Die Illusion, mit einem anderen Namen überleben zu können Die Familie Max Kohn
Die Familie Kohn ist seit dem Jahre 1873 1 in Krems ansässig. Sie war aus Lackenbach, damals Komitat Ödenburg gekommen. Robert Kohn erinnert sich, daß sein Großvater den ursprünglich jüdischen Namen Nachman auf Neumann ändern ließ. Der Grund – die Verschleierung der Herkunft – liegt auf der Hand, zwei Generationen später sollte Robert Kohn, der Enkel, einen ähnlichen Schritt tun, und seinen Namen auf Hall umändern lassen. Die Illusion, mit diesem Namen in Österreich überleben zu können, hatte er allerdings nicht. Der Vater Robert Kohns, Max Kohn, wurde 1875 in Krems geboren und lernte seine spätere Frau Franziska in Wels kennen. "Jemand hatte die Ehe vermittelt und mein Vater wurde nach Wels geschickt. Nach der Hochzeit hat er in Linz ein Geschäft eröffnet in der Wiener Reichsstraße."2 Die Geschäfte gingen nicht gut, und so übersiedelte die Familie nach Krems. "Wir waren eine Familie, die die jüdischen Gebräuche einhielt und die mit dem Judentum verbunden war, aber nicht im jüdisch-orthodoxen Sinn. Es gab kaum fromme Leute, und die Gebräuche wurden nur sehr oberflächlich eingehalten, aber es gab einen absoluten Zusammenhalt zwischen den einzelnen Mitgliedern der jüdischen Kultusgemeinde. In dieser Atmosphäre sind wir aufgewachsen."
DAS GESCHÄFT
"Mein Vater war ein Kaufmann und hatte in Krems, Untere Landstraße, einen kleinen Laden für Schuhe und Kleider. Seine Kundschaft waren meist Bauern aus der Umgebung. Unser Geschäft war am Anfang des Ersten Weltkrieges ein gutgehendes Geschäft. Mein Vater war nicht sehr tüchtig und hat es schlechter geführt als meine Mutter in den Kriegsjahren, wobei man einräumen muß, der Warenhunger war sehr groß während des Ersten Weltkrieges. Meine Mutter hat es ja verstanden, uns Waren zu verschaffen und hat auch viel eingetauscht. Da ein ungeheurer Lebensmittelmangel war, hat sie für unseren persönlichen Bedarf Ware gegen Lebensmittel eingetauscht. So haben wir keinen Hunger gelitten. Allerdings, den Geschäftsleuten ist es allgemein, trotz der Not in Österreich, nicht schlecht gegangen. Unser Geschäft war ein altmodischer Laden. Mein Vater hat während der zwanziger Jahre oft daran gedacht, ihn zu vergrößern oder zu verschönern, aber es fehlten immer die Mittel. Wir hatten ein Schaufenster und einen Eingang, ein schlauchartiges Geschäft ohne Seitenlicht. Außerdem war das Schaufenster mit Holztüren zu schließen. Tagsüber hingen an den Holzläden Waren. Mein Vater nannte das ‚Aushang‘, das waren meist Bauernhosen, Bauernschuhe, Stiefel, alles ohne Preis. Im Schaufenster lagen bessere Schuhe, Stadtschuhe, Tanzschuhe. Die Textilware kaufte mein Vater in Wien. Da hat es immer Schwierigkeiten gegeben, mein Vater war ein kleiner Kaufmann, er bekam Kredit immer nur für 30 Tage. Das war in der flauen Zeit schwer. In späteren Jahren ging er eine vorübergehende Partnerschaft ein. Ein Wiener Kaufmann ohne Geschäft kaufte Artikel zweiter Wahl und gab sie dann billig ab, zu diesem Zweck tat er sich mit meinem Vater zusammen und verstand es die Ware anzupreisen. Er verteilte Flugzettel in der Stadt: `Der billige Verkauf bei Max Kohn hat begonnen‘. Der Partner war kein Jude, ein richtiger Wiener, ein dicklicher Mann, sehr humorvoll. Wenn er im Geschäft gesessen ist und die Bücher geführt hat, hat er einen Spruch gehabt, den hat er immer gesagt: ‚Wo ist denn mein Walzerl?’a. Das wird so 1927/28 gewesen sein. Nachdem die Familie Karpfen im Jahre 1933 Krems verlassen hat, übergab sie meinem Vater den Handel mit Fellen und Weinstein, den sie in Krems aufgebaut hatte. Die Karpfen, nach ihrer Lagerhalle in der Mitterau in Krems ist auch der Karpfenstadl benannt, kauften Felle, Weinstein und Lumpen von den Bauern und schickten das dann an Wiener Fabriken. Mein Vater hat dann das als Nebengeschäft bis zu seiner Emigration weitergeführt. Mein Vater war im Ersten Weltkrieg eingerückt und war drei Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft. Von seinem Kriegseinsatz sind ihm große Narben auf den Waden geblieben. In diesem Zusammenhang fällt mir ein Beispiel für den Antisemitismus in ‚ruhigeren‘ Zeiten ein. Die Kriegsgefangenen aus Rußland hatten in Krems eine Vereinigung. Der Vorsitzende war ein Malermeister Fürst aus Krems, der über Umwege mit uns sogar verwandt war – was ihm natürlich gar nicht paßte. Einmal ist ein Kamerad zu meinem Vater gekommen und hat ihn aufgefordert, zur Zusammenkunft zu kommen. Mein Vater zögerte lang, ging dann aber doch einmal hin. Der Fürst war der Vorsitzende, am Beginn stand er auf und sagte: `Da ist der Max Kohn, er möchte Mitglied werden. Hat jemand etwas dagegen?‘ Nach dieser Szene ging mein Vater dann nicht mehr hin. Wenn
Das Geschäft von Max Kohn in der Unteren Landstraße 36
Max und Franziska Kohn
mit ihren Kindern Alice und Robert 1914
es eine Vereinigung aller Kriegsgefangenen gibt, hätte man ihn doch automatisch akzeptieren müssen, da er doch auch Kriegsgefangener gewesen war. Wie überall kamen die Kremser Juden zu den Feiertagen zusammen um zu beten. Man nannte das’Drei-Tage-Judentum‘, die restliche Zeit nahm man es mit den Ritualen nicht so genau: Die drei Feiertage sind die beiden Neujahrstage und der große Fastentag Yom Kippur. Da fand man den Tempel voll und alle Gebete wurden genau nach Vorschrift gebetet. Es gab nur.ganz wenige Familien die sich an die Vorschriften hielten und nur geschächtetes Fleisch aßen. Der große Teil lebte ziemlich frei, was Speise und Trank betraf. Aber der Kontakt mit der jüdischen Gemeinschaft und der jüdischen Tradition war da."
ANMERKUNGEN
1 Hannelore Hruschka. Die Juden in Krems. Bd.2. S. 287
2 Robert Kohn. Interview
3 Ebd.
4 Gemeint ist eine Walze mit Löschpapier