisation diesen Transport unternehmen und haben darum alle auf der Hand liegenden Bedenken ausgeschaltet. Dieser Umstand aber erhöht nur unsere Verantwortlichkeit.“ „Wir haben es deshalbüberaus dankbar begrüßt, daß Sie selbst den Vorschlag gemacht haben, noch einmal nach Athen zu fliegen. (…) an Ort und Stelle wird sich auch am besten überschauen lassen, inwieweit die Kriegsverhältnisse im Mittelmeer aller Voraussicht nach die Erreichung des Ziellandes erlauben und welches Gefahrenrisiko mit der Reise verbunden ist.“ (17. Juli 1940). Die Zentralstelle war über diese Sicherheitsbedenken wenig erbaut: Storfer an die Kultusgemeinde am 19. Juli 1940:
„Gerade als ich heute bei der Zentralstelle wegen Verlängerung der Pässe war, hat Herr Obersturmführer Dannecker von Berlin diesbezüglich angerufen. Die Zentralstelle sieht es aber nicht gerne, wenn die prinzipielle Frage der Fahrt nochmals geprüft wird (…).“
22 329 der Passagiere der „Atlantis“ waren vom Makkabi-Hechaluz in Prag, 189 von der Preßburger Gruppe aus Wien, dazu kamen 761 weitere Österreicher, 25 Berliner und 525 Danziger. Auf der „Pacific“ befanden sich 470 Personen von der Berliner Gruppe, 432 aus dem Lager Preßburg und 84 aus Wien, auf der „Milos“ 652 Juden aus dem Protektorat und 50 aus Wien.
23 Die Jüdische Emigrationshilfe nach Übersee in Prag beispielsweise schrieb am 21. November 1940 an Storfer:
„Nur wer von derartigen Transporten etwas versteht, kann ermessen, welch Ungeheueres Sie unter den schwierigen Voraussetzungen geleistet haben (…).“ Aus dem Schlußrechnungsbericht Storfers von Anfang 1941 erfahren wir viele Details über die finanziel-len Aspekte des Transportes und über Storfers Gesamttätigkeit im Rahmen der Palästinawanderung. Insgesamthatte sein Büro seit Ende 1939 2.042 Personen aus der „Ostmark“ zur Auswanderung gebracht, 1.480davon auf dem beschriebenen großen Transport. Die Kosten für die Beförderung der 1.480 Personen (gemäß den Übereinkommen mit Avgherinos vom 4.3.1940 und mit der D.D.S.G. vom 22.7.1940) betrugen insgesamt 1.398.189 RM, woraus sich als Durchschnittspreis pro Person bis zum Endziel ein Betrag von 908 RM ergibt. Storfer hatte die Devisen mit Bewilligung der Devisenstelle von der Kultus-gemeinde erhalten: 5.000 Pfund im Gegenwert von 150.000 RM im November 1939, 1940 insgesamt 74.000 Dollar im Gegenwert von 715.000 RM. Der Gegenwert wurde der Kultusgemeinde in Reichsmark rückerstattet: 340.000 RM durch das Storfer-Büro selbst, 375.000 RM als Subvention durch die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ (diese Summe stammte mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem Topf der „Paßumlagen“, einer eigenen Steuer, die – gestaffelt nach dem Gesamtvermögen – von allen Auswanderern vor Verlassen des Reichsgebietes zur Finanzierung der Auswanderung Mittelloser eingehoben wurde). Der DDSG wurden 300.000 RM bezahlt, rund 55.000 RM wurden für bolivianische Endvisa und slovakische Visa, Scheinvisa, die gegenüber den Behörden der Transitländer als Legitimierung dienten, ausgegeben. Von der großen österreichischen Transportgruppe waren 2.122.000 RM eingegangen, die Ausgaben betrugen 1.975.000 RM. Abrechnung mit dem Reeder Avgherinos (gemäß den der Zentralstelle und der Kultusgemeinde vorge-legten Verträge vom 14.11. 1939 und 4.3.1940): die Kultusgemeinde hatte im November 1939 5.000 Pfund, dann nochmals 13.800 Pfund in Devisen flüssig gemacht. Einschließlich weiterer, von der Kultusgemeinde bereitsgestellter Devisenbeträge und der Einzahlungen von Angehörigen der Auswan-derer im Ausland, beliefen sich die Gesamtzahlungen an den Reeder auf 26.490 englische Pfund für die Beförderung von 1.400 Personen, für Lebensmittel von Tulcea bis zum Endziel, die Beförderung von 103 Personen außervertraglich, sowie für eine Pauschalvereinbarung u.a. für Mehrkosten, Kursverluste, und die Differenzen bei Kohle und Personalkosten. Somit betrugen die Gesamtkosten der Beförderung und Verpflegung von 1.503 Personen bis zum Endziel 17 einhalb Pfund pro Kopf. Die Abrechnung betraf nicht den gesamten Transport, sondern nur die der direkt durch das Storfer-Büro finanzierten 2.042 Personen. Unter Storfers Leitung waren 7.054 weitere Personen zur Auswanderung gebracht worden, 1.740 davon aus der „Ostmark“, die übrigen aus dem „Protektorat“, dem „Altreich“ und aus Danzig. Am 27. September 1940, als sich die Flüchtlinge bereits auf den Hochseeschiffen in Tulcea befanden, wurde Storfer von der DDSG über die bevorstehende Endabrechnung informiert. Wieder wandte er sich an die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ in Berlin: „Wir zweifeln nicht daran, daß die bevorstehende formelle Abrechnung der D.D.S.G. auch diesmal so rücksichtslos sein wird und wir halten es für notwendig, daß die geehrte Zentralstelle schon jetzt zu unserem Schutze einen vorbeugenden Schritt unternehmen möge. Die Reichswerke Hermann Göring Akg. verwalten das ganze Aktienpaket der D.D.S.G. und es dürfte nicht schwer sein, mit jenem leitenden Herrn, der das DDSG-Referat dort innehat, sachlich zu sprechen. Jede unsere diesbezügliche Verhandlung mit Herrn Direktor Schätz ist völlig zwecklos. Er weiß, daß wir uns den Forderungen der D.D.S.G. unterwerfen müssen und ist rücksichtslos auf den Vorteil seines Unternehmens bedacht. (…) Jeder Unparteiische wird (…) einsehen, daß die D.D.S.G. (…) Standgelder schon vor der Einschiffung [in] Pressburg, also nur für das angebliche Stehen in Wien oder im Ursprungshafen der Schiffe, nicht fordern kann, dies umsoweniger, als die D.D.S.G. unserer Forderung, die beiden Schiffe in Pressburg stellig zu machen, um unsere Stellung gegenüber den Pressburger Behörden dadurch zu erleichtern, nicht entspre-chen wollte. Die D.D.S.G. hat die Schiffe in ihren Heimathäfen in Wien bzw. Korneuburg belassen. Ob die Schiffe auch kurzfristig beschäftigt wurden wissen wir nicht!‘ Die D.D.S.G. hatte von Storferund den von ihm vertretenen Organisationen auch gewaltige Kautionssum-men gefordert, eine letzte Ergänzung kurz vor der Einschiffung. Storfej hatte zunächst abgelehnt. Doch „ungefähr um Mitternacht wurde der Gefertigte zurZentralstelle Wienberufen und HerrUntersturmführer Brunner wiederholte die Aufforderung des Herrn Direktor Schötz, er sei entschlossen, die Einschiffung am darauffolgenden Tage abzusagen, wenn die Kaution nicht unverzüglich ergänzt würde. Wir waren daher gezwungen, am 3.9. früh weitere RM 100.000.- bar zu erlegen, sodaß die Gesamtkaution bei der D.D.S.G. RM 935.000.-ausmacht. Die D.D.S.G. hat die Gewohnheit, solche Kautionsbeträge als harmlos zu bezeichnen, die D.D.S.G. sei wie eine Sparkasse, an ein Unrecht sei ihrerseits nicht zu denken u.s.w. (…) Bei der Beurteilung unserer Beschwerde darf nichtübersehen werden, daß die D.D.S.G. mit ihren Schiffen ohne unsere Auswanderer leer zur unteren Donaumündung hinunterfahren müßte, um dort die Rückwanderer aus Bessarabien aufzunehmen und bei dieser Gelegenheit mit uns ein sehr gutes Geschäft macht. Der hohe Preis für Beförderung und Verpflegung von je einer Person RM 150.-, also für ungefähr 3.500 Personen RM 525.000.- macht das Doppelte des normalen Tarifes aus. (…) Ganz besonders müssen wir hervorheben, daß die D.D.S.G. uns in der Zeit vom 20.8. bis zur Einschiffung vom 3.9. wiederholt gedroht hat, die Schiffe zu entziehen und die projektierte Abfahrt zur unteren Donau anzutreten und mit uns erst im Herbst ds. J. nochmals verhandeln zu wollen. Dieses Vorhaben hat uns in die schwerste Sorge versetzt, die für uns unerläßliche Donaubeförderung zu verlieren und damit unser seit vielen Monaten vorbereitetes, kostspieliges Auswanderungsprogramm mit allen schwerwiegenden Folgen zugrundegehen zu lassen.“ (Storfer an Zentralstelle Berlin, 27. September 1940).
24 Eichmann berichtete in seinem Prozeß, er habe von der Internierung Storfers erfahren und sei persönlich nach Auschwitz gekommen. Er habe aber, da ihm Auschwitz befehlsmäßig nicht unterstand, nichts mehr für ihn tun können.