Der letzte Besuch
Abraham Nemschitz besucht vielleicht zum letzten Mal den jüdischen Friedhof in Krems.
Robert Streibel
Eigentlich sollte er zu Hause sein in Herzlia in Israel und seine Sauerstoffmaske tragen, mindesten 15 Stunden am Tag hat der Arzt gemeint, denn seine Lungen spielen nicht mehr mit und das Herz und… Ein Mal wollte er aber noch kommen und den Friedhof seines Urgroßvaters besuchen, einmal noch am merh als 40 Meter langen Denkmal entlang gehen und ein letztes Gebet vor der in Metall ausgfrästen Namen seiner Onkeln und Tanten und Cousinen sprechen. Abraham Nemschitz ist an diesem Donnerstag vielleicht zum letzten Mal nach Krems gekommen.
Er war es, der vor 15 Jahren für den Historiker Robert Streibel den Anstoß gegeben hat, die Geschichte der Juden aufzuarbeiten, er hat den Kontakt zu den in Israel lebenden Juden hergestellt und hat sie überredet über ihre Erinnerungen zu sprechen. Das Buch „Und plötzlich waren sie alle weg“ ist nur ein Ergebnis dieses Bemühens. Diese Dokumentation war eine der ersten Geschichten über jüdische Gemeinde in einer Kleinstadt und der Titel des Buch wurde fast zu einem Synonym für Verdrängung und Verharmlosung, für einen österreichischen Umgang mit der Geschichte, der lange Jahre Praxis war. Das Denkmal von Hans Kupelwieser, die begonnene Restaurierung des Friedhofes, das Denkmal für Anna Lambert am Steinertor sind andere kleine Zeichen in der ehemaligen Gauhauptstadt.
Ein Mal noch wird das Efeu vom Grabstein von Richard Sachs und von Salomon Sachs vom Stein gelöst, damit er die verwaschene Schrift sehen kann, im Jahr 1936 hat Abraham mit einigen jüdischen Jugendlichen mitgeholfen die Überreste der auf dem Turnerberg begrabenen Juden auf diesen Friedhof zu überführen. Die Auflösung eines jüdischen Friedhofes ist im jüdischen Ritus nicht vorgesehen, aber die Schändungen in Krems in den 30er Jahren waren so vehement, dass die Gebeine der Toten überführt wurden. „Knochen für Knochen haben wir in die Holzkisten gezählt“, erinnert sich Abraham Nemschitz. Gegen das Vergessen anzukämpfen ist scheinbar fast ein aussichtsloses Unterfangen.
Mit ein Mal Rasenmähen ist es auch in einem Garten nicht getan. Das Gras wächst durch das Metallband von Hans Kupelwieser. Abraham Nemschitz ist nach diesen 15 Jahren auch ein bißchen enttäuscht. „Viel ist passiert und doch das Friedhofswärterhaus ist noch immer nicht restauriert, das kostet vielleicht 20.000 Euro, nicht mehr.“ Kostenschätzungen hat es gegeben, der Verein für den jüdischen Friedhof hat sich bemüht, doch das Haus verfällt, und nach einem Regen ist der Friedhof nicht zu betreten, es sei denn man scheut ein riesiges Schlammloch nicht. „Das Haus wäre der passende Ort für eine ständige Ausstellung, für eine Dokumentation über die Juden in Krems, kein großes Museum, aber ein Zeichen.“ Die bereits existierende Ausstellung hängt in den beiden devastierten Räumlichkeiten, eine Sinnbild fast für die trotz vieler Bemühungen noch immer bestehende Achtlosigkeit.
Alle Bemühungen für eine Renovierung des Hauses sind bisher gescheitert. „Ich habe immer geglaubt ich erlebe die Einweihung dieser kleinen Gedenkraums noch. Und wer wird sich in Zukunft wirklich um den Friedhof kümmern? Der Verein hat viel erreicht, aber jetzt scheint es fast, als wären alle Bemühungen umsonst.“
Abraham Nemschitz hat sich gegen seine Ärzte durchgesetzt und ist zu einem Besuch in Österreich aufgebrochen. „Vielleicht kann ich nächstes Jahr noch ein Mal kommen mit meinen Kindern und Enkelkindern. Das hängt vom Herrn ein Stockwerk höher ab.“ Viel Zeit gibt es nicht mehr, um das Begonnene in Krems zu beenden.