Antisemitismus in Krems

Der Antisemitismus gehörte in Krems zum guten Ton, der in allen Gesellschaftskreisen und je nach Parteizugehörigkeit in unterschiedlicher Vehemenz gepflegt wurde. Die „Land-Zeitung“ der Familie Faber versorgte ihre Leser mit exklusiven Informationen über die „Judenfrage,“ und so war sie es auch, die über das Buch des nordamerikanischen Autoindustriellen Henry Ford „Der internationale Jude“ berichtete, als noch nicht einmal eine Übersetzung des Werkes vorlag, in dem festgestellt wird, daß der Krieg in allen Staaten eine „Steigerung der Judenmacht“ gebracht habe.‘ Unterstützt wurde diese Stimmung noch durch diverse völkische und nationale Vereine. So forderte Dr. Ursin auf einer Versammlung der Großdeutschen Volkspartei im März 1922 in Krems, den Kampf auf allen Gebieten zu führen. „Und wenn alle Juden einstens nach Palästina ausziehen, dann wollen wir die besten Musikkapellen aufnehmen und ihnen als letztes aufspielen lassen: Auf Nimmer-Wiedersehen!“2 Diese Forderung blieb nicht ungehört, wenngleich es noch des Weines bedurfte, um die Zunge zu lösen und die Fäuste sprechen zu lassen. Der Bericht in der „Land-Zeitung“ über eine Rauferei im Cafe Bilek in der Schwedengasse, im Dezember 1922, verdeutlicht diese Stimmung. Weil der Zugsführer des Inf. Reg. Nr. 6 Heinrich Hofmann, mit seiner Gesellschaft im Cafehaus keinen Platz mehr gefunden hatte, waren schnell die Juden als Schuldige gefunden; es sei eben kein Platz, weil die Juden hier immer Karten spielen würden. Zur Beruhigung des angeheiterten Hofmann forderten ihn einige Gäste auf, doch etwas auf der Mandoline zu spielen. Dies lehnte Hofmann jedoch ab, denn vor Juden spiele er nicht, und außerdem „müßten heute noch ein paar Juden hin sein.“‚ Im Zuge des Raufhandels soll der Fleischhauergehilfe Fritz Schlesinger die Mandoline auf dem Kopf von Hofmann zerschlagen haben. Obwohl während der Verhandlung im Mai 1925 die Entlastungszeugen, unter anderen David Baß und Arthur Neuner, aussagten, daß Schlesinger nur Zuschauer gewesen sei und einige Belastungszeugen sich erst nach eineinhalb Jahren als Zeugen meldeten, wurde Schlesinger zu drei Monaten schweren Kerkers verurteilt.

DER JUDENPARAGRAPH DER WACHAU

Im Jahre 1923 dürfte, wie einer Meldung des sozialdemokratischen „Volkswillen“ zu entnehmen ist, für die Vermietung von Sommerwohnungen in Spitz an der Donau kurzfristig ein „Arierparagraph“ eingeführt worden sein. Da die Geschäfte jedoch flau gingen, wurde der „Judenparagraph“ wieder aufgehoben. „Hieß es vor kurzem : Juden hinaus! schreit heute alles: Juden heraus und bringt uns die güldene Wachau.“4 In der Beschreibung der Juden, die nun die Wachau besuchen, ist jedoch der „gute Ton“, sprich der Antisemitismus, zu erkennen. „Getreulich kommen sie und ihre Autos tragen nicht wenig zur Verböserung unserer Straßen bei. Aus Dankbarkeit schmücken sich die Insassen mit dem Hakenkreuz ohne Rücksicht auf ihre Hakennasen, die zum Verräter ihrer jüdischen Abstammung werden.“5 Die Wachau als Paradies für Arier hatte Tradition, denn von der „Land-Zeitung“ wurde selbst die Vermietung von Sommerwohnungen als Teil der „deutschen Schutzarbeit“ gesehen, wenn im Sommer 1920 die Vermittlungsstelle ausschließlich für Deutscharier angepriesen wird. In dieses Bild paßt auch ein Bildstock in der Nähe der Rollfähre Melk, in Emmersdorf Nr. 49, der um die Jahrhundertwende vom Schriftsteller Ernst Vergani errichtet wurde und sich durch die Inschrift auszeichnet: „Die Unduldsamkeit der Juden hat Jesu, den Prediger der Nächstenliebe, an’s Kreuz geschlagen. Merkt es Euch, Ihr Christen“.‘ Die Beständigkeit des Antisemitismus dürfte auch vor Steinen und Farbe nicht haltgemacht haben, denn nachdem diese Schrift bereits in den zwanziger Jahren übertüncht worden war, wurde sie im Sommer 1931 wieder sichtbar und bedeutete nicht nur „eine grobe Geschichtsfälschung, sondern ist auch geeignet zu Haß und Verachtung gegen eine staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft aufzureizen“ 7 Es dauert immerhin bis Oktober, bis der Bezirkshauptmann dem Besitzer des Grundstückes, auf dem der Bildstock steht, einen Regierungsrat Josef Bayer, „Euer Hochwohlgeboren“ ersucht, „diese Inschrift, welche gerade derzeit bei den unruhigen Verhältnissen Anstoß erregen könnte, zu beseitigen“.8 Im November desselben Jahres konnte der Israelitischen Kultusgemeinde in Krems die „Übertünchung“ gemeldet werden.

DIE SOZIALDEMOKRATIE KEINE „JUDENSCHUTZTRUPPE“

Die Sozialdemokratie war für die Juden nicht nur in Krems die einzige Möglichkeit, um sich politisch betätigen zu können. Das Dilemma dieser Partei spricht Robert Kohn an, wenn er konstatiert, daß das Programm tolerant gewesen, aber im „Stillen“ so mancher Sozialdemokrat nicht frei von Antisemitismus gewesen sei. Vor dem latenten Antisemitismus kapitulierte auch Nationalrat Laser, der während einer Versammlung in Krems die

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Die Roten Falken in Krems, Adolf Laser (Mitte)

Behauptung aufs schärfste zurückwies, daß die Sozialdemokratie eine „Judenschutztruppe“ darstelle? Einen anderen Ausspruch eines sozialdemokratischen Funktionärs, mit dem dieser seinen Urlaub im Italien Mussolinis gerechtfertigt hatte, hat Robert Kohn noch im Ohr: „In Österreich kann man in keine Sommerfrische fahren. Da ist ja alles von Juden überfüllt.“ Noch heute bereut August Vakrcka, der mit Willi Glass bei den Roten Falken tätig war, einen Ausspruch, den er nach dem Februar 1934 gegenüber seinem jüdischen Genossen getan hat. „Wir sind auf dem Schutzdamm gegangen und haben über die Niederlage geredet und ich hab‘ halt gesagt, daß der Saujud Otto Bauer geflüchtet ist. Wie ich’s gesagt habe‘, ist mir erst eingefallen, daß ja auch der Willi ein Jude ist. Er hat nichts drauf gesagt, aber dieser Satz tut mir heute noch leid. Mitte der zwanziger Jahre erinnert sich die „Land-Zeitung“ aufgrund einer Zuschrift an die „schreckliche Kriegsbegleiterscheinung“, die ostgalizischen Juden. Der Grund für diese Verspätung lag im Aufenthalt einiger jüdischer Teppichhändler in Krems, die sich über ein schlechtes Geschäft nicht beklagen konnten, da einige Geschäftsleute und auch die Sparkasse Teppiche kauften. Da diese Händler keine Steuern entrichteten, so die Land-Zeitung, müsse zum „Kampf gegen die ostgalizischen Schädlinge“12 aufgerufen werden.

DIE HETZE UND IHRE SPONSOREN

Selbstverständlich nutzten die Nationalsozialisten jedes noch so unglaubwürdige Gerücht, um gegen die Kremser Juden zu hetzen. In der kurzen Zeit, in der die NSDAP Ortsgruppe Krems eine eigene Zeitung, „Die Wahrheit“, herausbrachte, war jede Ausgabe mit einem Schmähartikel garniert, wobei vor allem Wert darauf gelegt wurde, die angebliche sexuelle Abartigkeit der Juden bloßzustellen. So habe zum Beispiel der „Jude Neuner“ im Spital versucht, „seine schamlosen Gelüste an der Pflegeschwester zu befriedigen“.“ Der „Jude Löwenkron“ hingegegen habe sich einer „deutschen Frau aus Etsdorf‘ in „ganz unglaublich echt jüdisch-tierischen Art“ genähert. Aus diesem „Vorfall“ hätten, so die „Wahrheit“, die Arbeiter die Konsequenzen zu ziehen, da „ihre Führer“ fast alle zur „Rasse Löwenkron“ gehören. „Sie wollen, daß Du Lohnsklave bist und bleibst und Dein Weib `Freiwild‘ sei für jüdische Gier!“14 Zu erwähnen wäre in diesem Zusammenhang noch die Tatsache, daß diese lokale Ausgabe des „Stürmers“ mit einer Reihe von Inseraten von Kremser Kaufleuten gefüllt war, die so dieses Organ unterstützten. Von den 17 Ausgaben, die im Zeitraum von 1929 bis 1933 erschienen sind, fanden sich bis zum 1. Juli 1930, also in zehn Ausgaben, Inserate. Die Bäckerei Wilhelm („Warum sind Wilhelms Nuß- und Mohnbeugerl die begehrtesten?“) inserierte in allen zehn Ausgaben, die „arische Firma“ (so das Inserat Anm. R.St.) Haider & Co war in acht Ausgaben, das Möbelhaus von Julie Pemmer in sechs, die Drogerie Roman Vieröckl in vier Publikationen vertreten.“ Im Jahr 1929 greifen die Nationalsozialisten die Argumentation des sozialdemokratischen „Volkswillen“ auf und lassen in ihrem Artikel in der „Wahrheit“ ebenfalls Luxusautos mit Juden durch die Wachau rasen, deren Staub die Arbeiter schlucken müssen. Bedauert wird, daß die Nationalsozialisten noch nicht so viele „Schinakeln“ hätten, damit die „Galizianerrasse“ ausbleiben würde. Angespielt wird dabei auf die NS-Sonnwendfeier, gegen die die Steiner Sozialdemokraten protestiert hatten, weil auf Booten Hakenkreuzfahnen gehißt worden waren und Slogans wie „Deutschland erwache“ und „Juden hinaus“ gerufen worden waren.“ Aktenkundig wurden die antisemitischen Ausschreitungen anläßlich der Stromschwimmeisterschaften im Juli 1932 zwischen dem jüdischen Sportverein Hakoah und dem als antisemitisch verrufenen Verein EWASK. Nach dem Sieg der Hakoah-Schwimmer, der jedoch wegen eines Formalfehlers nicht anerkannt wurde, attackierten Jugendliche die jüdischen Schwimmer. Fritz Lichtenstein wurde mit Stöcken und Fausthieben aus seiner Kabine getrieben, sein Auto mit Steinen beworfen und mit roter Farbe übergossen.“ Vor dem Hotel Weiße Rose in der Stadt wurden die Hakoah Schwimmer abermals von Jugendlichen angegriffen. Der Bezirkshauptmann von Krems sprach von „bedauerlichen Zwischenfällen“ und spielt die Vorfälle als „kleinere Reibereien“ herunter. Im selben Atemzug betonte er aber, daß derartige gewalttätige Verhaltensweisen gegen Juden unter Kremser Schülern immer häufiger zu bemerken seien.` Folgt man dieser Aussage, stellten die Schulen in Krems eine Schule des Antisemitismus dar. Wie die Stimmung in den Kremser Schulen gegenüber Juden tatsächlich war, darüber können nur die Betroffenen von damals Auskunft geben.

„MIT JUDENKINDERN SPIEL‘ ICH NICHT“

Bei den Interviews mit ehemaligen Kremsern in Israel und den USA über Antisemitismus in den zwanziger und dreißiger Jahren in Krems, spielten die Erlebnisse in der Schule eine besondere Rolle. Das Gefühl des „Anderssein“, zumindest aus der Sicht der Nichtjuden, erlebten die jüdischen Kinder bereits sehr früh. Bela Neubauer hörte mit rund sechs Jahren zum ersten Mal, daß Menschen Juden hassen, weil sie Juden sind. Marion Wasservogel hatte ihr Schlüsselerlebnis im Stadtpark von Krems. Als Vier-, Fünfjährige wollte sie mit einem anderen Mädchen spielen, das einen besonders schönen roten Ball besaß. Das Ansinnen wurde jedoch mit gewählten Worten zurückgewiesen: „Mit Judenkindern spiel‘ ich nicht!“19 Die Klischees von Juden waren, trotz der Möglichkeit, sie mit eigenen Augen an der Realität zu überprüfen, abstrus. Bela Neubauer wurde auf seine Merkmale angesprochen: „Sag einmal, du bist doch auch ein Jude, was hast du für ein Merkmal, ein Horn?“20 In der Realschule in Krems wurde Erich Wasservogel mit einem Lied empfangen: „Er kommt daher auf platte Füß‘, die Nase krumm, die Haare kraus, das ist der Jude aus Galizien, haut’s ihn raus, haut’s ihn raus“21. Daß Erich Wasservogel mit seinen blauen Augen, blonden Haaren und einer stattlichen Figur in keiner Weise diesem Klischee entsprach, störte die jugendlichen Antisemiten keineswegs. Olly Nemschitz, die 1933 erst sechs Jahre alt war, hatte ihre erste politische Erfahrung bei heruntergelassenen Rollos. „Der Bohusch Kurt – die haben in unserem Haus gewohnt – hat mich eingeladen, er wird mir etwas ganz Verbotenes zeigen. Er hat alle Rollos herunterlassen, das Grammophon angestellt und mir das Horst-Wessel-Lied vorgespielt.“22 Trotz dieser frühen Bekanntschaft mit dem Antisemitismus herrschten bei den Jugendlichen auch Illusionen über die gesellschaftlichen Kräfte vor. So versicherte Sigi Neubauer seinen Freunden, Robert Kohn, Kurt Karpfen und seinem Bruder Bela, daß sie ohne weiteres beim Deutschen Turnverein in Krems aufgenommen werden würden: „Wir gingen in die Turnhalle während einer Übungsstunde. Da stand ein Athlet, wahrscheinlich der Vorsitzende. Einige Buben schrieben sich gerade ein. Dann kam der Sigi Neubauer, den schrieb er auch ein. Da war ihm noch nichts verdächtig. Dann kam ich. Er fragte: `Jude?‘ `Ja.‘ `Nehmen wir nicht‘ war der kurze Dialog.` Den Schilderungen der von antisemitischen Äußerungen Betroffenen zufolge ist eine breite antisemitische Grundstimmung unter Schülerinnen und Schülern wie auch Lehrern, wenn sie auch mitunter als Philosemitismus getarnt war, vorherrschend gewesen. Was es für einen Schüler bedeutete, als Jude abgestempelt zu werden, mußte Wilhelm Ziskovsky erleben, der in der ersten Turnstunde nach der Nennung des Namens vom Lehrer gefragt wurde, ob er denn ein „polnischer Jud“ sei. Das Gelächter der Klassenkameraden verstummte bald, aber es habe „eine Weile gedauert, bis ich den polnischen Juden weggebracht habe.“

„SEHT EUCH DEN ORIENTALEN AN“

Selbst das Lob für Leistungen von Juden wurde in diesen Jahren mit einem bitteren Beigeschmack ausgesprochen. Bela Neubauer wurde von seinem Deutschprofessor in der Realschule gelobt, weil er als einziger der Klasse einer besonderen Theateraufführung beigewohnt hatte: „Ja ihr Deutschen kommt nicht ins Theater, der Jude aber war dort.“ Diese Trennung in Deutsche und Juden wirkte sich auch auf die Deutschnote von Neubauer aus. Ein Aufsatz über Hamlet wurde vom Professor als außergewöhnlich genug empfunden, um vorgelesen zu werden, benotet wurde die Arbeit aber nur mit einem Gut. Auf die Frage eines Schülers, warum es dafür kein Sehr gut gegeben hätte, meinte der Lehrer: „Deutsch ist ja nicht seine Muttersprache.25 Nicht ohne Hintergedanken lobte

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Paul Pisker, Erich Wasservogel, Fritz Nemschitz (v.l.n.r.)

auch Dr. Valentin Holzer in der Realschule, der zu sagen pflegte: „Ex oriente lux. Seht euch den an, den Orientalen, wie der über euch steht“. Offen trat hingegen der Klassenvorstand Erich Luhde auf, bei dem sich auch der Schüler Fritz Nemschitz wegen seiner unzulässigen Vergleiche beschwerte: „Halten Sie sich zurück mit ihren Reden, das ist nicht schön, habe ich ihm einmal gesagt. Er hat zum Beispiel gemeint: die Judenkirschen sind nicht zum Essen, denn sie sind so schlecht wie die Juden.“26 Zivilcourage zeigte am Gymnasium bei einer ähnlichen beiläufigen Bemerkung Marion Wasservogel, die den Lehrer aufforderte, den Vergleich mit der „Judenschule“ zu unterlassen. Der Zeichenlehrer Luhde ist auch Bela Neubauer als besonderer Antisemit in Erinnerung: „Er hat mich angebrüllt und Kohnjude zu mir gesagt. Nachdem er sich beruhigt hat, hat er Altbauer zu mir gesagt anstelle von Neubauer. Er war entsetzlich.“27 Der Tumpro-fessors der Realschule, Vinzenz Seiler, mußte sich dem Druck der Schüler beugen, die bei einem Handballauswahlspiel zwischen den beiden Schulen erklärten, sie würden nicht spielen, wenn in der anderen Mannschaft ein Jude aufgestellt sei.‘ Tatenlosigkeit legten die Lehrer auch an den Tag, wenn beim Tafellöschen ein Hakenkreuz mit dem Schwamm gezeichnet, oder wenn ein jüdischer Mitschüler mit einem Stein beworfen wurde. Nicht ohne Konsequenzen blieb jedoch die Schmähung, die Marion Wasservogel in der zweiten oder dritten Klasse Gymnasium auf ihrem Tisch vorfand: „Saujüdin, verfluchte Hure. Saujüdin verstand ich ja, aber Hure. Weinend bin ich zum Prof. Riedl gelaufen, und der hat ordentlich auf den Katheder gehaut und hat den auch ausgeforscht, der das geschrieben hat.“29 Einen ähnlichen Erpressungsversuch wie beim Handballspiel zwischen Gymnasium und Realschule gab es auch anläßlich des Maturaballs von Marion Wasservogel. Einige Schüler waren um den Ruf ihres Klassenvorstandes, des national eingestellten Prof. Rie-dels besorgt und ließen Marion Wasservogel, die mit ihrem Lehrer den Ball eröffnen sollte, wissen: „Wenn Du nicht absagst, dann kommt unser Professor nicht“.“Ich habe das dann dem Prof. Riedl erzählt, der hat sich empört und hat mit mir den Ball eröffnet.“ Zusammenfassend sei dieses Kapitel über die Schule des Antisemitismus mit der Einschätzung von Marion Wasservogel wie auch der übrigen Schüler geschlossen, die neben den zitierten unvergessenen Erlebnissen von der Tatsache berichten, daß es eine Reihe von Schülerinnen und Schüler gegeben habe, mit denen es ein korrektes Verhältnis gegeben habe, „auf der Straße hat man sich halt nicht gegrüßt“,“ mit denen aber die ganze Schulzeit über kein Wort gewechselt worden war.

DIE REMPELEIEN VOR DEM MÄRZ 1938

Zu antisemitischen Ausschreitungen in großem Umfang kam es in Krems vor dem September 1938 nicht. Der Antisemitismus wurde in Biertischrunden und Gesprächen gepflegt und spielte sich in kleineren Raufhändeln ab. So wurden Robert Kohn und Fritz Karpfen Mitte der zwanziger Jahre, als sie in der Donau schwammen, von einigen Radau-brüdern mit Schmähungen und Steinen bedacht. Rudolf Wasservogel, der ein tätiges Mitglied in der jüdischen Gemeinde war, war der Meinung, man dürfe nach so einem Zwischenfall nicht zur Tagesordnung übergehen, und zeigte den Vorfall an. Es kam zu einem Prozeß im Jahr 1926 oder 27, in einer Zeit, in der der Kreisgerichtpräsident meinte, im Falle eines Prozesses zwischen einem Christen und einem Juden, sei klar, wer Recht

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Badeidylle Ende der zwanziger Jahre in Krems
Fritz Nemschitz (liegend rechts)
1. Reihe: (v.l.n.r.) Marion Wasservogel, Fritz Karpfen,
Robert Kohn, Gertrude Pisker, Max Kohn (Mitte hinten)

bekäme. In der ersten Instanz wurden die Radaubrüder zu geringfügigen Strafen verurteilt, in der zweiten Instanz wurde aus dem Prozeß gegen die Schläger jedoch ein Ehren-beleidigungsprozeß gegen die beiden Juden?‘ Ende der zwanziger Jahre, als sich auch die Heimwehraufmärsche nicht nur in Krems häuften, wurden die Juden von Krems durch den Kaufmann Georg Wengraf im Tempel zusammengerufen. Auf Grund seiner Freundschaft mit dem Bezirkshauptmann hatte er erfahren, daß im Zuge eines derartigen Aufmarsches die Nazis Überfälle auf jüdische Fa-milien planten. Die beiden Familien Kohn und Auspitz wären von diesen Überfällen besonders betroffen gewesen. „Meine Familie hat damals beschlossen, die Nacht bei verschiedenen Verwandten zu verbringen, damit man uns nicht in der Wohnung antrifft. Aber wie heißt es so schön: angesagte Pogrome finden nicht statt. So war es auch in diesem Fall „33 Bei den angekündigten Pogromen blieb es aber nicht, für den Juden Leopold Kohut, der ein Kaufhaus in Langenlois betrieb, war nach einem Überfall eines Nationalsozialisten Ende Februar 1933 klar, daß er sich seines Lebens in Langenlois nicht mehr sicher sein konnte. Er verließ „fluchtartig Haus und Geschäft unter ungünstigen Bedingungen 1131 und siedelte sich in Wien an. Das Geschäft in Langenlois mußte Kohut verpachten, und diese Einnahmen stellten auf Grund der Gewerbesperre in Wien sein einziges Einkommen dar.

ANMERKUNGEN

1 Land-Zeitung 1.2.1923
2 Land-Zeitung 25.4.1922
3 Land-Zeitung 14.5.1925
4 Volkswille 21.7.1923
5 Ebd.
6 NÖLA V-313/4. Brief von Paul Schlesinger an die Israelitische Kultusgemeinde vom 8.8.1931
7 Ebd.
8 Ebd. Brief des Bezirkshauptmannes vom 22.10.1931
9 Robert Kohn. Interview
10 Ebd.
11 August Vakrcka. Interview
12 Land-Zeitung 20.4.1925
13 Die Wahrheit 1.9.1929
14 Die Wahrheit 1.8.1929
15 Die Firmen Winklers Dampfbäckerei und die Blumenhandlung Heißenberger, das Modegeschäft Emil KneBunddie Wäscherei Falta inserierten dreimal, die Buchhandlung Gottfried Österreicher, die Wechselseitige Brandschaden Versicherung und das Herrenkleidergeschäft von R. Reishofer inserierten zweimal. Nur einmal waren der Uhrmacher Eduard Eimer, die Wachauer Keramik Anton Mayer, die Kohlenhandlung Theodor Angerer, die Schneiderei Anton Grillmayer, das Geflügelgeschäft Räuschl, das Damenmodengeschäft Hofstätter verteten.
16 Die Wahrheit 1.8.1929
17 Hoppauf Hakoah. Jüdischer Sport in Österreich. John Bunzl (Hrsg.) Wien 1987. S. 103
18 AVA 22 NÖ 188 874/32 Bericht des Bezirkshauptmannes
19 Peter B. Neubauer. Interview
20 Miriam Karpfen. Interview
21 Peter B. Neubauer. Interview
22 Miriam Karpfen. Interview
23 Olly Salzmann. Interview
24 Robert Kohn. Interview
25 Wilhelm Ziskovsky. Interview
26 Peter B. Neubauer. Interview
27 Fritz Nemschitz. Interview
28 Peter B. Neubauer. Interview
29 Robert Kohn. Interview
30 Miriam Karpfen. Interview
31 Ebd.
32 Miriam Karpfen. Interview
33 Robert Kohn. Interview
34 Ebd.
35 NÖLA V/349/1932 Kultussteuer – Exekution Leopold Kohut