9. ‚Arisierungen‘ in Krems

‚Arisierungen‘ in Krems
An den Beginn dieses Abschnittes möchte ich zwei Aussagen stellen, die wohl am treffendsten einen Teil der Problematik illustrieren, mit der der Historiker konfrontiert wird, wenn er versucht, die Umstände und Vorgänge im Sommer 1938 näher zu beleuchten. Johanna Schöpke, die Witwe von Karl Schöpke, der als Buchhalter bei Otto Adler beschäftigt war, schreibt: „Aber vielleicht hätte er Ihnen alles erzählt. Schade, daß Sie nicht früher kamen. Viel Glück bei Ihrer Arbeit. Leicht werden Sie es ja nicht haben.1 Als „Halbjude“ mußte Schöpke unter mysteriösen Umständen Krems verlassen, floh nach England und kehrte erst als Pensionist nach Krems zurück, wo er 1972 starb. Ein Teil der Zeitzeugen ist bereits verstorben. Die Überlebenden wollen sich aus begreiflichen Gründen oft nicht mehr erinnern, wie zum Beispiel die Tochter von Otto Adler: „It took me a lifetime to get over it and now there is nothing and nobody who will make me relive the nightmare of 1938.“ Dennoch zu Interviews bereit erklärten sich Ilse Iraschek (geb. Neuberger), die Tochter der Modistin Marie Neuberger und Oskar Wolter, der Sohn des Besitzers einer kleinen Produktionsstätte für Likör und pharmazeutische Produkte. Die Täter des Jahres 1938, die „Arisierer“, sind – falls noch am Leben — nur schwer zu bewegen, über ihre Aktivitäten zu berichten. Für Krems konnte zumindest ein Gespräch mit dem Tischlermeister Hermann Geppert geführt werden, das jedoch mehr über die Art der „Vergangenheitsbewältigung“ als über die konkreten Vorgänge im Sommer 1938 aussagt. So bleiben als Ergänzung noch Interviews mit Mitarbeitern in den Betrieben, die „arisiert“ wurden, oder deren Inhaber „arisierten“. Es handelt sich dabei um Arbeiter der Tischlereien Adler und Geppert. Interviews konnten geführt werden mit: Johann Zeller, Eduard Figl, Eduard Kral. Daß in der Aufzählung der problematischen Quellenlage mit den Zeitzeugen begonnen wurde, ist kein Zufall – von den Archiven ist zumindest im Fall Krems nicht viel zu erwarten. Der Zugang zu dem historisch wertvollen Material ist entweder für immer verschüttet, wie im Fall der Rückstellungsakten, wo nur mehr die Bestände ab 1956 erhalten geblieben sind,2 oder er wird durch Bescheide versperrt, wie im Fall der Bestände der Vermögens-verkehrsstelle Reichsgau Niederdonau durch die Niederösterreichische Landesregierung. Bei den Rückstellungsakten wurden selbst die Indexbücher vernichtet, wodurch für die Zeit vor 1956 nicht einmal eine lückenlose Bestandsaufnahme der Fälle geleistet werden kann.3 Die Bestände der Vermögensverkehrsstelle werden heute noch von der Niederösterrei-chischen Landesregierung nicht freigegeben. Hieß es auf die erste telefonische Anfrage, daß überhaupt nichts vorhanden sei, wurde dem Verfasser auf eine schriftliche Anforde-rung mitgeteilt, „daß das Geheimhaltungsinteresse der Parteien (im weitesten Sinn) das Interesse an einer Veröffentlichung überwiegt. Da es sich außerdem nicht um eine Veröffentlichung im Interesse der Wahrheitsfindung handelt, liegen die Voraussetzungen für eine Entbindung von der Amtsverschwiegenheit nicht vor!‘ Diesem Schreiben waren mehrere Telefonate vorangegangen, wobei anfangs eine Einsicht in Aussicht gestellt wurde, wenn die Fälle anonymisiert werden würden. Letztlich wurde verlangt, eine Einverständniserklärung der betroffenen Parteien vorzulegen. Dem Verfasser wurde jedoch nicht mitgeteilt, von wem im konkreten Fall eine derartige Erklärung gefordert wird. Nach diesem abschlägigen Schreiben versuchte der Verfasser, doch noch eine Geneh-migung zu erhalten. Daß das Antwortschreiben der Landesregierung mit 12. März 1987 datiert ist, mag Zufall sein. Genau 49 Jahre nach dem Beginn der nationalsozialistischen Terrorherrschaft wird in einem Brief mitgeteilt, daß die Gewährung der Akteneinsicht „auch nur im Rahmen eines rechtsförmlichen Verfahrens möglich“ (ist). „Eine Entbin-dung von der Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit für Zwecke wissenschaftlicher Tätigkeit ist nicht vorgesehen, weshalb Ihrem Begehren leider nicht entsprochen werden kann.“5 Im Dezember 1989 wandte sich der Verfasser in persönlichen Briefen an eine Reihe von Persönlichkeiten, Dr. Kurt Waldheim, Dr. Franz Vranitzky, Dr. Erhard Busek, und an Landespolitiker, Nationalratsabgeordnete und Bundesräte mit der Bitte, die Aktenein-sicht für den Bestand der Vermögensverkehrsstelle bei den entsprechenden niederöster-reichischen Stellen für dieses Forschungsprojekt zu erwirken. Das Gedenkjahr war bereits vergessen, denn der Bitte um Unterstützung kam lediglich Wissenschaftsminister Dr. Erhard Busek nach. Das Schreiben habe er zum Anlaß genommen, die Niederösterreichi-sche Landesregierung zu ersuchen, zu prüfen, ob „hinsichtlich der Gewährung von Ak-teneinsicht für wissenschaftliche Forschungszwecke die Richtlinien des Österreichischen Staatsarchives (Einsicht für wissenschaftliche Arbeiten nach Ablauf von 30 Jahren nach Entstehen des Geschäftsfalles) zur Anwendung gebracht werden könne.“6 Am 10. Jänner 1990 ersuchte die Niederösterreichische Landesregierung um Mitteilung, in welche Akten der Verfasser Einsicht nehme wolle. Nachdem diesem Wunsch entsprochen wurde, hieß es, daß eine Juristenkommission diesen Fall prüfen werde. Ob die Prüfung bereits abgeschlossen ist, hat die Niederösterreichische Landesregierung dem Verfasser bisher noch nicht mitgeteilt. Wenn in der Folge dennoch für einige Betriebe bis ins Detail genau der legalisierte Raub des Sommers 1938 exemplarisch dargelegt werden kann, so bilden die Akten von Volks-gerichtsprozessen nach 1945 gegen Nationalsozialisten eine unschätzbare Quelle.‘ Für den Abschnitt über die „Arisierungen“ in Krems werden im nachfolgenden Abschnitt folgende Akten zitiert: Hermine Dragon‘, Johann Köhler9, Felix Wolf10, Alarich Zumpfe11. Ergänzende Detailinformationen, die vor allem authentische Informationen über das Interesse von Hermann Geppert liefern, konnten im Bürckel-Bestand/Personenregistra-tur des Allgemeinen Verwaltungsarchives gefunden werden.12

Das Verzeichnis Jüdischer Geschäfte
Eine nicht zu unterschätzende Informationsquelle stellt das „Verzeichnis der jüdischen Gewerbebetriebe im Verwaltungsbezirk Krems“ dar. Gemäß dieser Liste gab es 1938 30 Gewerbebetriebe in der Stadt, wobei bei zwei Betrieben unter der Rubrik „Bemerkungen“ der Zusatz zu finden ist: „Geschieden vom Gatten. Gewerbe aufrecht.“ Im konkreten Fall trifft dies auf Katharina Geiduschek zu, die ein Gast- und Schankgewerbe auf dem Täglichen Markt 4 unterhielt, und auf die Modistin Marie Neuberger in der Spänglergasse 2. Die Liste der jüdischen Gewerbebetriebe ist nicht datiert, der Hinweis auf die Scheidung von Marie Neuberger ermöglicht eine ungefähre Terminisierung der Auf-stellung. Da sich Marie Neuberger von ihrem Mann Fritz auf Druck der Kreisleitung Krems am 2.2.1939 scheiden ließ, um so das Geschäft behalten zu können, muß diese Liste nach diesem Zeitpunkt erstellt worden sein.“ Von den 28 Gewerbebetrieben findet sich bei 27 der Zusatz „zurückgelegt“. Nur im Fall der „Paga“ Schuhvertriebsges.m.b.H mit dem verantwortlichen Stellvertreter Siegfried Graubart wird eine „Arisierung“ laut Genehmigung vom 29.9.1938 der Ver-mögensverkehrsstelle angeführt.14

Anmerkungen 
1 Johanna Schöpke. Brief an den Verfasser vom 30.7.1985
2 Bestand Landesgericht für Zivilrechtssachen im Landesarchiv Wien. Die Bestände vor 1955 sind bereits ausnahmslos skartiert, das Jahr 1955 ist ebensowenig vorhanden wie das Jahr 1957. Lückenlos ist der Bestand erst ab 1958, als allerdings bereits ein Großteil der Verfahren abgeschlossen war.
3 Erhalten sind die Bücher für die Jahrgänge 1947-54 (Buchstabe N-R) 1955 ff (I-R und S-Z) und die Bücher 1960 ff komplett.
4 Amt der Niederösterreichischen Landesregierung. Brief an den Verfasser vom 16.12.1986
5 Amt der Niederösterreichischen Landesregierung. Brief an den Verfasser vom 12.3.1987 6 Dr. 6 Erhard Busek. Brief an den Verfasser vom 11.12.1989
7 Die zuständige Stelle im Landesgericht für Strafsachen zeigte sich äußerst kooperativ und ermöglichte oft in kürzester Zeit die Einsichtnahme in die Vg-Akten.
8 Vg Ih Vr 1894/45 gegen Hermine Dragon
9 Vg 3e Vr 1889/45 gegen Hermann Geppert
10 Vg 13b Vr 2650/45 gegen Felix Wolf
11 Vg 3c Vr 1486/46 gegen Alarich Zumpfe
12 AVA. Bürckel-Bestand/Personenregistratur K 68 0 139
13 Privat. Ilse Iraschek. Brief an die Sammelstelle B vom 14.2.1963. Auf die versuchte „Arisierung“ des Geschäftes von Marie Neuberger wird an anderer Stelle nocheinzugehen sein. Im Brief der Tochter von Marie Neuberger wird als Datum der 2.2.1939 angegeben.
14 „Paga“ Schuhvertriebsges.m.b.H als Zweigniederlage des Hauptbetriebes in Wien (Sterngasse 13) hatte als Geschäftsadresse in Krems die Untere Landstraße 39.

 

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