‚Noch heute vergieße ich Tränen‘ Das Schicksal der Familien Grinblatt und R.

Maximilian Grinblatt betrieb in Albrechtsberg a.d.gr. Krems "mehrere Gewerbe (Fuhr-werksunternehmen, Viktualienhandel und Häutehandel)" und besaß ein Haus mit Landwirtschaft, wie es in der Erfassung der jüdischen "Mischlinge" des darmeriepostens Weißenkirchen im August 1943 hieß.‘ Für Maximilian Grinblatt, der als Kriegsgefangener‘ des Ersten Weltkrieges in die Gegend verschlagen worden war, bedeutete der 12. März 1938 noch keine Tragödie. "Wenn sie uns nichts machen, so arbeite ich halt."‘ Doch daran dachten die illegalen Nationalsozialisten des Ortes nicht: vor dem offiziellen Fackelzug nach der "Machtergreifung" erschienen bereits an die 20 Personen vor dem Haus Maximilian Grinblatts, Rufe wie "Jude hin, Jude her" wurden laut und die ersten Steine

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Ein Bild aus glücklicheren Tagen
Rosa und Otto R. mit Sohn

flogen. "Ein Geschäftsmann von Albrechtsberg, war auch dabei, der hat ein Geschäft gehabt und X Häuser." Die Knechte und die Magd, die bei Grinblatt beschäftigt waren, durften den Hof nicht mehr betreten. ("Die haben geweint und alles.") Da es den Familienangehörigen alleine nicht gelang, die Ernte einzubringen, waren sie auf Hilfe angewiesen. Doch wer sollte Juden in dieser Zeit schon helfen? "Illegale (Nationalsozialisten Anm.R.St.) aus der Umgebung sind zu uns gekommen und haben uns demonstrativ geholfen. Die haben sich die Machtergreifung auch anders vorgestellt."4 Im September werden Soldaten in das Haus der Grinblatts einquartiert, die deutschen Soldaten genießen die Gastfreundlichkeit und stellen bei Tisch fest: "Hauptsache ist, daß ihr keine Juden seid. Am nächsten Tag sind die nimmer gekommen, da hat man es ihnen schon verboten." Wenige Tage später, als der Pogrom im November beginnt, wird auch Maximilian Grinblatt, vom Schnapsbrennen weg, verhaftet. "Ein gewisser Herr Jäger aus Els, ein Bäcker aus Weinzierl und ein dritter sind zu meinem Vater hingegangen und haben ihm die Pistole angehalten: `Ihr Bruder hat den Rath in Paris umgebracht‘."5 Das Fahrgeld von 30 Schilling für die Fahrt nach Krems muß der Verhaftete selbst aufbringen. Nach ein paar Wochen erfährt die Familie, daß der Vater im Kreisgericht eingesperrt ist. Die Behandlung der Gefangenen kann an der Wäsche abgelesen werden. "Die blutigen Taschentücheln haben sie uns heimgeschickt." Nach seiner Freilassung kann Maximilian Grinblatt seine Peiniger benennen. "Ein Bekannter, dem die Eltern Geld geliehen haben, damit er nach Deutschland gehen kann, ist in die Zelle gekommen und hat den Papa gefragt, welche Charge er hat. Was er gesagt hat, hat nie gestimmt, der Pils wollte immer mehr sein, bei jeder `falschen‘ Antwort hat er eine Ohrfeige bekommen. Er hat die Reihenfolge aufsagen müssen, bis er beim Herrgott angekommen ist."6 Während der Haft Grinblatts finden sich in Albrechtsberg die Gläubiger ein, eine günstige Gelegenheit, um die Schuldscheine zu erpressen. Einen Tag nach der Freilassung erscheint ein Mann von der "Kreisleitung" und teilt der Mutter mit, daß sie die Wirtschaft behalten könne, wenn sie sich von ihrem Mann scheiden lasse. "Daß wir verkaufen müssen, war klar, vor unsere Haustüre haben sie uns immer den `Stürmer‘ hingelegt. Der Vater hat den Hof `freiwillig‘ verkauft, wie es geheißen hat, um 10.000 Schilling oder so, die neuen Besitzer waren Aussiedler aus Döllersheim."7 Die Familie findet Unterschlupf in Marbach ad.kl. Krems, Maximilian Grinblatt taucht in Wien bei einer befreundeten Familie, die immer auf Sommerfrische nach Albrechtsberg gekommen ist, in der Brigittenau in der Hahngasse 33, unter. "Das war eine kleine dunkle Kammer mit einem Lichthoffenster." Jede Woche muß sich Herr Grinblatt auf der Wachstube melden, das Schicksal des Arbeitslagers in Ansfelden blieb ihm schließlich nicht erspart. "Dort haben sie so wenig zu essen bekommen, daß sie das Schweinefutter aus dem Trog gestohlen haben." Kurz vor Ende des Krieges wird Maximilian Grinblatt noch Soldat der Roten Armee und liegt in Stellung vor Hollenburg bei Krems. Nach dem Kriegsende fährt er mit einem Pferdewagen, den er von Russen geschenkt bekommt "im guten Glauben wieder nach Albrechtsberg, andere Russen haben ihm die Pferde aber bald wieder abgenommen." Auf der Kommandantur in Zwettel meldet er sein Recht auf seinen Besitz an. "Da sind dann viele gekommen und wollten eine Bestätigung vom Vater, daß er nichts dagegen hat, wenn sie wieder kommen, manche sind auch mit einem Schwein gekommen."8

VON IMBACH NACH PALÄSTINA UND RETOUR

Otto R. hat bis zu seiner Verhaftung in der Firma Stulz in Imbach gearbeitet. Nach Imbach verschlägt es ihn ebenfalls nach dem Ersten Weltkrieg. "Mein Mann hatte da Bekannte, mit denen er eingerückt war, so sind wir hergekommen, ich stamme ja aus der Nähe von Brünn."9 Seine spätere Frau Rosa, lernt er in der Munitionsfabrik in Wiener Neustadt kennen. Er kann sich nach seiner Freilassung aus dem Kreisgericht ein Visum besorgen, flieht über Jugoslawien illegal nach Rumänien und von dort mit einem Schiff durch den Bosporus Richtung Palästina. Dort lebt er bis 1947, zuerst ist er im Holzhandel tätig, dann arbeitet er in einer Wurstfabrik. Sein Sohn Otto R. (geb. 1921) kann als "Mischling" 1938 die Realschule nicht mehr weiterbesuchen, findet Arbeit bei der Errichtung des Kriegsgefangenlager in Gneixendorf und später als Chauffeur bei einem Bäcker und bei einem Eierhändler. Einberufen wird er zur "technischen Nothilfe": Einsatzort: das KZ in Ebensee, wo er mit KZ-lern sprengen muß. Nach einem Arbeitsunfall wird Otto R. nach Krems versetzt. Rosa R. meint über diese Zeit: "Noch heute vergieße ich Tränen über diese Zeit. Das war kein Leben."10

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Otto R. (sen.) als Facharbeiter in der Fabrik
von Walter Stulz in Imbach

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Hochzeitsfoto von Gabriele und Otto R. 1946
Für das gemeinsame Foto mußte das Bild von Otto R. (sen.),
der noch in Palästina lebte, hineinkopiert werden

ANMERKUNGEN

1 NÖLA BH Krems. XI/153/1941 Schreiben des Gendarmeriepostens von Weißenkirchen an den Landrat von Krems vom 23.8.1943
2 Maximilian Grinblatt wurde am 5.12.1893 in Skoleni in Rumänien geboren und war ein "getaufter Jude". Nach seiner Freilassung aus der Kriegsgefangenschaft heiratete er die Hilfsarbeiterin Josefa Holoubek.
3 Gabriela R. Interview
4 Mutter: Josefa Grinblatt (geb. 1898), Tochter: Gabriela Grinblatt (geb. 1923), Sohn: Max Grinblatt (geb. 1928)
5 Gabriela R. Interview. Auf Wunsch der Familie wird der Name abgekürzt.
6 Ebd.
7 Ebd.
8 Ebd.
9 Ebd.
10 Rosa R. Interview
11 Ebd.