Abraham Nemschitz: Als Palästina eigentlich Liberia hieß

Der Schreiber dieses Tagebuches war mein Vater, und es bedarf einer kurzen Erklärung, wie es geschrieben wurde. Mein Vater mußte im Jahr 1906 sein Studium im Technologischen Gewerbe-Museum abbrechen, weil sein Vater plötzlich starb. Er war 16 und ging in eine Wäschefirma in die Lehre. Dies war auch der Grund, warum er 1911 zum Militär mußte, um die dreijährige Dienstpflicht zu erfüllen. Eine einfache Rechnung ergibt, daß er auf diese Weise sieben Jahre, bis Ende des Ersten Weltkrieges, beim Militär war. Mein Vater war bei den 84ern in Krems stationiert und es war üblich, daß jüdische Soldaten bei den jüdischen Familien zu den jüdischen Feiertagen eingeladen wurden. So lernte er meine Mutter kennen, diese befreundete sich auch mit seiner jüngeren Schwester in Wien, wo sie eine Modeschule besuchte, und 1915 heirateten sie. Kein Zweifel, daß diese Jahre seinen Charakter sehr beeinflußt haben. Von nicht geringerem Einfluß war seine Leidenschaft zum Fußball. Er begann in der Jugendelf des F.C. Vienna (sie wohnten in Döbling, nahe der Hohen Warte), spielte später beim W.A.C., bei der Hakoah und in Krems. Tatsache ist, daß er in Israel bis 1948 als Schiedsrichter tätig war. Dies geht auch aus dem Tagebuch hervor. Was in keiner Weise ersichtlich ist, sind die Jahre, die er als Geschäftsreisender verbrachte. Er bereiste das Waldviertel für Wäschefirmen, und war von Montag bis Freitag auf Tour. Von 1928 fuhr er im eigenen Auto (ein alter Fiat 1911) und ich hatte des öfteren Gelegenheit, ihn in den Schulferien zu begleiten. weiterlesen

Ist Krems besser als sein Ruf? Der Versuch eines Resümees

Am Ende dieser Detailstudie über die Juden der Gauhauptstadt Krems bleiben eine Menge offener Fragen. Sich dieser Tatsache bewußt zu sein, bedeutet gleichzeitig, den Prozeßcharakter der Geschichtsforschung zu akzeptieren. Neben zusätzlichen Informationen, die zu einzelnen Familien und Vorgängen noch gefunden werden können, drängt sich auch die Frage auf, inwieweit die Judenverfolgung in Krems sich von der in anderen Kleinstädten in Niederösterreich unterschieden hat. Eine Möglichkeit des Vergleichs bestünde nun in einer Untersuchung der Tatsache, wie schnell und bereitwillig die von übergeordneten Stellen angeordneten Befehle zur Verfolgung der Juden von den lokalen Behörden ausgeführt wurden, oder ob Anordnungen durch bürokratische Maßnahmen hinausgezögert wurden. Die dürftige Quellenbasis für Krems und die fehlenden Vergleichsstudien zu anderen niederösterreichischen Kleinstädten weisen dieses Vorhaben als Projekt für die Zukunft aus. Vorsichtige Rückschlüsse auf die Besonderheiten in bezug auf die Behandlung der Juden lassen die im Band "Widerstand und Verfolgung in Niederösterreich" publizierten Listen über die Vertreibung der Juden vom März 1938 bis zum Jahr 1940, die auf Angaben der Israelitischen Kultusgemeinde beruhen. Diese Daten und ihr Vergleich erscheinen als eine Möglichkeit, den Terror meßbar zu machen, denn die unterschiedliche Bereitschaft der Juden, bereits vor dem Pogrom im November 1938 die Heimatstadt zu verlassen, muß wohl auf die unterschiedliche Intensität der Judenhetze zurückgeführt werden. Die im folgenden angestellten Überlegungen mögen als Denkanstoß im Prozeß der Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus angesehen werden.

Die Vertreibung der Juden aus Niederösterreich

Gänserndorf1934 » 334 / 1938 » 120 / vertrieben » – / 1.11.1938 1 » –
Hollabrunn1934 » – / 1938 » 334 / vertrieben » rund 134 / 1.11.1938 1 » rund 200
Horn1934 » 134 / 1938 » – / vertrieben » – / 1.11.1938 1 » rund 40
Mistelbach1934 » 308 / 1938 » – / vertrieben » – / 1.11.1938 1 » 138
Waidhofen1934 » – / 1938 » – / vertrieben » – / 1.11.1938 1 » 202
Amstetten1934 » – / 1938 » 200 / vertrieben » 30 / 1.11.1938 1 » rund 170
Tulln1934 » – / 1938 » 300 / vertrieben » 49 / 1.11.1938 1 » 251
Neunkirchen1934 » – / 1938 » 141 / vertrieben » 89 / 1.11.1938 1 » 52
Stockerau1934 » – / 1938 » – / vertrieben » – / 1.11.1938 1 » 61
Krems1934 » – / 1938 » 116 / vertrieben » 51 / 1.11.1938 1 » 65
Wiener Neustadt1934 » – / 1938 » 646 / vertrieben » 231 / 1.11.1938 1 » 415

Für Niederösterreich ergibt sich in bezug auf die Vertreibung der Juden folgendes Bild, wobei auch die Tatsache zu berücksichtigen ist, daß zwischen Städten, die innerhalb des 50 Kilometer breiten Korridors entlang der tschechoslowakischen Grenze gelegen sind, und den übrigen Städten und Orten unterschieden werden muß, da die Vertreibung der Juden innerhalb der 50 Kilometerzone neben rassischen Überlegungen auch mit dem Sicherheitsfaktor begründet wurde. Demnach verließen 43,9% der Juden, die im März 1938 noch in Krems lebten, die Stadt, 40,1% die Stadt Hollabrunn und 35,7% der Juden die Stadt Wiener Neustadt im selben Zeitraum, während es in Neunkirchen 63,1% gewesen sein dürften. Die Vergleichszah-len mit anderen niederösterreichischen Städten zeigen, so weit die publizierten Listen stimmen, daß es sich dabei um Spitzenwerte handelt, denn "nur" 18% der Juden von Tulln und 15% der Juden von Amstetten entschlossen sich in diesem Zeitraum, ihre Stadt zu verlassen.

Juden in Niederösterreich im März 1940

Baden » 43
Amstetten und Umgebung » 53
Korneuburg » 6
Krems » 16
Stockerau » 4
St. Pölten mit eingemeindeten Gemeinden » 38
St. Pölten Umgebung » 58
Wiener Neustadt und Umgebung » 21
Tulln und Umgebung » 23

Werden nun die Zahlen der Statistik der Kultusgemeinde Wien über die im März 1940 noch in Niederösterreich lebenden Juden in Vergleich gesetzt zum Wochenbericht der Kultusgemeinde vom 1. November 1938 so kommt man zum Schluß, daß von den beim "Anschluß" in Wiener Neustadt lebenden Juden nur mehr 3,2% noch in der Stadt und in der Umgebung anzutreffen waren, während es in Krems immerhin noch 10% der Juden waren. Noch eklatanter wird der Unterschied, wenn man von den Anfang November in der Stadt lebenden Juden ausgeht. Von den 65 Juden in Krems lebten im März 1940 immerhin noch 24,6% in der Stadt, während es vergleichsweise in Wiener Neustadt nur 5% waren. Ist die Gauhauptstadt Krems, das Zentrum der illegalen Bewegung, besser als ihr Ruf? Einen Beleg für diese Nachlässigkeit, was das Streben der Gauhauptstadt, judenfreie Stadt zu werden, betrifft, kann auch in der Land-Zeitung gefunden werden, wenn zum Beispiel der Stadtarchivar Dr. Plöckinger in einem Artikel über die historische Vertreibung der Juden aus der Stadt geradezu nostalgisch zu dem Schluß kommt: "wie einig war man sich im Mittelalter in der Freude über die Entfernung des Volksfeindes."2 In dieselbe Richtung zielt auch die Ankündigung einer Wanderausstellung des rassenpolitischen Amtes in Krems Anfang des Jahres 1939, in der es hieß: "daß es den Gegener des Nationalsozialismus noch vielfach gelingt, auf dem Gebiet der Rassenlehre und der nationalsozialisti-schen Rassenpolitik die Dinge und Begriffe zu verwirren und oft sogar bis in unsere Reihen hinein Unheil zu stiften."3 Nach der Erfassung der "Glaubensjuden" im Jahr 1940 wurden auch die restlichen Juden aus Krems geholt und nach Wien gebracht. Durch die Tatsache, daß in Krems kein Büro der Gestapo untergebracht war, wurden, soweit bisher bekannt ist, von Krems nur in einigen wenigen Fällen Personen direkt in ein Konzentrationslager gebracht. Die Juden mußten Krems verlassen und nach Wien übersiedeln, von wo sie dann deportiert wurden, sofern ihnen nicht die Ausreise, beziehungsweise Flucht geglückt ist. Verhaftungen wie noch im Jahr 1942 in Wiener Neustadt "wegen aufreizenden Verhaltens gegenüber der arischen Bevölkerung" wie dies im Fall der vier Familienmitglieder der Familie Ignaz Seckl für Wiener Neustadt belegt ist, gibt es in Krems nicht. Somit muß, auf der Grundlage der bislang zugänglichen Materialien, eine differenzierte Bewertung der Judenverfolgung in Krems angestellt werden. In Krems erreichte der brutale, handgreifliche Antisemitismus vom März bis zum November 1938 ein derartiges Ausmaß, daß mehr als 40 Prozent der Juden die Stadt verließen, nach dem Pogrom im November dürfte den verbliebenen Juden kein großes Augenmerk mehr geschenkt worden sein. Ob diese Zahlen bereits Rückschlüsse auf die Politik der lokalen NSDAP-Führer und der Stadtverwaltung erlauben, kann nicht gesagt werden, da für diese Zurückhaltung, die mangelnde Freude über die Vertreibung, wie sie im Artikel in der "Donauwacht" angesprochen wurde, sonst keinerlei Hinweise gefunden wurden, auch die Interviews in dieser Richtung keine Aufschlüsse erlauben. Eine Variante, die auch noch in Betracht gezogen werden müßte, ist die Tatsache, daß es sich bei den verbliebenen Kremser Juden um Personen handelte, deren Durchschnittsalter bei über 60 Jahren lag, wobei 85 Prozent Frauen waren, die in der Stadt nicht so bekannt waren wie die vertriebenen Geschäftsleute. Ob hier Nachlässigkeit oder Vergeßlichkeit am Werk war, bleibt dahingestellt, jedenfalls wurden alle Juden nach der verordneten Erfassung durch die Kultusgemeinde aus Krems deportiert, während in Wiener Neustadt noch im Jahr 1942 Juden anzutreffen waren. Während bislang nur die Vertreibung der Juden nach dem "Anschluß" untersucht wurde, darf jedoch nicht vergessen werden, daß der Antisemitismus kein Importprodukt aus Deutschland war, sondern zu einem Markenartikel Österreichs zählte. Für Krems kann in diesem Zusammenhang festgestellt werden, daß mehr Juden die Stadt vor dem Einmarsch der Deutschen verließen als im Zeitraum von März bis November 1938, denn seit 1930 waren 55 Juden ausgewandert oder vorwiegend nach Wien übersiedelt, während die Terrorpolitik des Nationalsozialisten "nur" 51 Juden aus der Stadt vertreiben konnte. Aufgeschlüsselt nach Jahren ergibt sich folgende Verteilung des Exodus der Juden von Krems vor 1938, wobei die Prozentzahlen immer den Anteil der Juden angeben, die der Stadt Krems den Rücken kehrten, kehren mußten.

Flucht der Juden aus Krems 1930 – 1937

1930 » 3,6%
1931 » 5,4%
1932 » 14,5%
1933 » 21,8%
1934 » 20%
1935 » 9%
1936 » 12,7%
1937 » 12,7%

So verließen im Jahr 1930 3,6 Prozent der in der Stadt lebenden Juden ihre Heimat. Im Vergleich mit den Jahren vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich stechen besonders die Jahre 1932-1934 ins Auge. In diesen Jahren emigirierten vor allem jene Familien nach Palästina, wie die Interviews zeigten, die durch ihre im Geiste der zionistischen Jugendbewegung erzogenen Kinder motiviert waren.

ANMERKUNGEN

1 Diese Angaben beziehen sich auf den "Wochenbericht der Israelitischen Kultusgemeinde Wien betreffend Kultusgemeinden in Niederösterreich am 1. November 1938."
2 Donauwacht 11.11.1939.
3 Donauwacht 6.1.1939.

Erhebungsresultat 2

Erhebungsresultat 1

Gabriele Anderl: Anorldstein und retour Die Flucht auf der ‚Draga‘ und der ‚Ely‘

Fritz und Abraham Nemschitz gelang ebenfalls per Schiff bereits im November 1938 die Flucht nach Palästina. Für Fritz Nemschitz hatte die Flucht bereits Wochen vorher begonnen und in Arnoldstein geendet, da die Italiener die Einreise verweigerten, weil das Schiff für die Weiterfahrt nach Palästina nicht bereitstand. Nach der Rückkehr nach Wien wurde die Gruppe reorganisiert und konnte schließlich noch vor dem Novemberpogrom auf zwei DDSG-Dampfern Wien verlassen. Unter den 1000 Jugendlichen befanden sich die beiden Kremser Fritz und Abraham Nemschitz. Die Hintergründe und die organisatorischen Vorbereitungen für diese von Willy Perl und der revisionistischen Jugendbewe-gung durchgeführten Transporte leuchtet Gabriele Anderl in ihrem Beitrag aus.

Nachdem Willy Perl Österreich verlassen hatte, um vom Ausland aus, weitere Palästina-Transporte zu organisieren, kam es unter den in Wien verbliebenen Mitarbeitern seines Büros zu einem Eklat: sie stießen Mosche Krivoshein (Deckname Galili), einen der Initiatoren der illegalen Alija, aus dem Unternehmen aus. Perl empörte sich, denn er schätzte Krivosheins organisatorisches Talent und seine guten Kenntnisse des Schmugglermilieus und der Verhältnisse in den Balkanländern. Paul Haller hatte den Vorfall provoziert. Auch er gehörte zum extremen Flügel der österreichischen Revisionisten und war ein brillianter Ideologe‘, besaß aber wenig praktische Erfahrung bei der Organisierung von Transporten. Er erhielt von Eichmann die Erlaubnis, zur Beschaffung von Schiffen nach Griechenland zu fahren. In Athen leistete er für den Dampfer "Socrates" eine Vorauszahlung von 2.000 Pfund. Das Schiff sollte zu einem bestimmten Termin nach Fiume fahren und von dort 1.000 illegale Einwanderer nach Palästina bringen. Inzwischen waren 220 ideologisch gut vorbereitete Jugendliche aus der revisionistischen Jugendbewegung "Betar" in einer dramatischen Reise mit mehreren gefährlichen Grenzübertritten aus Osteuropa, großteils aus Polen, nach Fiume gebracht worden? Perl befand sich zu diesem Zeitpunkt in London. In Wien war bereits eine weitere Gruppe von 800 Personen reisefertig und wurde von der Gestapo unter An-drohung der Einweisung in ein Konzentrationslager zur baldigsten Abfahrt gedrängt. Nun stellte sich heraus, daß Haller Gaunern aufgesessen war, die sich als Besitzer eines Schiffes ausgegeben hatten, das ihnen gar nicht gehörte. Nun waren sowohl das Schiff wie die wertvollen Devisen, die die deutsche Nationalbank für diesen Transport aufgrund einer Sondergenehmigung zur Verfügung gestellt hatte, verloren. Die in Wien wartende Gruppe, die über all diese Vorgänge nicht informiert war, wurde von Wien aus in einem Spezialzug Richtung Fiume auf den Weg geschickt. An der Grenze, in der kleinen Station Arnoldstein, wurde der Transport gestoppt: die Italiener verweigerten die Einreise, weil an der Adria kein Anschlußschiff bereitstand. Der Zug blieb in der Grenzstation etwa zwei Wochen lang stehen, Eichmann drohte täglich, den ganzen Zug nach Dachau zu leiten. Zugleich drohten die Italiener, die 220-Betar-Leute nach Polen zurückzuschicken. Es gelang Perl und seinen Mitarbeitern, einen neuen Partner aus dem griechischen Schiffsgeschäft zu gewinnen: den großen Reeder Davaris und seinen Vertreter, Constan-tine Nikolopoulos. Es wurde vereinbart, daß der Dampfer "Draga", ein altes, aber gutes Schiff von 230 Tonnen, sofort nach Fiume geschickt würde. Darüber hinaus versprach der Reeder, sich das Geld, um das Haller betrogen worden war, von den Gaunern zurückzu-holen und die Summe als Anzahlung für die "Draga" zu akzeptieren. Einen Tag, bevor die "Draga" in Fiume eintraf, beorderte Eichmann den Zug von Arnoldstein zurück nach Wien, um, wie er es genannt haben soll, "die Komödie zu beenden".3 Nach ihrer Rückkehr wurde die Gruppe für einen neuen Transport reorganisiert, nachdem die Gestapo einem weiteren Auswanderungsversuch zugestimmt hatte. Die "Draga" kam am 20. September 1938 in Fiume an. Die 220 Jugendlichen aus Polen, Litauen und Lettland gingen gemeinsam mit 26 weiteren jüdischen Flüchtlingen an Bord. Auf dem Schiff, das nur zur Hälfte gefüllt war, befand sich auch ein junger, schweigsamer Mann, der sich "Johnny" nannte. Erst als sich das Schiff der palästinensischen Küste näherte, gab er seine Identität preis. Er war in Wirklichkeit Schmuel Tagansky, gebürtig in Palästina und der Vertreter der Landeorganisation, des Irgun Zwai Leumi (der revisionistischen Untergrundarmee in Palästina). Tagansky übernahm nun das Kommando über das Schiff. Während der Reise stellte die Crew Forderungen nach höherer Entlohnung, was Davaris zunächst verweigerte. Das Schiff ankerte daraufhin vor einer kleinen griechischen Insel. Wasser und Vorräte wurden knapp. Davaris mußte letztlich aus Rücksichtnahme auf die Passagiere nachgeben. Durch diese Verzögerung verfehlte die Draga das Landungsschiff "Artemissia" an dem vereinbarten, etwa 20 Meilen von der Küste entfernten Treffpunkt. Dieses kleine Schiff hatte wieder und wieder die britische Blockade durchbrochen und wurde, wie Perl behauptet, zum meistgejagten Schiff im östlichen Mittelmeer. Auch der zweite Versuch eines Rendezvous‘ klappte nicht. Zwei als Araber verkleidete Reiter und Leute mit Signallampen standen schon an der Küste in Wartestellung. Einige Eged-Busse (bis heute die nationale Bus-Gesellschaft) warteten in der Umgebung auf die Flüchtlin-ge. Die Landung fand erst am Jom Kippur-Tag statt. Perl reiste kurz nach der Abfahrt der "Draga" von Fiume nach Athen, wo er Davaris und seinen Vertreter kontaktierte. Er arrangierte die sofortige Rückkehr der "Draga" nach Erfüllung ihrer ersten Mission und die Beschaffung eines weiteren Schiffes, der "Ely", und veranlaßte die Umgestaltung der beiden Frachtschiffe für den Transport von Perso-nen. Davaris verlangte einen Preis von 12 Pfund pro Passagier. Nach wie vor war die Frage der Transit-Visa ungeklärt. Ein Wiener Mitarbeiter von Perl, der Historiker Dr. Paul Diamant, hatte die Idee, die Donau, die aufgrund einer internatio-nal ratifizierten Konvention als freier Wasserweg galt, zu benutzen. Die "Draga" sollte nach Galatz in Rumänien, mehr als 100 Kilometer stromaufwärts von Sulina, fahren. 1.000 Flüchtlinge sollten von Wien nach Galatz kommen, die 800 "Arnoldsteiner" plus 200 weitere. Einige Mitarbeiter Perls machten inzwischen die Leute für die Abfahrt am 1. November reisefertig. Wenige Tage vor dem Novemberpogrom traf sich die auf 1.090 Menschen angewachsene Gruppe, bestehend hauptsächlich aus Jugendlichen, alle mit Rucksäcken ausgerüstet, bei der Reichsbrücke. Mit zwei DDSG-Raddampfern unter Hakenkreuzfahne, der "Minerva" und der "Grein", fuhren sie Richtung Donaudelta ab.4 Während die beiden Schiffe unterwegs waren, wurden in Rumänien hektische Vorberei-tungen getroffen: die Schiffe wurden umgestaltet, Vorräte beschafft. Die behördliche Genehmigung zur Umschiffung der Passagiere mitten auf der Donau mußte besorgt werden. Unter den Flüchtlingen auf der "Minerva" und der "Grein" befanden sich auch 150 Häftlinge aus Dachau, deren Freilassung Perl unter der Garantie, sie in seinen nächsten Transport einzureihen, erwirkt hatte. In Rumänien kamen noch weitere 60 Juden hinzu, 46 davon vom "Betar". Die übrigen stammten aus anderen Ländern und waren in rumänischen Gefängnissen gesessen, weil sie ohne Pässe und Visa die Grenze überschrit-ten hatten, um von Rumänien nach Palästina weiterzufahren. "Johnny" Tagansky war im Auftrag des Irgun an Bord der "Draga" geblieben. Die "Draga", ein 230-Tonnen-Dampfer, sollte dieses Mal 550 Passagiere transportieren. Die Bedingungen auf der "Draga" und "Eli", besonders die Raumnot, waren noch nicht so kraß wie bei den meisten späteren Transporten. Die Reise verlief ohne Schwierigkeiten. Bei der Ankunft sollte erstmals ein neuer Landeplatz benutzt werden. Der Strand von Tantura bei Benjamina wurde bereits von der Polizei überwacht. Der neue Platz war in Natanya, eine rein jüdische, damals noch kleine Stadt 20 Meilen nördlich von Tel-Aviv. Der Strand, der von der Stadt aus nicht sichtbar war, lag günstig. Ein Kinobesitzer stellte seinen Saal als Versteck für die Einwanderer nach der Landung bereit. Die Landung der "Ely" und der "Draga" funktionierte jedoch nicht reibungslos. Ein Artikel in einer rumänischen Zeitung hatte die Abreise der "Draga" publik gemacht, womit das Schiff stärker als die "Ely" exponiert war. Die beiden Schiffe fuhren deshalb getrennt. Die "Draga" änderte ihren Namen auf "Libertad" und fuhr, statt unter paname-sischer unter spanischer Flagge. Das Schiff traf die "Artemissia" am vereinbarten Platz. Wie immer stiegen Frauen und Kinder zuerst um, dann kamen die "älteren" Leute (bei diesem Transport war noch kaum jemand über 30). Während die "Artemissia" 300 der 544 Passagiere der "Draga II" an Land brachte, wurde die "Draga II" von einem britischen Kriegsschiff entdeckt und mußte sofort losfahren. Obwohl sie sich außerhalb der Dreimei-lenzone befand und infolgedessen nicht angehalten werden konnte, folgte ihr das Kriegsschiff. Der Kapitän der "Draga" entfernte sich im Zickzack von der Küste. Die Flucht vor dem viel schnelleren Kriegsschiff war aussichtslos, aber zumindest konnte die Aufmerksamkeit von der "Artemissia" abgelenkt werden, die sich bereits innerhalb der Dreimeilenzone befand. Das Kriegsschiff verfolgte die "Draga" zwei Tage lang, offenbar damit ihr die Kohle ausgehen und sie einen türkischen Hafen anlaufen würde. Die Briten besaßen zu dieser Zeit gute Kontakte zur Türkei und damit Möglichkeiten, eine Beschlagnahmung des Schiffes zu veranlassen. Die Türken allerdings waren wenig an der Aufnahme jüdischer Flüchtlinge interessiert. Als das Schiff zwei Tage in einem türkischen Hafen stand, tauchte unerwartet – veranlaßt durch Davaris – die "Ely" auf und ankerte an der Seite der "Draga". Obwohl die "Ely" noch alle 620 Passagiere an Bord hatte, wurden die restlichen 250 von der "Draga" auf die "Ely" umgeschifft. Zwei Tage später gelang allen Passagieren der "Ely" – wieder mit Hilfe der "Artemissia" – die unbemerkte Landung in Natanya.

ANMERKUNGEN

1 Paul Haller hatte auch ein Buch geschrieben, das kurz vor dem "Anschluß" erschienen war: Nationalrevolutionärer Zionismus. Untersuchung und Proklamation, Wien 1938.
2 Dort war der junge Menachem Begin, später ein prominenter israelischer Politiker, gerade Kommandant des Betar geworden und hatte selbst die Auswanderergruppe zusammengestellt.
3 Perl berichtet in seinem Buch davon, daß die Gruppe gehungert und gedurstet habe, sich rund um den Zug stinkende Haufen von Exkrementen und Abfällen angesammelt hätten und die Jugendlichen kurz vordem Selbstmord gestanden seien, Paul Haller und sein Bruder Heinrich hätten sich vor physischen Attacken schützen müssen. Teilnehmer des Transportes bestreiten dies. Ihren Berichten nach wurden sie von der einheimischen Bevölkerung mit Lebensmitteln versorgt und lebten beinahe wie in einem Jugendlager, mit Zählappellen etc.(Perl 1983, S. 96).
4 Perl berichtet, die SS habe bis zur Abreise gedroht: "Sie [die Flüchtlinge] gehen entweder auf die Donau oder in die Donau". Eichmann soll auch bei der DDSG interveniert haben, um sie zur tatkräftigen Unterstützung der "Entjudungsmaßnahmen" zu motivieren.

Gabriele Anderl: ‚Entweder ihr verschwindet über die Donau, oder in der Donau‘ Die Flucht österreichischer Juden nach Palästina

Josef Nemschitz aus Krems war einer der mehr als 3.500 jüdischen Flüchtlinge aus Österreich, Deutschland, Danzig und dem „Protektorat Böhmen und Mähren“, die mit dem von Berthold Storfer organisierten großen Flüchtlingstransport nach Palästina im Herbst 1940 den Fängen der Nationalsozialisten entkamen. Es war der letzte derartige Transport aus dem „Reichsgebiet“ vor dem offiziellen Auswanderungsstop im Herbst 1941. Mit dem deutschen Überfall auf den Balkan im Frühjahr 1941 waren die letzten gangbaren Verkehrswege abgeschnitten. Nach dem Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion im Juni 1941 eröffneten sich für die Nationalsozialisten neue Möglichkeiten der „Lösung der Judenfrage“, die Weichen wurden auf Vernichtung umgestellt. Vor 1941 jedoch, als durch die nationalsozialistische Vertreibungspolitik ein Entkommen noch möglich war, hatte die „freie“ Welt immer hermetischer ihre Tore vor den andrängenden jüdischen Flüchtlingsscharen verschlossen. War Großbritannien bis Kriegsbeginn noch vergleichsweise großzügig bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus dem deutschen Machtbereich, so betrieb es in seinem Mandatsgebiet Palästina eine äußerst restriktive Politik. Noch vor der formalen Übernahme des Mandates hatten sich die Briten 1917 in der „Balfour-Deklaration“ zur Förderung der Errichtung einer nationalen jüdischen Heim-stätte in Palästina verpflichtet. Zwischen 1918 und 1939 wuchs die jüdische Bevölkerung Palästinas von 56.000 auf 475.000. weiterlesen

50 Jahre nach dem Pogrom ‚Mich wundert, daß überhaupt jemand gekommen ist‘

Die Wahl des Bundespräsidenten Dr. Kurt Waldheim und das Gedenkjahr 1988 haben die Geschichte Osterreichs zu einer aktuellen, tagespolitischen Frage werden lassen. Im folgenden seien Ausschnitte aus den Briefen ehemaliger Kremser an den Verfasser zitiert, um der tiefen Betroffenheit und den Befürchtungen der Opfer jenen gebührenden Platz einzuräumen, den die Republik ihnen bis heute – sieht man von Sonntagsreden ab – verwehrt hat.

 

Kurt Hruby (Paris)
21. Dezember 1988
„‚Krems und die Kristallnacht‘. Ich finde, Ihre Gruppe hat viel Mut, um aus diesem Anlaß gerade dort etwas zu unternehmen, wo man doch eindeutig den Wunsch hat, das alles möglichst dem Vergessen anheimfallen zu lassen. Mich wundert wirklich, daß überhaupt jemand gekommen ist. Übrigens fand ja der ‚kleine Pogrom‘ in Krems schon im Juni statt, anläßlich der Sudetenkrise, als man die Inneneinrichtung der Synagoge zerstörte, um angeblich Platz für die Unterbringung der Sudetenflüchtlinge zu schaffen. Und da die Synagoge schon ‚geleert‘ war, ist sie auch baulich erhalten geblieben, bis sie dann die Kultusgemeinde Wien vor Jahren auf Abbruch verkaufte. Nachher mußte ja, wie Sie wissen, ein Prozeß geführt werden, weil sich der Besitzer des Nachfolgehauses weigerte, eine Gedenktafel anbringen zu lassen, die dann im Inneren des Hauses ihren Platz fand. Das liegt ganz im Sinne dieses Verdrängens. Diese (…) Fabers von der ‚Landzeitung‘ haben ja schon Jahre vorher immer wieder darauf hingewiesen, daß die ‚Synagogenruine‘ (die ja gar keine war, zumindest baulich nicht) eine Gefahr für die Vorübergehenden darstelle. Nun, das ist ja alles Vergangenheit und die Leute, die mit diesen Ereignissen persönlich zu tun hatten, werden immer weniger.“ weiterlesen

Wird es ein Denkmal für die vertriebenen und ermordeten Juden in Krems geben?

Im Zusammenhang mit dem erfolgreichen Versuch, die Stadtgemeinde Krems von der Notwendigkeit der Restaurierung des jüdischen Friedhofs zu überzeugen, tauchte auch der Plan auf, ein Denkmal für die ermordeten und vertriebenen Kremser Juden zu errichten. Die Bitte um eine „Wortspende“richtete der Verfasser an 50 Persönlichkeiten in Krems. Das nicht errichtete Denkmal wirft bereits als Idee düstere Schatten. Nachdem die positive Stellungnahme des ehemaligen KPÖ-Vizebürgermeisters der Stadt Krems, Karl Mörwald, im Sommer 1991 publiziert wurde, kam es in Krems zu Schmieraktionen von Neonazis. Erstmals seit 1938 war die Landstraße wieder mit „Judensternen“ verunstaltet und den Befürwortern des Denkmals wurde die „Gasdusche“ angedroht.

Irma Ehgartner (Pensionistin)
Ein Mahnmal für die Kremser Juden? Kaum. Ich rege trotzdem folgendes an: Die unscheinbare Tafel, die dort, wo einst der Judentempel stand, die verschämt hinter Sträuchern versteckt worden ist, auf einem Naturstein an die Straßenfront zu setzen. Und auf dem renovierten Friedhof einen Stein aufzustellen für alle jene Kremser Juden, die dem Holocaust zum Opfer gefallen sind. Auch die ebenso verschämt an der Hofseite der Spitalskirche angebrachte Tafel mit der Information, daß diese Kirche auf dem Areal des einstigen Ghettos errichtet wurde, gehört meiner Meinung nach an die Pforte.
Krems, 2.2.1991 weiterlesen

Kann man Schachtelhalme vermissen? Eindrücke bei einer Wanderung durch Krems mit Robert und Hilde Kohn

"Schachtelhalme, die habe ich seit damals nicht mehr wieder gesehen, die gibt es bei uns nicht." Der Mensch lebt mit oder ohne Schachtelhalme. Kann man Schachtelhalme vermissen? Eine sonderbare Frage, sicherlich. Die Suche nach Schachtelhalmen stand am Ende eines intensiven Rundganges durch Krems. Robert und Hilde Kohn wanderten durch die Stadt ihrer Jugend. Robert Kohn, mit seinen Eltern im Jahr 1910 nach Krems übersiedelt, lernte seine Frau Hilde, die aus Schlesien stammt, in Krems kennen. Eine Geschichte, die es noch zu erzählen gibt. Nach fast 60 Jahren besuchen sie wieder die Orte ihrer Jugend, Plätze, die mit einer vernichteten jüdischen Kultur verbunden sind. Und am Ende dieses Tages fällt der Satz: Ich möchte nur einmal ganz kurz im Wald spazieren gehen, denn das kann man bei uns nicht. Bei diesem Spaziergang tauchen plötzlich die Schachtelhalme der Jugenderinnerung auf. Auf dem kurzen Wegstück zwischen Kleinwien und Göttweig gibt es aber keine Schachtelhalme. In einer Zeit, in der die Abge-stumpftheit gegen die Erinnerung vertriebener Juden durch das wehmütige Klischee ersetzt wurde, können nur wenige Äußerungen berühren. Vielleicht ist die Suche nach den Schachtelhalmen eine solche Szene. Die neue Heimat, Palästina, jetzt Israel, ist eben doch ein Land ohne Schachtelhalme, ohne – hier ließe sich so manches einsetzen…

"ICH MÖCHTE MIT KEINEM KREMSER REDEN"

Begonnen hat der Besuch mit einer Autofahrt von Wien nach Krems und dem Versprechen, das mir abgenommen wurde: "Ich möchte mit keinem Kremser reden." Warum? Es blieb unausgesprochen. Ich kenne seine Vergangenheit nicht, er könnte ein Nazi gewesen sein … Die Annäherung an Krems beginnt mit Geschichten: Zum Beispiel auf der Höhe der Burg Kreuzenstein. "Einmal haben wir da in der Realschule mit dem Religionslehrer Holzer einen Ausflug zur Burg Kreuzenstein gemacht, das war an einem Samstag. Zur gleichen Zeit feierte Bela Neubauer seine Bar-Mitzwa. Damit wir bei dieser Feier anwesend sein können, schärfte uns der Vater von Bela, der Kantor Samuel Neubauer ein, wir sollen in der Schule melden, daß Juden am Sabbat nicht reisen dürfen und deswegen zu Hause bleiben würden. Der Holzer ist fuchsteufelswild geworden. `Was ist denn das jetzt auf einmal?‘ Da hatte er recht, denn mit den Bräuchen haben wir es nie sehr genau genommen. Wir sind zu Hause geblieben. Kreuzenstein habe ich nie gesehen." Rechtzeitig, bevor wir die erste Station passieren, beim Kreisgericht in Krems ("Ich habe nicht in Erinnerung, daß es so groß ist, da hat man eine falsche Erinnerung!") beginnt die Vorgeschichte der Beziehung von Robert und Hilde: Es war die Brieffreundschaft zwischen zwei Mädchen, die andere war Marion Wasservogel, deren Vater das Elektrogeschäft am Anfang der Landstraße hatte. "Wir haben uns einige Zeit geschrieben und dann habe ich die Marion zu uns nach Haus eingeladen, als Erkennungszeichen habe ich ein Täschchen gehabt, das sie mir geschickt hatte. Der Zug kam an, die Mutter und Marion stiegen aus. Das erste, was ich gehört habe, war: ‚Koit is.‘ Ich habe mir damals nur gedacht, wenn die Leute schon Englisch sprechen müssen, dann sollen sie wenigstens ‚It is cold‘ sagen. Es hat einige Zeit gedauert, bis wir uns aneinander gewöhnt haben." Zwischenstation am Ansichtskartenständer nach der Galerie am Stadtpark: Das Steinertor, wie gehabt, das Brauhaus, ja dort hat der Adler die Bar gemacht, und nach einem Blick in die Auslage: Diesen Marillenlikör hat doch der Wolter erzeugt, mein Gott. Unklarheiten über die Geographie: Beginnt die Ringstraße nicht hier? Die Suche nach dem Geburtshaus des Vaters in der Margaretenstraße. Der Blick zu den Englischen Fräulein: Ach, meine älteste Tante, die Julie Wolf, die ist dort in die Schule gegangen, obwohl sie Jüdin war. Einige Schritte zur Wegscheid: Da sieht man den oberen Teil unseres Hauses, man konnte nicht durchgehen, aber von unserem Dachboden haben wir in ihr Fenster hineingeschaut.

ZWISCHEN STERBEDATEN UND FILZPATSCHEN

Und dann die Überraschung: Den Friseur, den Jaksche, gab es damals auch schon, wahrscheinlich der Sohn. Die Sirene heult, die Vergewisserung kommt schnell, ist das wohl immer so am Samstag? Da oben bin ich geboren, im ersten Stock haben die Karpfen gewohnt. Wo früher das Geschäft des Vaters war, hängen heute Zeitungen. Es kommt doch zu einer Begegnung mit einem Kremser: "Guten Tag, Kurt Jaksche mein Name, sind sie nicht der Kurt? "Der Kurt Karpfen wohnte im ersten Stock, mein Vater hatte das Geschäft unten, ich bin der Robert Kohn und meine Eltern haben dann im Mondschein-Haus gewohnt." "Ja, ihrem Vater habe ich immer die Haare geschnitten und der hatte wunderschöne Filzpatschen. Ich hatte doch meine Jugend zwischen den beiden Geschäften." Sterbedaten werden ausgetauscht und Erinnerungen." "Die Väter sind immer vor dem Geschäft gestanden, es war j a nicht viel zu tun und ihr Vater hat herüber gerufen: Herr Jaksche, mein Robert macht Gold. Bei Kleinkindern war das wichtigste ja der Stuhlgang, verstehen sie." Lokalgeschichte: Neben dem Friseurgeschäft des Vaters war zuerst die Mehlhandlung Provin und dann das Textilgeschäft des Juden Bieler, das Haus zur Billigkeit. "Kein Kremser, dem hat aber das Haus gehört", meint Jaksche. " Das war das Tragische, der Bieler wollte meinen Vater aus dem Haus haben und hat das Haus für baufällig erklärt, ich war damals sechs Jahre und habe das miterlebt. Es war schon eine Räumungsklage, die Familie hat geheult, und dann kam das Jahr 1938, da war dann alles umgekehrt, der Bieler war dann über Nacht weg." Robert Kohn: "Hören Sie, es gibt bei allen gute und schlechte." "Ich weiß schon," meint Jaksche, "ich wollte ihnen nur die Geschichte erzählen." Krems, Samstag, 8. September 1990,12 Uhr 15. Kurt Jaksche: "Und wie fühlen Sie sich, wenn sie jetzt wieder in Krems sind?" "Ich gehe zwischen den Erinnerungen, aber zum Glück war ich 1938 nicht mehr da, ich bin ja schon vorher weg." Im Weggehen der Nachsatz: "Was der Jaksche über den Juden Bieler erzählt hat, das ist menschlich verständlich, wie kann man so etwas machen." Nach einem Gespräch zwischen erstem Stock und ebener Erde kommt es auch zu einem Wiedersehen mit der Tochter des ehemaligen Hausherren von Robert Kohn, mit Frau Göschl.

DAS JÜDISCHE HEIM VON KREMS

Schulkinder laufen die Schumachergasse hinunter, an das Trödlergeschäft der Tante Julie Wolf erinnertl 990 nichts mehr. "Ach, die war so neugierig, wenn wir hier vorbeigegangen sind, ist sie immer heraußengestanden und hat gefragt: Na wo wart ihr denn?" Ecke Churanek, Göglstraße: Ein spätes Bekenntnis: "Hier habe ich dich das erstemal gesehen, ich bin da herunter gekommen und du bist da vorbeigegangen – Richtung jüdisches Heim." Solch eine Verbindung zwischen dem gesellschaftlichen jüdischen Leben in Krems und der persönlichen Geschichte schärft die Erinnerungsgabe, die weder durch Jahrzehnte noch durch Bombenschäden – das Gebiet rund um den Eisentürhof wurde während des Bombardements von Krems im April 1945 ebenfalls zerstört – getrübt werden können. Nach wenigen Minuten stehen wir vor dem ehemaligen jüdischen Heim in Krems, wo heute Autos parken. Ein Regenguß erzwingt die Beendigung des Spazierganges durch die Erinnerungen. Zuflucht bietet der Goldene Hirsch auf dem Dreifaltigkeitsplatz. "Weißt Du, was ich mir jetzt bestelle, ein Gulasch." Als der Kellner den Teller über das mit einer Plastikfolie geschützte Tischtuch schiebt, kommt eine Bestätigung, die sich Robert Kohn selbst ausstellt: "Ja, so habe ich den Geruch in Erinnerung, so riecht das Gulasch nur in Krems."

weg S 195:

Robert und Hilde Kohn in Krems 1990
"An dieser Stelle habe ich meine spätere Frau
zum ersten Mal gesehen."

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