Die Schwelle als Gedächtnisspeicher

Ein Bericht im ORF Mittagsjournal am 8.11.1995
Der 9. November wird im Millenniumsjahr in Krems als Tag der jüdischen Geschichte begangen. Denn morgen Nachmittag um halb drei wird am jüdischen Friedhof ein Denkmal für die vertriebenen und ermordeten jüdischen Bewohner aus Krems eingeweiht. Später wird eine Ausstellung mit dem Titel „Und plötzlich waren sie alle weg“ eröffnet. Und am Abend gibt es ein Bedenkkonzert mit dem Solisten Yossi Gutmann aus Israel. Gernot Zimmermann hat den folgenden Beitrag gestaltet.
Vor zehn Jahren begann sich der Publizist Robert Streibel in seiner Dissertation mit der Geschichte der Kremser Juden zu beschäftigen. Er recherchierte und interviewte Überlebende, die heute in Israel leben und alle beklagten:
„daß heute eigentlich nichts mehr an die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Krems erinnert. Und da sind die Pläne entstanden, ein Denkmal zu errichten, wobei zuerst die Überlegung war, ein Denkmal in der Stadt zu machen, aber da der jüdische Friedhof abseits liegt und eigentlich das letzte erhaltene Relikt der jüdischen Geschichte ist, war es dann naheliegend, auf dem Friedhof direkt ein Denkmal zu machen.“
Kunstdenkmäler, die zum Gedenken auffordern, sind immer problematisch, vor allem wenn sie Unfaßbares, Unsagbares wie den Holocaust geistig vermitteln sollen. Über die ästhetische Form solcher Denkmäler wird aller Orten diskutiert. In Berlin etwa, wo die verschiedensten Entwürfe heftig von unterschiedlichen Seiten angegriffen werden, ebenso in Wien, wo eine Lösung für ein Denkmal am Morzinplatz immer noch nicht endgültig feststeht, und Alfred Hrdlickas Skulpturen bei der Albertina noch heute oder gerade nach des Bildhauers letzten Äußerungen vielen fragwürdig erscheinen. Der Bildhauer Hans Kupelwieser hat für Krems eine schlichte Form gefunden. Ein 48 Meter langes Stahlband, das im Eingangsbereich des Friedhofs über dem Boden schwebt und in dem die Namen und Daten der 129 ermordeten Kremser Juden eingeschrieben sind. Für Hans Kupelwieser waren folgende Überlegungen von Bedeutung:
„Ein Punkt war einmal, das jüdische Bilderverbot zu berücksichtigen, was eben der Hrdlicka nicht gemacht hat. Es gibt diese Tradition der Schrift, der Schriftüberlieferung. Das zweite war, eine möglichste neutrale Gestaltung zu machen, nicht? Ob das jetzt Kunstwerk ist oder nicht, das ist mir irgendwie gleich. Es ging darum, keinen Bilderkitsch oder irgendwas in der Richtung zu machen, sondern möglichst neutral das zu machen, aber eben so, daß es doch nicht unsichtbar ist, wie es ja einige Denkmäler gibt, die nur mehr im Kopf stattfinden. Die Idee war, eine Schwelle zu errichten oder ein Hindernis. Wenn man in den Friedhof reinkommt, soll man wo anstoßen – als Hindernis oder als Schwelle -, und so ist man gezwungen, den Text zu lesen. Und da entstehen dann sowieso die Bilder im Kopf.“
Auch an Einwirkungen der Natur und der Jahreszeiten hat Hans Kupelwieser gedacht:
„Die Schwelle besteht nur aus Schrift. Also es sind Schriftgitter, sodaß auch wenn Gras wächst, das Gras durchwachsen kann durch die Schrift. Das war noch so eine zweite Idee, daß man das Gras auch immer wieder mähen muß, weil sonst wächst es einfach drüber, und man sieht gar nichts mehr.“
Viele private und juristische Personen haben an diesem ein Millionen Schilling teuren Denkmal mit Tat und Geldspenden mitgewirkt, auch ein Zeichen dafür, daß in Krems und Umgebung, wo in den letzten Jahren immer wieder Keimzellen rechtsradikalen Terrors aufgespürt wurden, ein Umdenken stattgefunden hat.
„Die, die man wahrscheinlich damit erreichen sollte, eben mit diesem Gedächtnisspeicher, das sind die, die dann wahrscheinlich eh nicht dort hingehen. Also diese Problematik gibt es schon“, sagt Hans Kupelwieser, der Schöpfer des jüdischen Denkmals in Krems.