‚Als ob es gestern gewesen wäre.‘ Brief von Paul Pisker aus Palästina an seinen Schulfreund Karl Slatner in Krems
13.1.1947
Lieber Karl!
Vielen Dank für Deinen lieben Brief, den ich mit großer Sehnsucht schon lange erwartet hatte, aber auch mit einer gewissen Sicherheit, denn eine innere Stimme sagte mir, wenn es auf dieser Welt noch ein Fünkelchen Gerechtigkeit gibt, und daran glauben wir doch alle noch, so darf Dir lieber Karl und Deiner Familie nichts passiert sein. Und Gott sei Dank hat sich das auch bewahrheitet und so seid Ihr zu meiner und meiner ganzen Familie Freude, heil aus dem Weltchaos herausgekommen. Wir haben all die ganzen Jahre
Paul Pisker nach der Gründung Israels
als Polizist in Akko (2. Reihe, 1. v.l.)
Der Radiohändler Karl Slatner, 1946
hindurch so oft von Euch allen gesprochen, hoffentlich habt Ihr nicht jedes Mal Schnackerlstoßen gehabt. Vor allem muß ich von meinen Eltern und Trude die allerbesten Grüße an Euch alle ausrichten… Sehr betrübt habe ich das tragische Schicksal, das über viele von unseren ehemaligen Kollegen gebrochen ist, zur Kenntnis genommen… Waltet doch über uns allen ein gar zu mächtiges Geschick, dessen Fügungen wir hilflos ausgesetzt sind. Wir wollen weder an Vergangenem tadeln und kritisieren, wobei wir weder Tote lebendig machen können noch begangenes Unrecht sühnen, sondern mutig in die Zukunft schauen, auf daß Gerechtigkeit und Menschlichkeit wieder über uns Erdenwürmern regieren. Wenn ich so Deinen Brief lese, und das habe ich dutzendemale getan, Du schreibst mir über Ärzte, verheiratete Männer mit Kindern, Witwen usw. und ich habe sie alle noch in Erinnerung, wie sie mit mir die Schulbank gedrückt haben, das ist ein Zeichen Karl, wie alt wir werden. Ich bin noch Junggeselle und habe auch für die nächste Zeit keine ehrbaren Absichten (…) Über Deine siebenjährige Geschichte habe ich nur eine Beschwerde, daß sie zu kurz gehalten ist, speziell was Dich anbelangt, darüber schweigst Du Dich ganz aus, doch nicht aus übergroßer Bescheidenheit. Darfst eines nicht vergessen, wenn wir auch fast sieben Jahre ohne jeglichen Kontakt gewesen sind, so sind es doch so viele Dinge, die wir gemein haben, eine gemeinsame Jugend, vom Kindergarten, Schule, bis zu einer Zeit, wo wir bereits beide eine gewiße Reife erreicht haben, wo die eigentliche harte Schule des Lebens begonnen hatte. Obwohl uns tausend Kilometer trennen, so ist es mir, als ob es gestern gewesen wäre, Dein Haus, Einfahrt mit dem Opel, Dein Zimmer, die gütigen Reden Lily’s, die Weisen des Korvinus Mathias, der Schrebergarten, wo wir unsere ersten Kugeln geschossen, unsere ersten Zigaretten und Pfeifen geraucht, wo sich unsere ersten Lieben abspielten. (…) Welten sind entstanden und versunken, aber die es überlebt haben, sind Menschen mit all Ihren Schwächen geblieben. Den Ort und die Zeit, wo man geboren wurde und seine Kindheit verbrachte, lohnt sich nicht aus dem menschlichen Gedächtnis zu streichen, darum bitte ich Dich, mir viel über Krems zu berichten. (…) Von unserem Zurückkommen kann vorläufig überhaupt keine Rede sein, vielleicht werde ich einmal einen Besuch machen. (…)
Das Allerbeste von Deinem alten Freund Paul