30. Ohne Kommentar

Ohne Kommentar
Die Suche nach einer Antwort auf die Frage, „Wie konnte es dazu kommen?“, kann im Zusammenhang mit der Geschichte der Juden und ihrer „Mitbürger“ in Krems wohl nur mehr der zukünftigen Prophylaxe dienen. Die Verhöhnung, Vertreibung und Ermordung kann nicht ungeschehen gemacht werden, aber daß die Ausgrenzung verbal noch immer zur alltäglichen Praxis – nicht nur in Krems -gehört, ist der Skandal unserer Zeit. Die folgenden Ausschnitte aus Interviews, Gerichtsprotokollen und Briefen geben einen Einblick in diesen alltäglichen Antisemitismus.

An diesem Tag gerade nicht im Krems
Aus der Zeugenaussage von Hans Heinz Dum vor Gericht1

„Über die Arisierung des Betriebes Otto Adler und den Erwerb durch Geppert kann ich keine näheren Angaben machen. Ich kann mich nur erinnern, daß ich einmal eine Unterredung mit dem Schwiegersohn der Frau Pichler hatte, die den Erwerb durch Geppert beziehungsweise Abschluß der Mietverträge zwischen Geppert und Frau Pichler zum Gegenstand hatte. Ich habe aber auf die Sache keinen weiteren Einfluß genommen, insbesondere nicht auf die Höhe des Kaufpreises oder die sonstigen Vertragsmodalitäten. Ich glaube nicht, daß Geppert von der Kreisleitung als Bewerber vorgeschlagen worden ist, denn sonst hätte ich mich sicher mehr um die ganze Angelegenheit gekümmert. Bezüglich Wolter gebe ich an: Wolter wurde im Zuge der allgemeinen Judenverhaftungen verhaftet. Mir war über die Verhaftungsaktion vorher nichts bekannt. Ich war an diesem Tage nicht in Krems, und als ich am nächsten Tag in mein Büro kam, waren die Verhaftungen durchgeführt. Als ich von Ausschreitungen gehört habe, habe ich dafür Vorsorge getroffen, daß dergleichen in Hinkunft nicht mehr passierte. Wolter war mir aus meiner beruflichen Tätigkeit in Krems gut bekannt. Ich kann mich erinnern, daß ich mit ihm während seiner Haft bezüglich des Verkaufes gesprochen habe und ihm geraten habe zu verkaufen, da er sich infolge der allgemeinen Lage doch nicht werde halten können. Es mag sein, daß ich ihm Zumpfe als Käufer genannt habe. Als ich hörte, daß ein Kaufvertrag zustande gekommen ist und Wolter die Absicht hatte, nach Wien zu gehen, habe ich mich entschlossen, den Wolter enthaften zu lassen. Ich bemerke aber, daß ich dazu nicht berechtigt war, doch war es im Jahre 1938 möglich, daß die Polizei, ohne weiter zu fragen, über Ersuchen des Kreisleiters die Enthaftung durchführte. Wie gesagt, ich hatte gegen Wolter keinerlei persönlichen Haß und da er Krems verlassen wollte, habe ich mich zu dem Schritt entschlossen. (…) die Arisierung gehörte ja auch nicht in mein Arbeitsgebiet, sondern wurde durch die Vermögensverkehrsstelle durchgeführt. Es ist wohl vorgekommen, daß die Kreisleitung in Arisierungsangelegenheiten um verschiedene Interventionen ersucht wurde. Doch eine weitere Einflußnahme durch die Kreisleitung ist nicht erfolgt“.2

Nicht dem eigenem Trib Folgend
Aus einem Interview mit Dr. Max Thorwesten3
Frage: Können Sie versuchen, die Zeit nach 1938 in einem Punkt näher zu betrachten? Krems hatte eine lange Tradition des Antisemitismus gehabt. Im September, Oktober ist es zu, sagen wir, Ausschreitungen gekommen, Können Sie sich erinnern?
Thorwesten: Das ist mich überhaupt nichts angegangen. Da habe ich in keinster Weise damit zu tun gehabt.
Frage: Ich habe nicht gefragt, ob sie persönlich damit zu tun hatten, ich habe gefragt, ob Sie sich erinnern können
Thorwesten: Ich kann mich nicht erinnern, daß das ein besonderes Aufsehen war.
Frage: Immerhin wurde der Tempel geräumt, da sind nicht wenige Schaulustige davor gestanden.
Thorwesten: Das hat möglicherweise der Leo Pilz gemacht, aber an derartigen Sachen, habe ich …
Frage: Mich hätte interessiert, ob sie das gewußt haben. Wie hat sich das für sie dargestellt?
Thorwesten: Naja, meine Eltern hatten eine Menge Bekannte in jüdischen Kreisen, aus diesem Bekanntenkreis, beim besten Willen kann ich mich nicht erinnern, daß da größere Sachen waren.

(In der Folge zählt Dr. Thorwesten die Familien auf, mit denen ein „Kontakt“ bestanden hat: Auspitz, Rephan, Schöpke, Neuner)

Frage: Im Jahr 1938 haben allein 100 Juden die Stadt Krems verlassen müssen. Wie hat sich das für Sie dargestellt?
Thorwesten: So viele waren das.
Frage: Es ist natürlich interessant, wie sich das für die Leute damals dargestellt hat.
Thorwesten: Ja gut, das war Sache der Partei, und nicht der (…) Ich habe damit nie, irgendetwas zu tun gehabt. Da hat man sich als Stadt gar nicht eingemischt in die Geschichte.
Frage: Es ist aber doch eigenartig, ihre Familie hat eine Reihe von jüdischen Personen gekannt und die haben dann die Stadt verlassen müssen, sind geflüchtet, haben alles zurückgelassen, daß es hier nicht ’sauber‘ zuging, mußte Ihnen doch klar sein.
Thorwesten: Von heute aus betrachtet sicher. Na, wie heißt das, das ist alles schon so lange her, da hat’s doch Rassengesetze gegeben, die auch in Österreich Geltung hatten.
Frage: Haben Sie das damals nicht als ungerecht empfunden? Oder war das für sie kein einschneidendes Erlebnis?
Thorwesten: Einschneidend war’s deswegen nicht, weil ich ja in keiner Beziehung zu dieser Geschichte gestanden bin.
Frage: Wissen Sie, wie das vor sich gegangen ist, wie die Geschäfte `neue Besitzer‘ bekommen haben?
Thorwesten: Ja, da hat es sicher Gesetze gegeben, die uns als Stadt und mich als Magistratsdirektor betroffen haben. Die Stadt hat ja nichts arisiert, hat auch nichts gekriegt. Und ich wäre auch nirgends hingegangen und hätte mir von einem Juden etwas gekauft (klopft auf den Tisch), weil ich das nicht getan hätte (mit Nachdruck).
Frage: Weil Sie das anschneiden, da hat es ja Personen gegeben, die haben sich ganz billig ganze Wohnungseinrichtungen gekauft, weil die Juden alles hergeben haben müssen.
Thorwesten: Das mag schon sein, da hat es, glaube ich, sogar in Wien eine Zentralstelle dafür gegeben. Die Juden haben, bevor sie weggegangen sind, halb freiwillig, halb der Not gehorchend und nicht dem eigenen Trieb folgend, eben verkauft, um Geld zu bekommen.
Frage: Aber von den Dingen, die, wie sie gesagt haben, eventuell der Leo Pilz gemacht haben könnte, wissen sie nichts. Sie haben nichts gesehen.
Thorwesten: Ich hätte mich gehütet, dort zuzuschauen.
Frage: Ich habe nur gemeint, sie sind vielleicht zufällig dazugekommen.
Thorwesten: Ich bin nicht auf der Straße herumgegangen. Und außerdem war ich zu dem Zeitpunkt noch nicht in Krems, sondern in Stein. Da haben wir ja sehr viel zu tun gehabt, weil die erste Maßnahme war die Pflasterung der Landstraße vom Linzertor bis zur Kirche, weiter sind wir damals nicht gekommen. (…)

„Der Hitler wollte das gar nicht“´
Aus einem Interview mit Gertrude K.4

Frage: Hat es eigentlich in Krems Juden gegeben?
K.: Viele!
Frage: Was ist mit denen dann passiert?
K.: Keine Ahnung! Was weiß ich?
Frage: Es waren ja auch Geschäftsleute dabei …
K.: Aber lauter Geschäftsleute. Der Wasservogel oben, der hat so ein Elektrik-Geschäft gehabt. (…) Wir haben bei denen eingekauft, natürlich als Gegengeschäft. Da kann ich mich an eine Episode erinnern, im Gymnasium, da war der Neffe vom damaligen albanischen König, vom Zogu. Der Neffe war da im Gymnasium, der war beim Hofrat Weißhappel, der war recht ein strenger, älterer Herr, untergebracht, der hat ihn erziehen müssen. Der ging mit uns in die Schule. Er und der Bielers, ein Jude, von so einem Greißler, in der Unteren Landstraße, die haben immer gerauft. Der Albaner hat sich den Namen irgend eines Generals gewählt, und der andere war der Napoleon. Und da haben sie immer gerauft… Jetzt habe ich ein Buch in die Hände bekommen … Das ist doch ein Witz! Das ist doch keine Erfindung des Dritten Reiches, die Judenverfolgung! Ich wollte nur erzählen, von dem Buch, das ich eben gerade gelesen habe. (…) Und in dem Buch stand unter anderem – das habe ich mir gemerkt -, der Preußenkönig hat auch 50 ausgewie-sene jüdische Familien nach Berlin genommen, die vom Habsburgerreich ausgewiesen wurden. Also das ist ja ein Witz, daß man das jetzt so hochschraubt.
Frage: Also Sie sagen, einen Antisemitismus in der Schule hat es überhaupt nicht gegeben.
K.: Überhaupt nicht! Frage: Also die Raufereien waren eher …
K.: Naja, das war halt Geltungsbedürfnis von dem albanischen… -aber doch nicht von unseren Leuten. Wir sind einkaufen gegangen, sie haben färben lassen, das war ein Gegengeschäft, beim Zeilinger-Jud. Da habe ich heute noch etwas, was meine Mutter damals gekauft hat. (…) Dann war der Adler. Der war bei uns Kundschaft. Und wir haben Geschäft und Wohnung quasi beieinander gehabt. Und da war die Türe offen, und meine Mutter hat dort so einen alten Biedermeier-Diwan stehen gehabt. Bei uns wurden diese Sachen alle gepflegt. Und da hat er gesagt: „Frau K., geben Sie mir doch den Diwan! Der ist doch alt!“ – das weiß ich heute noch genau – „Ich gebe Ihnen einen modernen Dekorationsdivan“, so mit den Aufbauten wie die altdeutschen Möbel. Heute sieht man das ja kaum mehr. „Nein, hat sie gesagt, den kriegen Sie nicht. Das ist ein Erbstück.“ Aber ich meine, so haben sie das halt verstanden, die Juden. Der hat sich gedacht, das ist eine Depperte, das ist eine kleine Handwerkerin, die ist froh, wenn ich ihr ein paar Tausender geb. Was heißt Tausender?! Damals waren schon Zehner und Hunderter was. Sie waren uns halt irgendwie überlegen.
Frage: Aber Sie sagen, sie haben bei ihnen eingekauft, und die haben auch bei Ihnen färben lassen.
K.: Da ist der Wasservogel einmal gekommen. Und in Maria Laach, glaube ich, war ein Turnbruder meines Vaters, der hat so ein kleines Geschäft gehabt. Und der wollte halt irgendwas vom Wasservogel haben. Das war ein größerer. Und der ist zu meinem Vater gekommen und hat gesagt: „Herr K., übernehmen Sie die Bürgschaft?“ Er konnte es nicht bar zahlen, sondern er wollte es auf Pump haben. Da war mein Vater doch so gescheit, obwohl er kein Geschäftsmann war-mein Vater war ein Handwerker-, sagt er: „Wenn ihm das eh so sicher ist, das Geld, warum soll ich da eine Bürgschaft übernehmen?“ Und der ist dann zugrund gegangen. Das hat mir mein Vater immer erzählt. Sagt er: „Stellts Euch vor…“
Frage: Der Wasservogel hat wollen, daß Ihr Vater die Bürgschaft übernimmt?
K.: Ja. Das sind lauter solche Sachen. Warum waren die in einem Ghetto und so ..? Natürlich, wenn alle gescheit gewesen wären, die normalen Bürger, so wie mein Vater, mit einem Naturinstinkt, so hätte sie niemand übertölpeln können. Aber sie waren eben da der anderen Bevölkerung überlegen. Die haben eben das im Gespür gehabt. Der Rothschild ist ja auch aus dem Ghetto raus und hat dem Herzog in Nürnberg oder Frankfurt Geld gegeben und verliehen. Und er ist jetzt einer der reichsten Leute.
Frage: Nach 1938 haben die ja alle ihre Geschäfte auflassen müssen.
K.: Die sind scheinbar alle ausgewandert. Man hat sie ja nachher nicht mehr gesehen. Sie haben sich auch um den Tempel nicht umgeschaut.
Frage: Was mich interessieren würde: Hat Ihnen das damals nicht zu denken gegeben weil die sind ja nicht freiwillig weggegangen, oder …?
K.: Sicher! Damals schon noch. Da hat man nie was gehört, daß wer unter Zwang weggeführt worden ist. Haben Sie das nicht gelesen? (…) Der Hitler wollte das j a gar nicht, der hat gar nicht die Idee gehabt… Ich habe keinen Grund, den Hitler in Schutz zu nehmen, mein Bruder ist im Feld geblieben und es hat mir auch vieles nicht gefallen. Aber das habe ich eben jetzt gelesen (…)
Frage: Die Geschäfte, sind die beschmiert worden oder geplündert worden wie in Wien?
K.: Geh! Davon habe ich überhaupt nichts gehört und gesehen. Das hätte man ja, in so einer Kleinstadt …
Frage: Sie sind ja sicherlich auch viel in der Stadt gewesen. Sie waren damals ein junges Mädchen …
K.: Na sicher bin ich immer durch die Stadt. Da war überhaupt nichts von einer Hetze oder von einer Razzia. Ich glaube, die sind alle so schnell und heimlich weg. Das waren Geschäftsleute, die werden alle Geld gehabt haben. Die werden alle richtig abgefahren sein.
Frage: Daß damals der Judentempel geräumt wurde, haben Sie das gewußt oder haben Sie davon gehört?
K.: Nein, das weiß ich nicht. Ob der geräumt wurde von der Partei oder so, das weiß ich nicht. Sehen Sie, nachdem wir alle, die ganze Familie, der Vater hat das Goldene Ehrenzeichen gehabt, wir haben gearbeitet und gearbeitet, aber wir hatten keine Funktion. Dadurch hatte man auch keinen Einblick.
Frage: Ich meine nur, daß man vielleicht zufällig Zeuge wird …
K.: Auf keinen Fall. Das waren mehr die unteren Leute, die sich hingestellt haben, wahrscheinlich und gegafft haben, wie bei jedem Umbruch. Das weiß man doch eh.

„NAJA, DIE JUDEN HABEN SCHON WASCHEN MÜSSEN“
Aus einem Interview mit Maria W.6

Frage: Können Sie sich an die Juden von Krems erinnern?
W.: Sie waren nicht z’wider, die haben auch ein Geschäft gemacht, wie der Wasservogel,‘ der hat immer viel Geschäft gehabt. Das war ein Elektrogeschäft, er war sehr beliebt. Es hat sogar ein Freund von meinem Mann bei ihm gelernt, er ist sehr gut behandelt worden. Die Kohn-Juden,8 die waren auch nicht z’wider, die haben so Wäschesachen gehabt und mit Hasenhäuteln haben sie auch gehandelt und Kitzeln haben sie geschlachtet, die haben sogar mehr gegeben als wenn man es ins Schlachthaus getragen hätte, um 50 Groschen. Die Kolb-Juden‘, die haben ein Schuhgeschäft gehabt und auch Textilien. Wo das Radlgeschäft drinnen war, da war der Schuh-Kolb, wo die Gazelle drinnen ist, da war der Alois Kolb.
Frage: Und können sie sich an das 38er Jahr erinnern?
W.: Na, da ist gestürmt worden, da ist der Hitler gekommen, alles war auf die Füß, auf der Wienerbrücke sind sie auf dem Geländer gesessen. Das war ein Jubel und ein Trubel.
Frage: Und das Verhältnis zu den Juden?
W.: Die schon weg gewesen sind, die waren weg, die anderen sind dann auch bald weg. Der Rephan ist nach Amerika10, das hat dann der Dr. Wolf, Rechtsanwalt gekauft.
Frage: Und wie sind die Juden behandelt worden?
W.: Naja, die Juden haben schon waschen müssen, die Juden haben schon den Gehsteig oder die Auslagen waschen müssen. Das hab‘ ich schon gesehen. Der Wasservogel war auch dabei. Auf dem Gehsteig haben sie geschrieben „Es Saujuden“.
Frage: Können Sie sich erinnern, daß sie auch geschlagen wurden?
W.: Das kann ich eigentlich nicht sagen.
Frage: Was haben Sie gedacht, als Sie gesehen haben, was mit den Juden passiert?
W.: Ja, durch die Stadt, angeschmiert mit Tafeln um, Saujuden und so Sprücheln waren das, ein ganzer Schippel ist so getrieben worden. Das habe ich selber gesehen.
Frage: Und was haben Sie sich da gedacht?
W.: Naja, sind ja auch Menschen, hab ich mir gedacht, naja jeder will leben, die haben ja weiters niemand was gemacht, sie haben nur geschaut, daß sie auch ihr Geschäft machen, daß sie leben können. Die Kohn-Juden, das waren schon alte Leute.
Frage: Und was ist mit dem Judentempel passiert?
W.: Den haben sie ausgeräumt, geplündert, alles heraus, die Sessel heruntergehaut, wie es drinnen ausgeschaut hat, das weiß ich nicht, da ist alles weggestohlen worden, dann sind einige einquartiert worden, die waren Flüchtlinge. Jetzt haben sie ihn ja weggerissen. Es waren dann fast keine Juden mehr da, die Kohn, die Kolb, die Sachs, viele sind schon weggewesen, einige auch erst ’39, aber dann sind sie verschwunden, dann hat man sie nicht mehr gesehen.

Ein Kremser tut so etwas nicht
Ausschnitt aus dem Gespräch mit Hans T.11
Frage: Die Räumung des Tempels war, soweit man Augenzeugen glauben will, ein größeres Spektakel in Krems, nicht?
T.: Das hab ich aber nicht mitgemacht. Da war ich nicht dabei. Obwohl ich dort gewohnt hab, hab ich von dem nichts gesehen – das muß vielleicht nachher geschehen sein.
Frage: Nein, das war so Anfang September ’38, an einem Wochenende, Samstag( Sonntag. Zwei Tage.
T.: September …
Frage: Im September, also vor der sogenannten „Reichskristallnacht“. An diesem Wochenende mußten die Juden die Bänke und die Gegenstände raustragen, links und rechts sind Leute gestanden, haben sich belustigt …
T.: Tut mir leid – obwohl ich dort gewohnt hab, kann ich Ihnen dazu nichts sagen. Weil ich nichts weiß, weil ich nicht dabei war.
Frage: Und sonst an einen handgreiflichen Antisemitismus können sie sich auch nicht erinnern?
T.: (Lacht) Ich müßt wie der Graff 11 Ihnen jetzt eine Antwort geben. Ich habe keine gefunden.
Frage: Was? Keinen Antisemitismus?
T.: Nein.
Frage: Oder keine Juden?
T.: Äh – keine mißhandelten Juden. Ich hab keine gesehen. Nicht weil ich’s nicht sehen wollte, sondern weil’s nicht war! Es wär keinem Kremser eingefallen, irgendeinem Juden irgendwas zu tun! Ja, die Pappen aufreißen – wissen S‘, es gibt allerweil Gesindel überall. Das sind überall die gleichen. Die – möcht sagen, grad die ärgsten Kommunisten und Roten waren nachdem die ärgsten Nazi. Das ist das Ganze. Die waren ja gar nicht so. Das G’sindel waren ja andere. Und was die gemacht haben, will man jetzt den Nazis in die Schuhe schieben.
Frage: Ist das jetzt nur so eine Feststellung, die Sie allgemein treffen, oder wo Sie sagen…
T.: Im speziellen Fall?
Frage: Gibt es Beispiele dafür?
T.: Nein, ich möchte schon verallgemeinern, das ist so. Das sind diese sogenannten Wendehälse.
Frage: Also als Wissenschaftler, müßte ich es überprüfen, und da müßte ich Beispiele nennen, und dann kann ich sagen, okay, in den und den Fällen ist das zum Beispiel passiert.
T.: Na in welchen Fällen das passiert ist, das kann ich Ihnen sagen; ich bin vom Krieg nach Hause gekommen, wer ist auf der Straße unten gestanden nachdem – das waren wieder dieselben Leut.
Frage: Und Sie sagen also, kein Kremser hätte einem Juden irgendwas –
T.: Ein richtiger Kremser nicht.
Frage: Ein richtiger Kremser nicht.
T.: Nein. Auch – selbst nicht einmal ein Nazi.
Frage: Der Leo Pilz, war das ein Nazi oder –
T.: Der Pilz Leo. Na das war schon einer, sicher, sicher. Frage: Er war aber auch ein Kremser, nicht?
T.: War auch ein Kremser.
Frage: Der hat aber schon zugelangt.
T.: Das weiß ich nicht.
Frage: Das wissen Sie nicht.
T.: Das weiß ich. Aber wo hätte er denn da – oder Standartenführer -wo hätt er denn, bei wem hätt er da zugelangt?
Frage: Der Pilz war zum Beispiel jener, der, wie der Adler eingesperrt war im Kreisgericht…
T.: Der Adler war eingesperrt?
Frage: Im Kreisgericht, ja. Damit er sein Geschäft verkauft.
T.: Ach! (…) T.: Sehen Sie, das weiß ich gar nicht!
Frage: Ich wollte nur einige Beispiele geben, der Wasservogel zum Beispiel hat mit dem Zahnbürstl die Landstraße putzen müssen, nicht?
T.: Und wer waren die Betreffenden, die dort dabeigestanden sind? Das wär nämlich interessant zu wissen, wissen Sie?
Frage: Das waren auf alle Fälle SA-Männer
T.: Ist gut. Ist gut, ich war nachdem auch bei der SA.
Frage: Aber die SA war maßgeblich an diesen Demütigungen beteiligt.
T.: Ja, na, ist gut, aber da müßte ja irgendjemand nachdem dabei gewesen sein von den Betreffenden, sind ja noch nicht alle tot. Ich bin ja auch noch am Leben.
Frage: Aber Sie werden mir sicherlich zustimmen, daß es das Schwierigste ist, solche Beteiligte heute noch ausfindig zu machen. Weil gegen die hat es zum Beispiel nie Ermittlungen gegeben.
T.: Na, aber es müßte doch so viele geben, die irgendwie doch noch eine gute Erinnerung haben und sagen, „das war er“, nicht? Ich glaube eher, daß die von auswärts hergekommen sind, daß die von auswärts gewesen sind.

„ANSONSTEN IST NICHT VIEL ZU BERICHTEN“
Herbert Faber in einem Brief an Gottfried Österreicher“

26.2.1942
Lieber Friedl!
Die weitere Entwicklung im Geschäftsgang der Buchhandlung ist konstant, das heißt wir können die Umsätze des Vorjahres halten, ja vielleicht etwas überschreiten. Kritisch ist derzeit nur die Anlieferung der Bücher. Daß ich ständig mit L., Dr. H. usw. in Verbindung bleibe, ist eine Voraussetzung, damit wir überhaupt etwas erhalten. Aber es tröpfelt nur und hinsichtlich der Belieferung mit Romanen ist es ganz arg. Ich befürchte, daß die Bestellung von Romanen gänzlich unterbunden wird. Sie ist nicht kriegswichtig und dahi überflüssig. Das ist natürlich böse. Das Publikum hat sich zwar zu Weihnachten rasc beeinflussen lassen, aber damals hatten wir wenigstens Ware auf diesem Gebiete. L. h mir gestern versprochen, wieder eine Sendung abzufertigen. Er hat aber auch Wünsch Er möchte Herren K. von Müller-Langen, der auch eingerückt ist, Likör schicken ur denkt dabei an einen Marillenbrand aus Krems. Wo sollen wir ihn aber hernehmen, da al. Quellen versiegten. Die Erzeugung ist auf wenige beschränkt. Alarich14, der uns helfe könnte, steckt in Lemberg und so muß ich andere Wege suchen. Diese Gegenleistung wit nicht zu umgehen sei. Du siehst, gar so einfach ist die Abwicklung der Geschäfte nicl geworden. Ein paar Flaschen Schnaps öffnen die Läden. Also muß er aufgetriebe werden. Ansonsten ist nicht viel zu berichten. Der Kreisleiter hat Auftrag gegeben, die Leihbi cherei zu durchkämmen, weil nicht geeignete Bücher enthalten sein sollen. Der neu Direktor der Lehrerinnenbildungsanstalt Bierbaumer erhielt den Auftrag, die Büchi durchzusehen. Es fallen nicht nur vereinzelt auch vorhandene jüdische Autoren, sonder auch ausländische Schreiber in Wegfall. Die letzterwähnten Bücher wollen wir zurücklb gen für spätere Zeiten, da diese Bücher zugelassen sein werden. Die Juden verbrennen w natürlich. P. arbeitet an der Bilanz und hofft in einiger Zeit – der Einreichungstermin wurc einheitlich um ein Monat erstreckt – fertig zu sein. Bisher kann ich leider mit keine Erfolgsziffern dienen. (…)

Anmerkungen
1 LG Wien, Vg 4a Vr 2650/45 gegen Hermann Geppert
2 Das Gericht gab sich mit diesen ausweichenden Antwortendes ehemaligen Kreisleiters von Krems (1938-1940) Hans Heinz Dum zufrieden.
3 Dr. Max Thorwesten. Interview
4 Gertrude K. Interview
5 Aron Bieler besaß das Haus in der Unteren Landstraße 47, sein Sohn Norbert besuchte bis 1930 das Gymnasium in Krems.
6 Maria W. Interview
7 Siehe Seite 146 f
8 Siehe Seite 125
9 Siehe Seite 127
10 Hier irrt Maria W. Details siehe Seite 141 f
11 Hans T. Interview
12 Hans T. bezieht sich auf eine Aussage von Dr. Michael Graff (ÖVP), der erst bei neun ‚eigenhändig erwürgten Juden‘ im Zusammenhang mit der Diskussion über die Vergangenheit von Präsident Dr. Kurt Waldheim von einer erwiesenen Schuld sprach.
13 Der Zeitungsherausgeber Dr. Herbert Faber führte die Buchhandlung Österreicher, als Gottfried eingerückt war.
14 Alarich Zumpfe „arisierte“ den Betrieb von Oskar Wolter.

Leave a comment

You must be logged in to post a comment.