1. Vorwort

Robert Streibel, ein junger, schon durch mehrere wichtige Publikationen bekannt gewordener Zeithistoriker, ist ein gebürtiger Kremser, der die Geschichte seiner Heimatstadt Krems am Ausgang der Wachau genau kennt und erforscht hat. Sie war und ist berühmt wegen ihres vorbildlich gepflegten schönen mittelalterlichen Stadtzentrums, das mit Recht ein Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt ist. Sie ist auch eine Schulstadt, in der viele Schüler aus dem nördlichen Niederösterreich ihre Ausbildung bis zur Hochschulreife schon seit vielen Jahrzehnten erhalten. Als eine der wenigen alten Bürgerstädte unseres Landes war sie aber auch ein Zentrum deutschnationaler und später nationalsozialistischer Gesinnung. Dieser entsprach aber auch ein relativ starker Antisemitismus. Nach Streibel gehörte er im Klerus „zum guten Ton, der in allen Gesellschaftskreisen und je nach Parteizugehörigkeit in unterschiedlicher Vehemenz gepflegt wurde“, obwohl die jüdische Gemeinde in Krems zwar alt, aber nicht groß war. Er manifestierte sich schon deutlich in der Zwischenkriegszeit und mündete nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 in der Vertreibung und Vernichtung der Kremser Juden. Der Verfasser ist mit Hilfe von privaten jüdischen Dokumenten und von Interviews mit überlebenden Verwandten dem Schicksal jedes Kremser Juden so weit wie möglich mit Interesse und Sympathie im wahrsten Sinne des Wortes nachgegangen. Die Darstellung selbst ist klar und sachlich, durch die Einbeziehung wichtiger Zitate seiner Quellen unmittelbar und fesselnd. Sie ermöglicht den Einblick in das alltägliche Leben gläubiger und assimilierter Kremser Juden und in das Verhalten ihrer nichtjüdischen Nachbarn. Am Ende steht das erschütternde Fazit in Namens- und Zahlenlisten: 59 Kremser Juden wurden in der NS-Zeit ermordet, 65 aus ihrer Heimat vertrieben – die Mehrheit fand Zuflucht in Palästina, sieben überlebten, zwei von ihnen in Krems, vier in Wien, eine Frau als „U-Boot“ in Wien und Krems. Dieses Buch hat nichts mehr mit der eher beschaulichen Heimatforschung früherer Zeiten zu tun. Es ist ein Beitrag zur Geschichte der Unmenschlichkeit in einer kleinen, schönen österreichischen Stadt in einer Zeit, in der Menschlichkeit nicht gefragt und nur von wenigen praktiziert wurde. Damit ist es ein Teil jener Trauerarbeit, die bisher nur für wenige Orte in Österreich geleistet wurde. Wir brauchen sie für uns und die nachkommende Generation nicht nur in Krems.

 

Erika Weinzierl
Institut für Zeitgeschichte Wien

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