31. Wird es ein Denkmal für die vertriebenen und ermordeten Juden in Krems geben?

Wird es ein Denkmal für die vertriebenen und ermordeten Juden in Krems geben?
Im Zusammenhang mit dem erfolgreichen Versuch, die Stadtgemeinde Krems von der Notwendigkeit der Restaurierung des jüdischen Friedhofs zu überzeugen, tauchte auch der Plan auf, ein Denkmal für die ermordeten und vertriebenen Kremser Juden zu errichten. Die Bitte um eine „Wortspende“richtete der Verfasser an 50 Persönlichkeiten in Krems. Das nicht errichtete Denkmal wirft bereits als Idee düstere Schatten. Nachdem die positive Stellungnahme des ehemaligen KPÖ-Vizebürgermeisters der Stadt Krems, Karl Mörwald, im Sommer 1991 publiziert wurde, kam es in Krems zu Schmieraktionen von Neonazis. Erstmals seit 1938 war die Landstraße wieder mit „Judensternen“ verunstaltet und den Befürwortern des Denkmals wurde die „Gasdusche“ angedroht.

Irma Ehgartner (Pensionistin)
Ein Mahnmal für die Kremser Juden? Kaum. Ich rege trotzdem folgendes an: Die unscheinbare Tafel, die dort, wo einst der Judentempel stand, die verschämt hinter Sträuchern versteckt worden ist, auf einem Naturstein an die Straßenfront zu setzen. Und auf dem renovierten Friedhof einen Stein aufzustellen für alle jene Kremser Juden, die dem Holocaust zum Opfer gefallen sind. Auch die ebenso verschämt an der Hofseite der Spitalskirche angebrachte Tafel mit der Information, daß diese Kirche auf dem Areal des einstigen Ghettos errichtet wurde, gehört meiner Meinung nach an die Pforte.
Krems, 2.2.1991

Hans Frühwirth (Kulturstadtrat i.R.)
Die Stadt Krems hat den seit genau 110 Jahren auf dem heutigen Platz befindlichen Judenfriedhof renoviert. Der Tempel in der Dinstlstraße, von Josef Utz sen. 1895 errichtet, wurde im Gegensatz zum St. Pöltener Gebetshaus abgerissen. Ein Denkmal als Zeichen der Erinnerung an manches geschehene Unrecht ist berechtigt und wird von der Kremser Mehrheit sicherlich akzeptiert.
Krems, 14.1.1991

Martin Kalchhauser (Redakteur)
Den vertriebenen Juden gerade in der damaligen „Gauhauptstadt“ ein Denkmal zu setzen, sollte für uns Kremser nicht lästige Verpflichtung, sondern Gebot des reuigen Gedenkens sein.

Anna Lambert (Pensionistin)
Die Errichtung eines Gedenksteines, der die Ermordung der Kremser Juden der Nachwelt in Erinnerung halten soll, ist das wenigste, das getan werden kann für die Anerkennung der Opfer des verbrecherischen Rassenhasses. Ich hoffe vom ganzen Herzen, daß dieser Stein an einem viel besuchten Platz in der Stadt Krems errichtet wird.
Poole, England, Juni 1990

Karl Mörwald (LAbg. a.D.)
Soll in Krems ein Mahnmal für die Juden errichtet werden? Eine solche Frage wird bei manchen Kremsern Unbehagen auslösen. Ja, wir brauchen eine Gedenkstätte. Warum? Waren doch die Juden, wie die ältere und jüngere Geschichte uns lehrt, immer wieder Verfolgungen ausgesetzt. Der Antisemitismus war und ist der Nährboden von Unmenschlichkeit, auch gegen Nichtjuden. Im Gymnasium saß neben mir, der aus einer jüdischen Familie stammende Paul Pisker. Ein liebenswerter Schüler, der sich beim Turnen schwer tat. Er wurde von einer Reihe von Mitschülern verhöhnt und immer wieder als Jude beschimpft. Die Professoren schwiegen dazu. Zwei Jahre später gröhlten dieselben Schüler unbehelligt das Horst Wessel-Lied. Das war im Jahre 1935. Jüdische Familien mußten oft Schmähungen ertragen. Da war Bernhard Glass, klein von Wuchs, immer fleißig tätig als Bürstenbinder in seinem Laden in der Spänglergasse mit seinem Sohn Willy. Ich war jahrelang mit der Familie Glass befreundet. Jede Verspottung und Schmähung traf auch mich, als hätte sie mir gegolten. Im September 1938 holten die Nazis Bernhard Glass aus seinem Geschäft. Es war der Beginn der „Reichskristallnacht“. Er mußte mit anderen Kremser Juden den Judentempel ausräumen. Weil er mit seiner schweren Scheibtruhe nicht schnell genug fuhr, wurde er geschlagen und bespuckt. Viele Jahre waren die Ereignisse zwischen 1938 und 1945 tabu, man redete nicht darüber. Kein Wunder. Waren doch nicht wenige Österreicher Mitschuldige oder Mitwisser, viele, die in den Parteien unterschlüpften, von der Vergangenheit nicht reden wollten, dienten sich nach oben, kamen zu politischen Ämtern, wurden Mandatare, ja sogar Regie-rungsmitglieder. Diese Entwicklung spiegelte sich auch in unserer Stadt wider. „Was brauch ma die Juden, die Tschuschen, bei uns – des G’sindel“, hört man in verschiedenen Gesprächen. Rechtsradikale Gruppen fanden Aufnahme in unserer Stadt, sie konnten bei Wahlen sogar kandidieren. Mehr als bisher muß man diese Entwicklung verfolgen und dagegen etwas unternehmen. Die Errichtung eines Mahnmals für die ermordeten und vertriebenen Juden soll ein sichtbares Zeichen sein, daß unsere Bevölke-rung an die Verbrechen und Unmenschlichkeiten, begangen an Juden, erinnert und mahnt wachsam zu sein, damit sich derartiges nicht mehr wiederholt.
Krems im Mai 1991

Peter B. Neubauer (Psychoanalytiker)
Ich bin gebürtiger Kremser und bin dort aufgewachsen. Meine jüdische Familie mußte flüchten, meine Mutter ist im jüdischen Friedhof begraben. Ich habe davon gehört, daß die Stadtgemeinde den Plan hat, einen Gedenkstein zu errichten. Ich möchte Ihnen meine Hoffnung mitteilen, daß Sie das realisieren werden. Die jüdische Gemeinde soll ja doch nicht in der Vergangenheit verloren sein, als ob sie nie in Krems existiert hätte. Die Pietät an die Erinnerung der Ermordeten ist ein wichtiges Symbol in der Geschichte der Stadt. Die Anerkennung der Wahrheit der Geschichte ist ein Ausdruck der Reife.
New York, 20.12.1989

Bernhard Nemschitz (Pensionist)
Im Zusammenhang mit der Nachricht, daß der jüdische Friedhof in Krems renoviert wird, erlaube ich mir, eine kurze Familiengeschichte zu erzählen. Meine Urgroßeltern, Salomon und Anna Sachs, sind auf diesem Friedhof beerdigt. Auch deren Kinder, Opfer der Umstände dieser Zeit, wie das so im 19. Jahrhundert üblich war, an Fraisen und Lungenschwindsucht gestorben. Dabei dürfen wir nicht vergessen, daß es sich bei den Gräbern entlang der Westwand des Friedhofes um Gräber handelt, die erst 1936 vom alten jüdischen Friedhof, am Berg, exhumiert und wiederbeerdigt wurden. Der alte Friedhof war ein Schauplatz der Schändung und des Vandalismus. Mauern wurden abgerissen, Tierkadaver wurden begraben, Grabsteine zertrümmert. Historische Tatsachen. Ja ich erinnere mich, als es noch vor einigen Jahren unmöglich war, in dem mannshohen Unkraut des Friedhofes einen Grabstein zu finden und ich hoffe nur, daß es mir möglich sein wird, an den Gräbern meiner Vorfahren ein stilles Gebet für jene zu verrichten, deren Grabstätte kein Grabmal zeigt. Für Frieden und Verständnis und eine bessere Welt. Die Unkosten der Instandsetzung und einen Gedenkstein für die Ermordeten, deren Be-gräbnisort unbekannt ist, könnten mit den Geldern, die seinerzeit unter Druck als Spenden an die Parteikasse (?) von den Juden konfisziert wurden, finanziert werden. Dann wird sich plötzlich herausstellen, daß die Juden gar nicht so reich waren als man ihnen nachsagte oder vorgeworfen hat.
Herzlia 1.2.1990

Dr. Kurt Preiß (Abg. z. Nationalrat)
Historiker, Sozialwissenschafter, Psychologen und Politiker diskutieren darüber, ob die Menschen fähig sind, aus der Geschichte zu lernen. Zu lernen in dem Sinn, daß sie soziale und psychologische Fehlhaltungen, deren üblen Charakter man aus den Folgen heraus eindeutig feststellen kann, als solche erkennen und daraus die Motivation gewinnen, ähnliche Entwicklungen zu vermeiden oder aktiv hintanzuhalten. Im Grunde ist es ein ent-wicklungspsychologisches und dank der kaum überblickbaren Kausalitätsstrukturen letztlich ein philosophisches Problem. Manche vermeinen, daß der Kampf zwischen der Fähigkeit zu rationalem Denken, einem Spezifikum des Menschen, und den atavistischen Instinkten in uns bestenfalls ru-dimentäre Ansätze einer geistig-moralischen Höherentwicklung mit sich gebracht hat. Andere sind weniger pessimistisch, setzen auf Aufklärung, Bewußtseinsbildung, soziale Schutzmechanismen. Wie man auch immer den Stellenwert dieses Prozesses ansehen mag, ohne „Prinzip Hoffnung“ wäre keine menschliche Existenz von Sinn zu erfüllen. Deshalb soll auch die Konfrontation mit der Vergangenheit gesucht, rationale Analyse betrieben und dem Vergessen und Verdrängen wirkungsvoll begegnet werden. Dem kann gerade aus der Dimension der Zeitgeschichte, angesichts des Rückfalls in Verhaltenswei-sen der Vorzeit durch die antisemitischen Exzesse des NS-Regimes, durch die Errichtung einer Gedenkstätte an die Opfer aus unserer Mitte Rechnung getragen werden. Ich denke dabei allerdings nicht an eine Fortsetzung der Tradition „heroischer Denkmale“, sondern an eine Ausgestaltung des „Judenfriedhofes“ in Krems zu einem Mahnmal, das im Sinne meiner Ausführungen zum Nachdenken provoziert. Krems, 15.1.1991 Ewald Sacher (Vizebürgermeister von Krems) Bei der Aufarbeitung der Zeitgeschichte tun sich manche Zeitgenossen bei bestimmten Kapiteln schwer. So manches „heiße Eisen“ wird erst gar nicht angegriffen oder gleich wieder fallengelassen. Dr. Robert Streibel scheut sich nicht, ein für so manchen von uns Mitbürgern unangenehmes Kapitel aufzugreifen. Ist es nicht so, daß der Autor eine Ersatzfunktion ausübt? Daß er sich stellvertretend für uns alle mit einem Thema, das vielleicht unangenehm sein könnte, befaßt? Daß wir froh sind, wenigstens einen gefunden zu haben, der sich für uns alle den Kopf zerbricht? Viel mehr sollten wir uns alle unserer Verantwortung bewußt sein, ein dunkles Kapitel der Zeitgeschichte zu bewältigen. Wenn das neben Dokumentationen, Ausstellungen und Diskussionen auch durch ein weithin sichtbares öffentliches Symbol geschehen kann – ein Mahnmal für die vertriebenen und ermordeten Kremser Juden – dann soll dies auch getan werden. In einer Stadt mit einer 1000 jährigen kulturellen Tradition sollte dies möglich sein. Würde es auch verwirklicht, so könnten wir tatsächlich ruhigen Gewissens 1000 Jahre Krems feiern.

Gustav Strasser (Redakteur)
Ja zu einem Mahnmal, welches anhand des Schicksals und Martyriums der Juden aufzeigt, daß ein falsch verstandenes nationales Denken den Abgründen des Chauvinismus Tür und Tor öffnet. Babette Spegel (Grüne Alternative Krems) Warum gibt es noch kein Denkmal in Krems für die vertriebenen und ermordeten Kremser Juden? Es sollte schon längst dieses Denkmal geben, ein Mahnmal, als fürchter-licher Hinweis darauf, was Menschen Menschen zu jeder Zeit antun. Es gibt ein Kriegerdenkmal in Krems, es gibt eine Heldengedenkstätte in Krems. Krieger, Helden, Soldaten, leider wieder sehr aktuelle Begriffe. Opfer, Ermordete, Verfolgte, … unweit von hier – ich fürchte, daß kein Denkmal die „mal zum Denken“ bringt, die Macht, Gewalt und Kampf sowie Vernichtung anderer wollen. Vielleicht wird es in Krems jemals ein Denkmal für die vertriebenen und ermordeten Kremser Juden geben, aber sicher erst nach heftigen Diskussionen (die sicher gut sind), nach viel Scheinheiligkeit und nach unzähligen Eiertänzen, so, wie ich die hiesige Meinungslandschaft einschätze. Nicht von ungefähr kommt mir das Hrdlicka-Denkmal in Wien in den Sinn mitsamt seiner Entstehungsgeschichte. Ich hoffe, es wird in Krems jemals ein Denkmal für die vertriebenen und ermordeten Kremser Juden geben!

Dr. Ferdinand Weber (Rechtsanwalt)
Ich wünsche mir jedes Mal, wenn ich an einem der zahlreichen Heldendenkmäler vorbeikomme und diese mit Kränzen geschmückt sehe, daß es eine annähernd gleiche Anzahl von Erinnerungsstätten für die rassischen und politischen Opfer des Nationalsozialismus in unserer Stadt gäbe und daß diese Erinnerungsstätten mit gleicher Hingabe betreut werden.
Krems, 7.2.1991

Leo Zogmayer (Maler)
Leider muß ich Dir zustimmen, daß jenem fatalen Abschnitt der österreichischen Zeitgeschichte, der eine übermächtige Zahl unschuldiger Menschen, im besonderen jüdische Frauen, Männer und Kinder, ihre Heimat, ihre materielle Existenz, in vielen Fällen sogar das Leben gekostet hat, „Fernwirkungen“ auf unsere Zeit nicht abzusprechen sind.

Antisemitische Schmieraktion in Krems 1991

Deinen Optimismus bezüglich besserer neuer Zeit kann ich wenige Wochen nach dem Gemetzel im Irak und angesichts verhungernder und erfrierender Kurden unweit des Schauplatzes eines Krieges, der wieder einmal von einer überheblichen Mehrheit als ein gerechter bezeichnet wurde, leider nicht teilen. Auch hierzulande, in der ehemaligen Gauhauptstadt, hat sich in den Gehirnen und Herzen der Menschen nur wenig geändert: Die jüngste Diskussion um die Aufstellung einer Skluptur in der Kremser Altstadt wird auf dem Niveau und im Geist der „Ausländer raus“-Hetze geführt. Blinde Aggressionen werden geschürt, Argumente sind nicht gefragt. Politiker nutzen ein dumpfes, undifferenziertes Protestpotential schamlos zur Wählermobilisierung. Die Frage, ob ich für die Errichtung eines Denkmals für die Opfer der Kremser Judenverfolgung eintrete, kann ich so grundsätzlich nicht beantworten. Diese Entscheidung hängt für mich in erster Linie von der Ernsthaftigkeit und Kompetenz der Betreiber eines solchen Projektes ab. Ein traditionelles Denkmal kommt wohl nicht in Betracht. Die Auseinandersetzung mit dem Thema müßte in aller Offenheit erfolgen und sollte unkonventionelle Lösungen z.B. in Form eines Denk-Raumes, einer Dauerausstellung, einer Wandzeitung, eines Videoprojektes, eines Gedenkweges etc. ermöglichen. Die mißlungenen Versuche der letzten Zeit bedeuten für Betreiber und Teilnehmer eines Wettbewerbes eine ungeheure Herausforderung. Ich meine, daß die Zusammensetzung des Betreiberkomitees und der Wettbewerbsjury die entscheidenden Faktoren für ein erfolgreiches Projekt bildet. Nur eine professionell organisierte internationale Ausschrei-bung könnte ein denkwürdiges, vielleicht sogar beispielhaftes Ergebnis ermöglichen.

Anneliese Zykan (AHS-Professorin)
Ich halte es für unbedingt richtig und notwendig, ein jüdisches Denkmal zu errichten. Gerade die 1000-Jahr-Feier sollte auch die Schattenseiten der Kremser Geschichte beden-ken. Wir neigen hier in unserer kleinen Stadt ein wenig zur Selbstgerechtigkeit und wollen eigene Schuld nicht anerkennen. Ein Mahnmal sollte auch zur Versöhnlichkeit allen Menschen gegenüber auffordern und vor einer Wiederholung ähnlicher Schuld warnen.
Krems, 17.1.1991

Leave a comment

You must be logged in to post a comment.