Den Toten die Lebenden geraubt

Zur Eröffnung von Clegg/Guttmanns öffentlicher Bibliothek auf dem Jüdischer Friedhof Krems

Robert Streibel, 12.12.2004

Ist jeder Friedhof Geschichte? Auf Friedhöfen liegen abgeschlossene Geschichten. Im Judentum legt die Besucherin, der Besucher beim Besuch eines Grabes einen Stein auf das Grab. Dies kann auch so gedeutet werden, dass am Bau des Toten weitergebaut wird. Die Geschichte ist nicht vollendet. Der jüdische Friedhof in Krems ist Geschichte. Auf diesem Friedhof werden sie keine oder nur ganz wenige Steine finden. Hier wird an keinen Geschichten mehr gebaut.

Dieser Friedhof ist Geschichte und ist Teil einer Geschichte. Hier ist Vergangenheit begraben. Nicht nur die Toten, die Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Krems und Umgebung waren und die wir kennen, auch unbekannte Tote liegen hier, denn bei der Errichtung der Installation von Clegg/Guttmann sind wir in nur 20 Zentimeter Tiefe auf Überreste von Menschen gestoßen, wo keine Gräber waren.

Hier liegt auch Vergangenheit, die zu lange verdrängt wurde. Die Vergangenheit ist nicht anonym 127 Namen sind es hier auf dem Denkmal von Hans Kupelwieser. Wo gibt es noch Orte an denen die Vergangenheit nie vergessen sein wird. Wer einen Friedhof besucht, der hat ein Bild eine Geschichte des Toten, der Toten präsent. Die Vergangenheit wird hier nicht vergessen werden, doch die Möglichkeit des nicht Wissens, des Nicht-mehr-Wissens ist hier größer. Ein jüdischer Friedhof wird für die Ewigkeit angelegt und die Steine als Erinnerung sind auch eine Befestigung der Grabstätte. Doch die Ewigkeit dauert in dieser Stadt oft auch nur einige Jahrzehnte, denn der zweite jüdische Friedhof auf dem Turnerberg musste Mitte der 30er Jahre aufgelassen werden und die Toten überführt werden, weil es zu massiven Grabschändungen gekommen war.

Kunstwerke sind wie Steine An diesem Friedhof finden sie keine Steine, hier wird nicht mehr gebaut und befestigt, doch hier finden sie nun zwei Kunstwerken, zwei Installationen. wer diesen Friedhof besucht, der hat hier keine Verwandten, keine Bekannten. Die, für die das noch zutrifft, die sind an einer, an zwei Händen abzählbar. Sie leben in Wien, in Deutschland, in Israel und in New York und manche wie der Psychoanalytiker Bela Neubauer besuchen den Friedhof und das Grab seiner Mutter via Internet. Und doch sind heute weit mehr gekommen und kommen zu verschiedenen Anlässen nicht nur wenn Denkmäler eingeweiht werden, um zum Beispiel hand an die Geschichte zu legen und den Friedhof wieder begehbar zu machen, um die Geschichte zu erleben

Die Verlassenheit dieses Friedhofs ist ein Ergebnis der Geschichte, die den Toten die Lebenden geraubt hat. Doch halt es war kein anonymes Walten, Mörder waren am Werk, kleine und große und sie hatten Helfer und Wegschauer.

Der jüdische Friedhof hier ist der letzte Platz, wo die Geschichte der Juden von Krems noch erlebt werden kann, eine lange Geschichte so alt die Stadt Krems selbst und wenn die Stadt im nächsten Jahr 700 Jahre feiert so ist dies eine einmalige Chance sich dieser Geschichte, die hier zwischen diese Mauern verbannt wurde, bewusst zu werden.

Ich hoffe, dass diese Chance ergriffen wird und muss mich sofort korrigieren, denn Hoffen ist etwas Passives und ich habe meine Zweifel ob dies genügt. Um die ganze Geschichte erfahren zu können, wissen zu können war in den letzten Jahrzehnten nicht wenig Aktivität notwendig und daran wird sich wohl auch in Zukunft nichts ändern. Daher hoffe ich, dass die, die heute hierher gekommen sind tätig werden. Für die Toten gibt es keine Lebenden mehr, doch wir können ihnen und uns die Geschichte geben und eine Neugestaltung des Friedhofswärterhauses würde die Basis dafür legen.