14. Familienschicksale

AMILIENSCHICKSALE

„Nun sieht man, wie im Laufe einer kurzen Zeit die ganzen Bekannten in die Welt gestreut werden – jeder wieder ein Fleckchen Erde suchend.“

Gertrude Neubauer 1938 an ihren Vater

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13. Die übrigen ‚Arisierungen‘

Die übrigen ‚Arisierungen‘
Die übrigen „Arisierungen“ in Krems sind zur Zeit bei weitem nicht so ausführlich dokumentierbar wie im Fall Geppert und Zumpfe. Für das Sägewerk Jackes und Alfred Schafranek in Gedersdorf und den Uhrmacher Peter Bader war ebenfalls Felix Wolf als kommissarischer Verwalter bestimmt. Wie der Möbelfabrikant Johann Zinterhof‘ dazu kam, die „Arisierung“ des Betriebes in Erwägung zu ziehen, geht aus der Zeugenaussage nicht hervor. Zinterhof gelingt es, sein Engagement im Vergleich zum Verhalten von Wolf positiv zu schildern. „Felix Wolf wurde bald nach dem Umbruch als kommissarischer Verwalter eingesetzt, kümmerte sich aber wenig um den Betrieb und bezog ca. 400 RM monatlich Honorar, während ich als der in Aussicht gezogene Erwerber mit Schafranek bereits im Geschäft arbeitete.“2 Da – laut Zinterhof – auf dem Betrieb 250.000 Schweizer Franken Schulden lasteten, zogen sich die Verhandlungen bis 1941, bis die Schweizer Gläubiger die Zwangsversteigerung forderten und Zinterhof über diesen Umweg den Betrieb erwarb. Karl Frank, der Betriebsleiter der Firma Schafranek/Zinterhof datierte den Kauf des Betriebes mit 10.4.1943.‘ Felix Wolf zufolge soll noch ein „gewisser Mauricius Troll“ als Verwalter eingesetzt worden sein, von dem Zinterhof lediglich berichten kann, daß er heftigst auf die Auszahlung seines Honorares gedrängt habe. Im November 1938 inserierte „Der kommissarische Verwalter“ mehrmals in der „Land-

Verladung von zwei Maschinen von Alfred Schafranek weiterlesen

12. Sippenhaftung: Eine versuchte und eine verhinderte ‚Arisierung‘

Sippenhaftung: Eine versuchte und eine verhinderte ‚Arisierung‘
In der Liste der jüdischen Gewerbebetriebe von Krems scheinen wie bereits erwähnt, drei Geschäfte auf, bei denen jeweils nur der Ehepartner als Jude/Jüdin galt. Ludwig Radel führte einen Gemischtwarenhandel in der Göglstraße 7 und arbeitete nebenbei als Vertragsbediensteter beim Kreisgericht Krems. Da seine Frau den national-sozialistischen Gesetzen nach Jüdin war, verlor Ludwig Radel seinen Posten bei Gericht.1 In der Liste der jüdischen Gewerbebetriebe wird der 1. September 1939 als jener Termin angegeben, an dem das Gemischtwarengeschäft Radel als gelöscht galt.23 Vor der Schließung des Geschäftes waren die Glasscheiben und Auslagenregale zertrümmert worden.‘ In einem Schreiben des Polizeiamtes Krems heißt es sogar: „Die Demolierung und Sperre erfolgte durch zwei Beamte der seinerzeitigen Polizei in Krems.“5 Gleichzeitig mit der Sperre des Geschäftes verloren Ludwig und Margit Radel ihre Wohnung in der Gögelstraße 2. Sieben Jahre hindurch mußte Ludwig Radel nun in einem kleinen feuchten Loch ohne Fenster (ein Fenster wurde erst nachträglich ausgebrochen) hausen, das vorher als Lager gedient hatte. Margit Radel konnte sich zu dieser Zeit in Krems nicht sicher fühlen, („selbst unsere Wohnung (…) wurde eines Tages nächtlicherweise durch das geschlossene Fenster mit leeren Bierflaschen beschossen“)6, floh nach Wien, wo sie bis Mai 1940 als „U-Boot“ lebte. Als Aufenthaltsorte in Wien, die sie mehrmals wechselte gibt sie an: Jakob Kovacs, Rotenkreuzgasse 5/11, 1020 Wien, Ida Maurer, Lustkandlgasse 35/20, 1090 Wien (zwischen November 1938 und April 1939.), Frau Weißkopf, Fasangasse 36/4/11, 1030 Wien (in der Zeit zwischen 16.11.1939 und 14.5.1940). Bereits aus den Daten der Niederschriften und Eingaben um Wiedergutmachung, die sich bis in die 60-er Jahre ziehen, wird deutlich, wie lange sich die zuständigen Behörden Zeit gelassen haben, um die Ansuchen der Opfer zu behandeln. Die österreichische Beamtenschaft wollte es nach 1945 genau wissen. Von den Opfern wurde verlangt, auf ein, zwei Seiten ihre Ängste, Qualen und Leiden aufzulisten, um sie nachher sachlich bewerten zu können.7 Margit Radel lebte in der Zeit in Wien von Almosen. Als weitere Aufenthaltsorte dienten ihr Keller beziehungsweise Kirchen. Nachdem die letzte Quartiergeberin, Frau Weißkopf, von der Gestapo geholt worden war, stand sie ohne Anlaufstelle da. Als einziger Ausweg blieb ihr der Weg zurück nach Krems, wo sie mit ihrem Mann bis zum Jahr 1945 überlebte. Auf Besuch war Frau Radel bereits vorher nach Krems gefahren. Bei einem derartigen Besuch im Mai 1939 wurde sie beim Aufgeben eines Briefes an ihre Schwester in Paris von einer Postbeamtin angezeigt und als Spionin verhaftet. Der Arbeitgeber von Ludwig Radel, die Firma Ludwig Zafouk, bestätigte, daß die Kreisleitung mehrmals interveniert habe, da ein Mann, der mit einer Jüdin verheiratet sei, als potentieller Saboteur in einem Rüstungsbetrieb nicht tragbar sei.8 Die Opferfürsorgeakten über Margit und Ludwig Radel enthalten jedoch auch einen Beleg der innerparteilichen Bürokratie der NSDAP, in dem ein Blockleiter zumindest vorsichtig die Gerüchte über die rassische Abstammung von Frau Margit Radel in Frage stellte. Der Anlaßfall des Schreibens an die Gestapo in St. Pölten war der Entzug des Radioapparates von Ludwig Radel durch die Staatspolizei Krems. „R. ist Arier, seine Ehefrau gilt als Jüdin. Ob sie Volljüdin ist, ist nicht erwiesen. Die Ahnen der Fr. stammen aus Ungarn und dorthin sind bisher diesbezügliche Anfragen unbeantwortet geblieben. Wenn auch die Ehefrau Volljüdin wäre, gilt doch der Haushalt nach Aussage des hiesigen Kreisleiters als arisch.“9 weiterlesen

11. Die ‚Arisierung‘ des Betriebes von Oskar Wolter

Die ‚Arisierung‘ des Betriebes von Oskar Wolter
Der zweite größere Betrieb, der im Sommer 1938 seinen Besitzer wechselte, war der pharmazeutische Likörbetrieb von Oskar Wolter. Für den 64-jährigen Wolter war in diesen Tagen kein Platz mehr in Krems. Der Rechtsanwalt Dr. Alfred Stiasny, der in den Verkaufsverhandlungen Oskar Wolter jun. vertrat, der nach damaligen Gesetzen als „Halbjude“ zu bezeichnen war, erinnert sich an Äußerungen des Kreisleiters, aus denen „mit aller Deutlichkeit“ hervorging, „daß der Jude Wolter im Kreis Krems auf keinen Fall geduldet werden könnte.“ Da Oskar Wolters Einsatz für sein Haus und seinen Betrieb eine rasche Abwicklung der Eigentumsübertragung störte, intervenierte der Kreisleiter Hans Heinz Dum bei der Ver-mögensverkehrsstelle, damit Felix Wolf auch für diesen Betrieb eine Vollmacht bekom-me. Felix Wolf erinnert sich, daß er vom Standartenführer „Brondner“ (gemeint ist SA-Standartenführer Michael Brandtner, Anm. R. St.) „persönlich angegangen (wurde)“ und dieser ihm mitteilte, daß er da sei, um „die Sache Wolter in irgend einer Form zu regeln.“‚ Als Datum für den Beginn seiner Tätigkeit in der Sache Wolter gibt Wolf den 26. Oktober an. Ob dies tatsächlich zutrifft, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, da Oskar Wolter sen. und jun. angeben, daß Wolf im Juni 1938 als öffentlicher Verwalter eingesetzt worden sei. („Er kümmerte sich nicht viel und ließ meinen Vater im Betrieb weiterarbeiten.“)2 Die Schwierigkeiten, die Wolf im Juni 1938 Oskar Wolter machte, bezeichnete sein Sohn als „querulatorischer Art“. So soll Wolf kurz nach seinem Eintreffen Wolter beim Kreisleiter denunziert haben, daß er an ihm einen Bestechungsversuch unternommen hätte. Schecks für laufende Geschäftsausgaben hatte Wolf unterschrieben, um sie sofort danach bei der Postsparkasse sperren zu lassen‘ Mit dem 26. Oktober ist demnach nicht der Beginn der Tätigkeit, sondern möglicherwei-se das abermalige Eintreffen von Wolf in Krems nach einem Besuch in Wien gemeint. Um Wolter zum Verkauf zu zwingen und ihn einzuschüchtern, belagerte Anfang Oktober eine johlende und schreiende Menge unter der Führung von Leo Pilz das Haus von Oskar Wolter, wobei mit Steinen die Fenster eingeschlagen wurden. Die erste Anforderung von Polizeischutz durch Oskar Wolter sen. wurde abgelehnt, und erst nach einem Anruf des Sohnes kam die Gendarmerie – die Wolter in „Schutzhaft“ nahm. Als Folge der Aufregung mußte Wolter mit einem Blutdruck von 240 ins Kranken-haus eingeliefert werden, wo er 14 Tage behalten wurde. „Dort hat mich Primarius Dr. Kummer behandelt. Eines Morgens erschien Dr. Kummer bei mir und erklärte, daß er mich nicht länger behalten könne. Er werde fortwährend vom Kreisleiter gedrängt, mich wieder ins Polizeigefängnis zurückstellen zu lassen.“4 Aus dem Gefängnis wurde Wolter zum Kreisleiter Hans Heinz Dum gebracht, der eine Überschreibung des Hauses und des Geschäftes auf den Sohn ablehnte, und als Bedingung für die Freilassung den Verkauf an einen „Arier“ nannte. Da Wolter abermals ablehnte, wurde er weitere vier bis fünf Tage in Haft gehalten, um dann Dum abermals vorgeführt zu werden. Bei diesem Gespräch nannte Dum bereits Alarich Zumpfe als Käufer und stellte eine Schätzung des Betriebes in Aussicht. Bei dieser Verhandlung am 26. oder 27. Oktober soll der Kreisleiter Dum Wolter versprochen haben, daß er sich einsetzen werde, daß der Kaufpreis den Kindern aus dem Sperrkonto ausgefolgt werde. Nach der Zustimmung zum Verkauf wurde Wolter freigelassen und mit einem Gendar-men zum Bahnhof gebracht, der ihn in den nächsten Zug nach Wien setzte. Da die Vereinbarungen vom 26. Oktober – wie sich bei einer Besprechung in St. Pölten am 11. oder 12. November mit Dr. Hick, dem Vertreter von Alarich Zumpfe, Dr. Stiasny und Wolter herausstellte – nicht eingehalten wurden, weigerte sich Wolter zu unterschreiben. Zwei Tage später wurde Wolter von Leo Pilz und Walter Steiner in Wien abgeholt und ins Kreisgericht Krems eingeliefert.‘ Der Aufforderung Wolters, einen Haftbefehl vorzu-weisen, wurde von Pilz und Steiner nicht nachgekommen.‘ Als sich Oskar Wolter weiter weigerte, einen Kaufvertrag zu unterschreiben, teilte ihm Wolf mit, daß er in Haft bleiben würde, bis er weich werde – womit Wolf nur die Worte des Kreisleiters wiedergegeben haben will.‘ Verkompliziert‘ wird der Fall noch durch einen Zivilprozeß zwischen Zumpfe und Wolter, in dem Zumpfe Wolter auf „Zuhaltung des szt. während der Haft abgeschlossenen Vertrages, bzw. Gedenkprotokolles (möglicherweise die Abmachung vom 26. Oktober)“ klagte. Die Darstellung, die Alarich Zumpfe über diesen ungleichen Rechtsstreit gibt, bringt neue Aspekte für eine Bewertung der Situation und liefert ein Musterbeispiel einer verharmlosenden Sicht der Ereignisse. weiterlesen

9. ‚Arisierungen‘ in Krems

‚Arisierungen‘ in Krems
An den Beginn dieses Abschnittes möchte ich zwei Aussagen stellen, die wohl am treffendsten einen Teil der Problematik illustrieren, mit der der Historiker konfrontiert wird, wenn er versucht, die Umstände und Vorgänge im Sommer 1938 näher zu beleuchten. Johanna Schöpke, die Witwe von Karl Schöpke, der als Buchhalter bei Otto Adler beschäftigt war, schreibt: „Aber vielleicht hätte er Ihnen alles erzählt. Schade, daß Sie nicht früher kamen. Viel Glück bei Ihrer Arbeit. Leicht werden Sie es ja nicht haben.1 Als „Halbjude“ mußte Schöpke unter mysteriösen Umständen Krems verlassen, floh nach England und kehrte erst als Pensionist nach Krems zurück, wo er 1972 starb. Ein Teil der Zeitzeugen ist bereits verstorben. Die Überlebenden wollen sich aus begreiflichen Gründen oft nicht mehr erinnern, wie zum Beispiel die Tochter von Otto Adler: „It took me a lifetime to get over it and now there is nothing and nobody who will make me relive the nightmare of 1938.“ Dennoch zu Interviews bereit erklärten sich Ilse Iraschek (geb. Neuberger), die Tochter der Modistin Marie Neuberger und Oskar Wolter, der Sohn des Besitzers einer kleinen Produktionsstätte für Likör und pharmazeutische Produkte. Die Täter des Jahres 1938, die „Arisierer“, sind – falls noch am Leben — nur schwer zu bewegen, über ihre Aktivitäten zu berichten. Für Krems konnte zumindest ein Gespräch mit dem Tischlermeister Hermann Geppert geführt werden, das jedoch mehr über die Art der „Vergangenheitsbewältigung“ als über die konkreten Vorgänge im Sommer 1938 aussagt. So bleiben als Ergänzung noch Interviews mit Mitarbeitern in den Betrieben, die „arisiert“ wurden, oder deren Inhaber „arisierten“. Es handelt sich dabei um Arbeiter der Tischlereien Adler und Geppert. Interviews konnten geführt werden mit: Johann Zeller, Eduard Figl, Eduard Kral. Daß in der Aufzählung der problematischen Quellenlage mit den Zeitzeugen begonnen wurde, ist kein Zufall – von den Archiven ist zumindest im Fall Krems nicht viel zu erwarten. Der Zugang zu dem historisch wertvollen Material ist entweder für immer verschüttet, wie im Fall der Rückstellungsakten, wo nur mehr die Bestände ab 1956 erhalten geblieben sind,2 oder er wird durch Bescheide versperrt, wie im Fall der Bestände der Vermögens-verkehrsstelle Reichsgau Niederdonau durch die Niederösterreichische Landesregierung. Bei den Rückstellungsakten wurden selbst die Indexbücher vernichtet, wodurch für die Zeit vor 1956 nicht einmal eine lückenlose Bestandsaufnahme der Fälle geleistet werden kann.3 Die Bestände der Vermögensverkehrsstelle werden heute noch von der Niederösterrei-chischen Landesregierung nicht freigegeben. Hieß es auf die erste telefonische Anfrage, daß überhaupt nichts vorhanden sei, wurde dem Verfasser auf eine schriftliche Anforde-rung mitgeteilt, „daß das Geheimhaltungsinteresse der Parteien (im weitesten Sinn) das Interesse an einer Veröffentlichung überwiegt. Da es sich außerdem nicht um eine Veröffentlichung im Interesse der Wahrheitsfindung handelt, liegen die Voraussetzungen für eine Entbindung von der Amtsverschwiegenheit nicht vor!‘ Diesem Schreiben waren mehrere Telefonate vorangegangen, wobei anfangs eine Einsicht in Aussicht gestellt wurde, wenn die Fälle anonymisiert werden würden. Letztlich wurde verlangt, eine Einverständniserklärung der betroffenen Parteien vorzulegen. Dem Verfasser wurde jedoch nicht mitgeteilt, von wem im konkreten Fall eine derartige Erklärung gefordert wird. Nach diesem abschlägigen Schreiben versuchte der Verfasser, doch noch eine Geneh-migung zu erhalten. Daß das Antwortschreiben der Landesregierung mit 12. März 1987 datiert ist, mag Zufall sein. Genau 49 Jahre nach dem Beginn der nationalsozialistischen Terrorherrschaft wird in einem Brief mitgeteilt, daß die Gewährung der Akteneinsicht „auch nur im Rahmen eines rechtsförmlichen Verfahrens möglich“ (ist). „Eine Entbin-dung von der Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit für Zwecke wissenschaftlicher Tätigkeit ist nicht vorgesehen, weshalb Ihrem Begehren leider nicht entsprochen werden kann.“5 Im Dezember 1989 wandte sich der Verfasser in persönlichen Briefen an eine Reihe von Persönlichkeiten, Dr. Kurt Waldheim, Dr. Franz Vranitzky, Dr. Erhard Busek, und an Landespolitiker, Nationalratsabgeordnete und Bundesräte mit der Bitte, die Aktenein-sicht für den Bestand der Vermögensverkehrsstelle bei den entsprechenden niederöster-reichischen Stellen für dieses Forschungsprojekt zu erwirken. Das Gedenkjahr war bereits vergessen, denn der Bitte um Unterstützung kam lediglich Wissenschaftsminister Dr. Erhard Busek nach. Das Schreiben habe er zum Anlaß genommen, die Niederösterreichi-sche Landesregierung zu ersuchen, zu prüfen, ob „hinsichtlich der Gewährung von Ak-teneinsicht für wissenschaftliche Forschungszwecke die Richtlinien des Österreichischen Staatsarchives (Einsicht für wissenschaftliche Arbeiten nach Ablauf von 30 Jahren nach Entstehen des Geschäftsfalles) zur Anwendung gebracht werden könne.“6 Am 10. Jänner 1990 ersuchte die Niederösterreichische Landesregierung um Mitteilung, in welche Akten der Verfasser Einsicht nehme wolle. Nachdem diesem Wunsch entsprochen wurde, hieß es, daß eine Juristenkommission diesen Fall prüfen werde. Ob die Prüfung bereits abgeschlossen ist, hat die Niederösterreichische Landesregierung dem Verfasser bisher noch nicht mitgeteilt. Wenn in der Folge dennoch für einige Betriebe bis ins Detail genau der legalisierte Raub des Sommers 1938 exemplarisch dargelegt werden kann, so bilden die Akten von Volks-gerichtsprozessen nach 1945 gegen Nationalsozialisten eine unschätzbare Quelle.‘ Für den Abschnitt über die „Arisierungen“ in Krems werden im nachfolgenden Abschnitt folgende Akten zitiert: Hermine Dragon‘, Johann Köhler9, Felix Wolf10, Alarich Zumpfe11. Ergänzende Detailinformationen, die vor allem authentische Informationen über das Interesse von Hermann Geppert liefern, konnten im Bürckel-Bestand/Personenregistra-tur des Allgemeinen Verwaltungsarchives gefunden werden.12 weiterlesen

8. Die Vertreibung der Juden aus Krems

Die Vertreibung der Juden aus Krems
Da der Pogrom 1938 und die Aktionen gegen die Juden von Krems bereits im Sammelband „Der Pogrom 1938″‚ ausführlich dargelegt wurden, sei an dieser Stelle vor allem die ideologische Vorbereitung in der „Land-Zeitung“ am Beispiel der historischen Artikelserie vom Leitartikler dieser Kremser Zeitung mit dem Pseudonym „Winkelried“ ausführ-licher behandelt. In einer Phase, in der der latente Pogrom zumindest in Wien seinen vorläufigen Höhepunkt fand, als die Ortsgruppenleiter am 10. Oktober auf Anordnung des Gaues angehalten wurden zu veranlassen, daß eine „verstärkte Aktion gegen Juden einsetzen soll“,2 wobei nicht der Eindruck entstehen dürfe, „daß es sich um eine Parteiaktion handelt“, beginnt in der „Land-Zeitung“ die Artikelserie: „Von Schönerer zu Hitler. 3x Österreich.“ Am 12. Oktober 1938 erscheint auf der ersten Seite die erste Geschichte, die sich in der Folge als Lebensgeschichte des langjährigen „Land-Zeitung“-Mitarbeiters „Winkelried“ entpuppt. weiterlesen

6. Antisemitismus in Krems

Antisemitismus in Krems
Der Antisemitismus gehörte in Krems zum guten Ton, der in allen Gesellschaftskreisen und je nach Parteizugehörigkeit in unterschiedlicher Vehemenz gepflegt wurde. Die „Land-Zeitung“ der Familie Faber versorgte ihre Leser mit exklusiven Informationen über die „Judenfrage,“ und so war sie es auch, die über das Buch des nordamerikanischen Autoindustriellen Henry Ford „Der internationale Jude“ berichtete, als noch nicht einmal eine Übersetzung des Werkes vorlag, in dem festgestellt wird, daß der Krieg in allen Staaten eine „Steigerung der Judenmacht“ gebracht habe.‘ Unterstützt wurde diese Stimmung noch durch diverse völkische und nationale Vereine. So forderte Dr. Ursin auf einer Versammlung der Großdeutschen Volkspartei im März 1922 in Krems, den Kampf auf allen Gebieten zu führen. „Und wenn alle Juden einstens nach Palästina ausziehen, dann wollen wir die besten Musikkapellen aufnehmen und ihnen als letztes aufspielen lassen: Auf Nimmer-Wiedersehen!“2 Diese Forderung blieb nicht ungehört, wenngleich es noch des Weines bedurfte, um die Zunge zu lösen und die Fäuste sprechen zu lassen. Der Bericht in der „Land-Zeitung“ über eine Rauferei im Cafe Bilek in der Schwedengasse, im Dezember 1922, verdeutlicht diese Stimmung. Weil der Zugsführer des Inf. Reg. Nr. 6 Heinrich Hofmann, mit seiner Gesellschaft im Cafehaus keinen Platz mehr gefunden hatte, waren schnell die Juden als Schuldige gefunden; es sei eben kein Platz, weil die Juden hier immer Karten spielen würden. Zur Beruhigung des angeheiterten Hofmann forderten ihn einige Gäste auf, doch etwas auf der Mandoline zu spielen. Dies lehnte Hofmann jedoch ab, denn vor Juden spiele er nicht, und außerdem „müßten heute noch ein paar Juden hin sein.“‚ Im Zuge des Raufhandels soll der Fleischhauergehilfe Fritz Schlesinger die Mandoline auf dem Kopf von Hofmann zerschlagen haben. Obwohl während der Verhandlung im Mai 1925 die Entlastungszeugen, unter anderen David Baß und Arthur Neuner, aussagten, daß Schlesinger nur Zuschauer gewesen sei und einige Belastungszeugen sich erst nach eineinhalb Jahren als Zeugen meldeten, wurde Schlesinger zu drei Monaten schweren Kerkers verurteilt. weiterlesen

4. Vom Alltag zur Vertreibung

„Heilmann an Unbekannt. Versuche aus dem dichten Gewebe einiges herauszuholen, von dem sich ablesen läßt, was uns widerfahren ist. Auch wenn ich glaubte Einsicht zu haben in vieles, ist alles jetzt so ineinander verschlungen, daß ich nur winziger Fäden habhaft werden kann. Du, an deinem Ort, besitzt größeren Überblick, kannst vielleicht einmal, wenn dich meine Zeilen erreichen sollten die Zusammenhänge deuten.“

Peter Weiss:
Die Ästhetik des Widerstands

                                                                                       Max Fleischer
Entwurf für die Synagoge in Krems
ca. 1890

 

Buch: Und plötzlich waren sie alle weg

Die Juden der Gauhauptstadt Krems und „ihre“ Mitbürger.
Picus Verlage Wien 1989.
(zur Zeit vergriffen)

  1. Vorwort
  2. Zum Geleit
  3. Einleitung
  4. Vom Alltag zur Vertreibung
  5. Das Leben der Juden von Krems
  6. Antisemitismus in Krems
  7. Von Theoretischen zum Praktischen Antisemitismus
  8. Die Vertreibung der Juden aus Krems
  9. „Arisierungen“ in Krems
  10. „Eine aufgedrängte ‚Arisierung‘? Die Beteiligten, die Täter und das Opfer“
  11. Die „Arisierung“ des Betriebes von Oskar Wolter
  12. Sippenhaftung: Eine Versuchte und eine verhinderte „Arisierung“
  13. Die übrigen „Arisierungen“
  14. Familienschicksale
  15. „Die Illusion, mit einem anderen Namen überleben zu können. Die Familie Max Kohn“
  16. „‚Noch heute vergieße ich Tränen‘ Das Schicksal der Familien Grinblatt und R.“
  17. „‚Unsere schönsten Jahre hat man uns gestohlen‘ Walter Stulz, bekannt bis Kalkutta, geflüchtet nach Schanghai“
  18. ‚Ich habe nichts anderes zu tun, als mich zu erinnern‘ Die Briefe des Alfred Silbermann
  19. „‚Als ob es gestern gewesen wäre.‘ Brief von Paul Pisker aus Palästina an seinen Schulfreund Karl Slatner in Krems“
  20. „‚Ein guter Fußballer, leider ein Jud‘
    Josef Nemschitz beim Kremser Sport-Club“
  21. Das Schicksal der vertriebenen Kremser Juden 2
  22. Die Juden des Landbezirks Krems
  23. Die ‚Gauhauptstadt‘ war niemals ‚judenfrei‘
  24. Lebendige Geschichte
  25. Vielleicht hat die Welt noch eine Chance auf friedlichere Zeiten? Aus den Briefen von Abraham Nemschitz
  26. „Kein Friedhof mit Bahnanschluß. Der jüdische Friedhof in Krems wird renoviert“
  27. „Nachgeborene, unschuldige Täter und verdrängte Spuren. Auf den Spuren der Kremser Juden in Wien“
  28. „50 Jahre nach dem Pogrom ‚Mich wundert, daß überhaupt jemand gekommen ist'“
  29. „Kann man Schachtelhalme vermissen? Eindrücke bei einer Wanderung durch Krems mit Robert und Hilde Kohn“
  30. Ohne Kommentar
  31. Wird es ein Denkmal für die vertriebenen und ermordeten Juden in Krems geben?
  32. Tagebuch einer Flucht
  33. Abraham Nemschitz: Als Palästina eigentlich Liberia hieß
  34. Tagebuch Josef Nemschitz 3.9.1940-21.9.1941
  35. Gabriele Anderl: Anorldstein und retour Die Flucht auf der ‚Draga‘ und der ‚Ely‘
  36. „Ist Krems besser als sein Ruf? Der Versuch eines Resümees“
  37. Anhang

2. Zum Geleit

Die profunde Aufarbeitung eines kurzen düsteren Abschnittes unserer Stadtgemeinde durch Dr. Robert Streibel ist nicht nur im Hinblick auf das nahende Stadtjubiläum „1000 Jahre Krems 1995“, bis zu welchem gerade die neuzeitliche Geschichte niedergeschrieben werden soll, von großer Wichtigkeit. Mit viel Engagement, mit bewundernswert weitläufigen Nachforschungen und einer lebendigen Darstellung hat Dr. Robert Streibel die letzten Jahre dieser jahrhundertelang in unserer Stadt beheimateten jüdischen Gemeinde ausgeleuchtet. Er hat damit auch schon vor Drucklegung des Buches manches bewirken können. Nach nahezu 50-jähriger Scheu weiter Kreise, sich mit dem Thema der Juden in Krems in den Jahren 1938 bis 1945 zu befassen, wurde durch Dr. Streibels Recherchen das Schicksal der Kremser Juden von damals in das Licht der Öffentlichkeit gerückt. Eine der erfreulichen Folgen war das Gemeinschaftswerk der Restaurierung des jüdischen Friedhofes in Krems in den Jahren 1989 bis 1991 durch Stadt, Land, Bundesdenkmalamt, Sozialministerium und den Schülern der „Höheren Technischen Lehranstalt für das Bauwesen“ hier in Krems. Ein Gang durch diesen jüdischen Friedhof muss nunmehr jeden denkenden Menschen nachdenklich stimmen. Begegnet er dort doch nicht nur vielen Namen aus dem Buch Dr. Streibels, sondern spürt er dabei auch die Mahnung eines dunklen Kapitels unserer Stadtgeschichte. Wenn die Zielsetzung dieses Buches, durch dokumentarische Kommunikation einen Wall gegen zukünftige Menschenverachtung und Menschenvernichtung aufzurichten, vielleicht eine vage Hoffnung bleibt, so ist sie auf alle Fälle eine höchst notwendige.

Erich Grabner
Bürgermeister der Stadt Krems