Vom theoretischen zum praktischen Antisemitismus

Vom theoretischen zum praktischen Antisemitismus
Welche Maßnahmen ergriffen die politisch Verantwortlichen in Krems nach dem 12. März 1938 gegen die Juden? Wie wurden jene Verordnungen und Gesetze, die in nur wenigen Monaten auf die Juden niederprasselten,‘ im lokalen Rahmen umgesetzt? Die Materiallage für den lokalen Bereich ist mehr als dürftig. So kann hier vorerst nur auf einen Runderlaß an alle „Herren Bezirkshauptmänner in Niederdonau“ vom 2.9.1938 hingewiesen werden, in dem diese angehalten werden, gemäß des Runderlasses des Reichsministeriums des Innemen vom 27. Juli 1938 die Umbenennung sämtlicher nach Juden und jüdischen Mischlingen 1. Grades benannten Straßen oder Straßenteilen in den österreichischen Gemeinden bis spätestens 20. September bekanntzugeben, wobei darauf hingewiesen wird, die Frist „unbedingt strengstens einzuhalten“.2 Der Bezirkshauptmann von Krems, Leopold Gawanda, erstattete am 17. Oktober 1938 in dieser Angelegenheit einen Fehlbericht, was soviel heißen sollte, daß in Krems keinerlei Straßen oder Plätze nach Juden benannt waren. Ungeklärt bleibt die Frage, ob die Judengasse, ein kleines Gäßchen zwischen Täglichem Markt und Landstraße, zu diesem Zeitpunkt noch diesen Namen trug. Gedanken über diese Gasse machte sich einige Wochen davor auch der Redakteur, der unter dem Pseudonym „Till Eulenspiegel“ in der „Kremser Zeitung“ schrieb. „In Krems hat es übrigens kürzlich jemand befremdlich gefunden, daß wir noch eine ‚Judengasse‘

Straßenkarte der „Gauhauptstadt“ Krems

haben. Ob das wegen der historischen Unantastbarkeit der Stadt sei? Eine Erinnerung an das Ghetto? Kopf geschüttelt wird ja jetzt allerhand und bei jeder Gelegenheit.“3 Daß es in diesem Fall zu keinerlei Änderung gekommen sein soll, ist einerseits unvorstellbar, wenn man bedenkt, daß der Oberbürgermeister der Stadt in der Frage der Bestattung die Ratsherren ausdrücklich darauf hingewiesen hatte darauf zu achten, daß Juden nur auf dem Judenfriedhof beerdigt werden.4 In einem Stadtplan der Stadt Krems, der bereits die neuen Straßenbezeichnungen, zum Beispiel für die Ringstraße (Adolf Hitler Straße), trägt, ist die Judengasse noch als solche ausgegeben. Ein weiterer Schritt öffentlicher Kremser Stellen, von dem Juden betroffen waren und der aktenmäßig belegt ist, betrifft die sogenannte Neuordnung des Berufsbeamtentums. Unter den Namen jener Personen, die entlassen wurden, findet sich auch jener des „Halbjuden Karl Waschak“. Karl Waschak fand in der Firma Nuss und Vogl als Buchhalter eine Beschäftigung. Nach dem Krieg wollte er sich als Buchhalter und Steuersachbearbeiter selbständig machen. Am 3.2.1946 wurde Karl Waschak nach einem Kundenbesuch in Rohrendorf von einem sowjetischen Besatzungssoldaten belästigt und in der Folge durch einen Pistolenschuß getötet.5

„Der Saujuden wegen“
Mit welchem politischen Klima die jüdische Bevölkerung von Krems in diesen Tagen und Monaten nach dem „Anschluß“ konfrontiert war, sollen zwei Hinweise verdeutlichen. So trieb die Schuldzuweisung, die die Juden als Verantwortliche für alle nur denkbaren negativen Erscheinungen des öffentlichen Lebens sah, seltsame Blüten; so sollten die Juden, selbst höhere Erträge im Zuckerrübenanbau verhindert haben, da „die zum Großteil in jüdischen Händen befindliche Zuckerindustrie auf Grund ihrer antideutschen Einstellung` die Vermittlung von Saatgut der in der ganzen Welt bekannten ertragreichen deutschen Sorten, prinzipiell abgelehnt habe. Ein Anliegen ganz besonderer Art bewog die Kremserin Karola Lammfellner, an den Reichskommissar Bürckel zu schreiben. Karola Lammfell= fürchtete um die katholi-schen Feiertage. In ihrem Brief bittet sie, keine Veränderung bei den katholischen Feiertagen vorzunehmen. „Wir sind ein katholischer Gau und bei der anderen Regierung sind wir ohnehin um die Marienfeiertage gekommen, der Saujuden wegen, damit sie keine Feiertage bezahlen müssen.` Dieser Brief ist wohl ein Beispiel für die individuelle Umsetzung der offiziellen Propaganda. Die Bedeutung der Feiertage für die neuen Machthaber erläutert sie folgendermaßen: dem Allmächtigen müße gedankt werden, „daß wir das Deutschtum zusammengebracht haben“ und dieser Dank könne besonders während der Feiertage abgestattet werden. Dies hätte zur Folge, daß er (Gott, Anm. R.St.) uns zum „baldigen Sieg“ verhelfen werde. Den Juden wird in den Lokalzeitungen auch vorgeworfen, an ihrem eigenen Untergang noch zu verdienen, indem sie Hitlerbüsten und ähnlichen „nationalen Kitsch“ in Umlauf gebracht hätten, der auch bei Kremser Geschäftsleuten großen Absatz gefunden habe. „In erstaunlich kurzer Zeit wurde durch eine geschäftstüchtige (meist wohl jüdische) Ramsch-industrie der Markt förmlich überschwemmt (…).“ Als Mitte Dezember bei Preisüberprü-fungen in Krems überhöhte Preise festgestellt werden mußten, sieht sich der Verfasser des Berichtes veranlaßt, von „noch jüdischen Geschäftsmanieren“ zu sprechen, mit denen versucht worden sei, „deutsche Menschen auszuplündern“.‘ Diese Rassenhysterie gegen Juden und solche, die dafür gehalten wurden, schloß auch jene mit ein, die mit Juden in Kontakt gestanden waren. Die Verleumdungen und Denunziationen dürften ein auch für die Verantwortlichen derart unerträgliches Ausmaß angenommen haben, daß diese sich genötigt sahen, in einem vertraulichen Schreiben „an alle Landräte in Niederdonau und die Herren Oberbürgermeister von Krems, St. Pölten und Wiener Neustadt“, keinen geringeren als Generalfeldmarschall Göring als „Bremser“ zu zitieren. In diesem Schreiben hieß es, daß in „letzter Zeit beobachtet worden sei, daß deutsche Volksgenossen um deswillen denunziert wurden, weil sie früher einmal in jüdischen Geschäften gekauft, bei Juden gewohnt hätten (…).“ 9 Göring bezeichnete „das Ausspio-nieren und Denunzieren solcher oft lang zurückliegender Vorgänge“ als in jeder Richtung „unerfreulichen Mißstand“.10 Um die Durchführung des Vierjahresplanes, die eine „gleichmäßige und störungslose Anspannung aller deutschen Menschen“ erfordere, nicht zu gefährden, „wünschte“ er, daß diesem Unwesen nach Kräften Einhalt geboten werde.

Mit Inseraten gegen Gerüchte
Anhaltspunkte für dieses Klima, in dem das Ausspionieren und Denunzieren an der Tagesordnung stand, liefern jene Inserate, in denen eine Reihe von Kremsern den letzten Ausweg sahen, um zu Gerüchten über ihre Abstammung Stellung zu nehmen. In diesem Sinne sind diese Inserate daher sicherlich mehr als nur eine „für Krems pikante Note“, wie dies Hruschka feststellt. 11 In den Ausgaben der „Land-Zeitung“ vom 23. März, 6. und 13. April und B. Juni erscheinen insgesamt sieben meist mit der Überschrift „Warnung“ versehene Inserate, in denen gewarnt wird, unwahre Gerüchte über die politische Einstellung oder rassische Zugehörigkeit des jeweils Unterzeichneten zu verbreiten. So dementiert eine Mizzi Auerladscheiter aus der Alauntalstraße, Nazis angezeigt zu haben.` Eine Frau Erna Hain spricht hingegen von Gerüchten, die ihr „Ansehen in politischer und moralischer Hinsicht“ gefährden. Unter das Inserat von Frau Maria Schneider setzt die Zeitung selbst den Kommentar, daß die Verfasserin einen Taufschein vorgelegt habe, aus dem hervorgehe, daß der Großvater vor 100 Jahren als Sohn des Mühlenpächters J.Fr. Schneider geboren wurde. 11 Luise und Edith Weese14 drohen wie die Geschwister Homola aus Rohrendorf, jeden gerichtlich zu belangen, der behauptet, „daß wir jüdischer Abstammung“ sind, während Herr Josef Stein „nur“ ganz allgemein warnt, keine unwahren Gerüchte zu verbreiten.

Kampfblatt Land-Zeitung
Bevor im einzelnen auf die Judenverfolgung in Krems eingegangen wird, ist es ange-bracht, die Lokalpresse nochmals genauer zu untersuchen, um über das bisher Zitierte hinaus jenen Rahmen zu skizzieren, in dem die Beleidigungen, Erniedrigungen und die Gewaltätigkeiten gegen Juden gesehen werden müssen. Eine genaue Analyse der Artikel der „Land-Zeitung“ soll neben den aus heutiger Sicht meist anonymen Tätern der Straße jene, die hinter Schreibtischen saßen, Artikel schrieben, um antisemitische Propaganda in einer breiten Öffentlichkeit präsent zu halten, in Erinnerung rufen. „Und was des Volkes Leben ist, das wiederspiegelt (sic!) sich in der Presse“, war in jener Ausgabe der „Land-Zeitung“15 zu lesen, als dieses Blatt eine „neue technische Ausgestaltung“ bekommen hatte, die der Aufgabe, „verschiedenste Trümmer einer verflossenen Zeitepoche“ wegzu-räumen, besser gerecht werden sollte. Dies bedeute jedoch keine grundsätzliche Ände-rung der Blattlinie. Ein gewisser F.B. stellt im „Geleit“ fest: „Für uns gab es immer nur einen Feind: Die internationalen Mächte der Weltpolitik. Wir kennen sie: Judentum, Freimaurerei, Marxismus und politischer Katholizismus“. Da, wie es in dieser Ausgabe weiter oben heißt, die nationalsozialistische Dynamik „Neues schafft“, ist wohl darunter auch eine neue Qualität der Hetze gegen das Judentum zu verstehen. Wie bereits gezeigt werden konnte, war die „Land-Zeitung“ traditionell ein geeignetes Forum für die Verbreitung antisemitischer Ideen. Selbst für die „Land-Zeitung“ muß jedoch für die Zeit nach dem März 1938 von einer neuen Qualität der Hetze gesprochen werden. Auch in der „Land-Zeitung“ wurde jener Übergang, der später in diesem Organ in einem Leitartikel entsprechend formuliert werden sollte („Es ging nicht mehr um einen gefühlsmäßigen Antisemitismus, es ging um die Entscheidung: Wir oder die Juden“), mühelos geschafft. Allein die Häufung der Artikel, in denen sich die Zeitung in der einen oder anderen Form mit „dem Judentum“ auseinandersetzt, zeigt, daß das Versprechen, „Unser Blatt wird ein Kampfblatt bleiben“,16 voll und ganz eingelöst wurde. Mit dem 14. September 1938 wird eine eigene Spalte „Kampf dem Judentum“ eingeführt. Die Haltung gegenüber der sogenannten „Judenfrage“ läßt sich aber auch aus der Kommentierung von Meldungen ablesen, wenn zum Beispiel die veränderte Haltung Italiens gegenüber den Juden und deren Widerstand dagegen mit dem Hinweis bedacht werden: „Das ganze jüdische Volk wird in den nächsten Jahren sein eigenes Ghetto finden“.17

Aufruf zur Plünderung
Neben dieser Spalte gibt es noch Artikel, die mit „Bilanz des Judentums“18 oder mit „Jude““ überschrieben sind. Die Vielfalt der Artikel, in denen gegen das Judentum Stimmung gemacht wird, reicht über eine Schilderung der Qualen, die ein Tier durch das rituelle Schächten erleiden muß, wobei Adolf Hitler mit dem „edlen, guten Herzen“ als Retter der armen Kreatur erscheint, bis hin zu jeder Menge von Kurzmeldungen, denen zufolge jüdische Flüchtlinge „faul in der Sonne liegen“,20 oder internationale Berichte wie: „Jüdischer Wucher hat Ungarns Grundbesitz ruiniert“21. Ist die Ankündigung einer internationalen Lösung der Judenfrage im Artikel im Oktober 1938 auf der ersten Seite noch allgemein gehalten,22 so verschärft sich der Ton Anfang November merklich, wenn in einem aus einer SS-Zeitung übernommenen Artikel angekündigt wird, daß die Juden so behandelt würden, „wie man Angehörige einer kriegsrührenden Macht zu behandeln pflegt“.23 Der folgende Aufruf, sich am „Hamstergut“ der Juden „schadlos zu halten“, ist als Aufruf zur Plünderung anzusehen. Nach dem Pariser Attentat wird die Forderung laut, daß Europa von Parasiten gesäubert werden müsse,24 während eine Woche später mit der starken Hand des nationalsozialistischen Staates gedroht wird.25 Von „Konzentrationsla-gern“ ist allerdings in dieser Phase nur im Zusammenhang mit anderen Ländern die Rede. „Dachau“ als Begriff wird ohne weitere Erklärung in einem Schulungsabend der Deutschen-Arbeits-Front (DAF) von einem aus dem Altreich kommenden Vortragenden namens Nutzenberger verwendet 26 Einer der Höhepunkte der Hetze in der „Land-Zeitung“ stellt eine Seite in der Ausgabe vom 30.11.1938 dar, deren linker und rechter Rand mit Bildern bekannter Juden verziert ist. Der bereits erwähnte Schreiber mit den Initialen F.B. kündigt auf dieser Seite an: „Mit Stumpf und Stil die Juden ausrotten, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Das ist die Parole der Zukunft, für die junge, die nationalsozialistische Generation!“ Der Artikel darunter schließt mit der Aufforde-rung „der Jude aber soll verrecken.“ Die Kremser können aber auch Mitte Dezember auf der Titelseite lesen, daß für die Entwicklung, die „wir (die Nationalsozialisten Anm.R.St.) nicht gewollt haben, die wir jetzt aber unbarmherzig ihrem Ende entgegenführen 17 die Parteidemokraten aller Länder schuld seien. In derselben Ausgabe wird auch vom „Ausschalten“ des jüdischen Geistes gesprochen. Im Dezember 1938 ist es wieder einmal so weit, daß die Eigeninitiative der Bevölkerung und ihr nationalsozialistischer Elan gebremst werden müssen, wenn es heißt: „Ziel der Judenpolitik ist die Auswanderung“ und insbesondere, vor „Einzelaktionen“ wird gewarnt.28

Die Juden und die „Grosse Reisse
Ende des Jahres 1938 wird einer Meldung über Auswanderungsbewegungen von Juden der zynische Kommentar hintangestellt: „Sie ziehen schon wieder um … immer noch in der Hoffnung, daß man sich auf diese Weise die ganz große Reise ersparen könnte. Sie wird sich auf Dauer nicht vermeiden lassen“. Daß mit dieser Reise nicht jene in einen eigenen Staat gemeint war, erfährt der Leser kurze Zeit später in einem Bericht über eine Rede des „Theoretikers“ der NSDAP Alfred Rosenberg. Denn die Lösung, so Rosenberg, soll in der Schaffung nicht eines Staates, sondern eines jüdischen Reservates, gipfeln.29 In den folgenden Jahren werden die weltpolitischen Ereignisse als „weltanschauliches Ringen mit dem Judentum“30 ausgegeben. Dem stellvertretenden Gauleiter in Niederdonau, Karl Gerland, gelingt es sogar, eine Verbindung zwischen dem Verbot der NSDAP am 19. Juni 1933 und dem Kampf gegen das Judentum zu ziehen („Dieselbe jüdische Weltverschwörung, die heute gegen das deutsche Volk (…), stand damals hinter der Rechtsuntat“).“ Noch im März 1944 ist eine Auflistung „Sie alle waren Judengegner“ wichtig genug, um auf der ersten Seite der „Donauwacht“ zu erscheinen. 32 Wie hatte es bereits im November 1938 im Artikel „Geistiger Gasschutz“ geheißen: „Wir müssen immer über das jüdische Treiben aufklären, unserem Volk einhämmern, daß sein Geschick von seinem eigenen Wollen und Verhalten abhängig sein wird“33 Neben Artikeln, die sich angesichts aktueller Ereignisse mit der „Judenfrage“ befassen, ist in den Kremser Zeitungen eine Tendenz zu bemerken, die durch den nationalsozialistischen Machtapparat gesetzten Maßnahmen historisch zu legitmieren.

„… Und griffen Juden Gewaltiglich“
Als ersten Artikel dieser Tendenz muß auf jenen aus der „Donau-Post“ mit dem Titel „Von Gott und der Natur aus Feinde des christlichen Blutes…“ verwiesen werden, durch den die Räumung des Judentempels in der Dinstlstraße zeitlich genau lokalisiert werden kann. Gemäß der Wochenzeitung sei der Tempel schon seit langem als „Schönheitsfehler“ empfunden worden. „Nun ist er zwar noch nicht äußerlich entfernt, wohl aber erfolgte am vergangenen Samstag seine Räumung, da das Gebäude vorerst als Notlager für sudeten-deutsche Flüchtlinge eingerichtet wurde und später einer anderen nützlichen Verwendung zugeführt werden soll. Bei dieser Gelegenheit ist es nicht uninteressant, einen kurzen Blick in die Vergangenheit zu tun.“34 Dieser Blick in die Vergangenheit, die lokale Judenverfolgung aus dem Jahre 1347, zeitigt durchaus praktische Ergebnisse, denn die Beschreibungen der Tätlichkeiten sind entweder als versteckte Darstellungen jüngstes Ereignisse oder als Aufruf zu neuen Tätlichkeiten zu verstehen. „…hub sich der Pobel (Pöbel) aus Stein und Krems und außerhalb der Städte aus den Dörfern und kamen mit Gewalt gen Krems und griffen die Juden gewaltiglich, und schlugen die Juden zu Tod und brachen ihre Häuser auf und trugen aus alles das, was sie funden.“ Nicht fehlen darf bei diesem Artikel natürlich der Hinweis auf die Passage in der Stadtgeschichte des Propstes Anton Kerschbaumer, der lapidar darauf hinweist, daß ein großes Kontingent für den Judenfriedhof die Strafanstalt liefere, wodurch der Beweis erbracht sei, „daß Judentum und Kriminalität eng miteinander verwandt sind.“35 Eine Woche vor diesem heimatkundlichen Artikel war in der gleichen Zeitung ein Bericht anläßlich des 20. Jahrestages des Explosion in der Munitionsfabrik Wöllersdorf erschienen. Schuld an diesem Unglück war, wie könnte es anders sein, ein Jude, wie bereits in einem Untertitel angekündigt worden war: „Der Befehl eines Juden und seine Folgen.“36 Ein weiteres Beispiel, in dem der Geschichte legitimatorische Funktion zugewiesen wird, stammt von Dr. Hans Plöckinger, dem Leiter des Kremser Heimatmuseums, dessen Gedankenketten komplexe soziale und wirtschaftliche Phänomene auf einfache Muster reduzieren. Denn die Mystik, mit ihrer Forderung nach vollkommener Hingabe zu Gott, habe die Menschen zu frommen Werken und Schenkungen veranlaßt, dadurch habe sich der Besitz der Kirchen und Klöster vermehrt. Diese „Gebefreudigkeit“ führte zu eines Verarmung der Bürger, wodurch es den Juden erleichtert worden sei, in Krems Fuß zu fassen. „In Krems sah man merkwürdig geduldig zu, wie die Juden von den verarmten Bürgern ein Haus nach dem anderen, ja selbst Weingärten erwarben.“37 Diesem Blickwin-kel gemäß wird die Befreiung von den Juden als Segen für die Bevölkerung gepriesen, so schreibt Plöcklinger in der ersten Fortsetzung dieser Serie, nachdem er die „energischen Gegenmaßnahmen“ zum Beispiel eines Albrecht III. und eines Leopold III. referiert hatte: „Endlich atmeten die Kremser hochbeglückt auf. Die Befreiung von den Juden brachte Wohlstand zurück.“38

Juden: Müde Lebenswanderer?
Nicht ganz in dieses Bild von den Juden als Plage für die Bevölkerung paßt des schwärmerische Erinnerungsbericht von Dr. Fr. Glassner-Atzenbrugg, den immer „des magische Zauber der Stadt“39 angezogen habe. Wenngleich er auch feststellt, daß „die Judenplage – Gott sei gepriesen – heute der Vergangenheit“ angehört, enthält er sich in der Beschreibung des Judenfriedhofes von Krems aller zynischen Kommentare. „Die Kinder Israels wurden bis zum Jahre 1882 in diesem Friedhofe beigesetzt. Dann nahm ein neuer Ort des Friedens die müden Lebenswanderer in seine Arme11 Nicht direkt mit Krems verknüpft, aber durch den allgemeinen Titel „Juden in der Kleinstadt“ erwähnenswert, ist der Bericht, der sich mit der Stadt Waidhofen an der Thaya befaßt. Der Tenor auch hier: „Die Stadt Waidhofen wurde aber von den Juden wirtschaftlich sehr schwer geschädigt.“41

Anmerkungen
1 Herbert Rosenkranz hat auf das rasante Tempo im Vergleich zur Entwicklung in Deutschland und die neue Qualität, die Gleichzeitigkeit von bürokratischen Maßnahmen und Straßenterrorhingewiesen. Siehe:Herbert Rosenkranz: Verfolgung und Selbstbehauptung. S.12
2 NÖLA Ia/224/1939. Schreiben des Ministeriums für innere und kult. Angelegenheiten an den Landeshauptmann von Niederdonau
3 Kremser Zeitung. 28.7.1938
4 Stadtarchiv Krems. 2. Sitzung der Beigeordneten und Ratsherren der Stadt Krems vom 22.7.1939
5 Friedrich Waschak. Brief an den Verfasser vom 1.9.1986
6 Land-Zeitung. 13.4.1938
7 AVA. Bürckel-Bestand/ Personereg. Brief von Karola Lammfellner vom 29.10.1938. K 510 112 1
8 Land-Zeitung. 17.8.1938
9 Land-Zeitung. 21.12.1938
10 NÖLA I/1 a/258/1939. Vertraul. Schreiben des Landeshauptmannes von Niederdonau vom 1.2.1939
11 Ebd.
12 Hannelore Hruschka: Die Juden in Krems. Bd.l. S.245
13 Land-Zeitung. 6.4.1938
14 Land-Zeitung. 23.3.1938
15 Land-Zeitung. 13.4.1938
16 Land-Zeitung. 14.9.1938
17 Ebd.
18 Ebd.
19 Land-Zeitung. 21.12.1938
20 Land-Zeitung. 14.12.1938
21 Land-Zeitung. 5.10.1938
22 Land-Zeitung. 1.3.1939
23 Land-Zeitung. 19.10.1938
24 Land-Zeitung. 9.11.1938
25 Land-Zeitung 10.11.1938
26 Land-Zeitung. 23.11.1938
27 Land-Zeitung. 30.11.1938
28 Land-Zeitung. 21.12.1938
29 Land-Zeitung. 4.1.1939
30 Land-Zeitung. 18.1.1939
31 Donauwacht. 24.1.1940
32 Donauwacht. 28.3.1943
33 Donauwacht. 22.3.1944
34 Land-Zeitung. 23.11.1938
35 Donau-Post. 25.9.1938
36 Ebd.
37 Donau-Post. 18.9.1938
38 Donauwacht. 8.11.1939
39 Donauwacht. 11.11.1939
40 Donauwacht. 6.9.1939
41 Ebd.
42 Donauwacht. 26.4.1939