Eine aufgedrängte ‚Arisierung‘? Die Beteiligten, die Täter und das Opfer

In Krems gab es im Jahr 1938 27 „jüdische“ Gewerbebetriebe. Die Liste reicht von Otto Adler bis Oskar Wolter. Nach den bisherigen Informationen wurden vier Betriebe „arisiert“, damit liegt die Stadt Krems im Schnitt, denn von den 33.000 jüdischen Gewerbebetrieben in Wien wurden ebenfalls nur 15 Prozent arisiert, der Rest liquidiert oder aufgelöst. Die Arisierung war somit Teil der „‚Modernisierungs- und Strukturbereinigungs‘ Intentionen der Nazi-Planer“.‘ Im folgenden soll die Arisierung der Tischlerei von Otto Adler als Fallbeispiel darge-stellt werden, weil an Hand dieses Materials der von Gerhard Botz geforderte „Wechsel der Betrachtungsweise“, die die „österreichische Identität der Verfolger im weitesten Sinn und ihre soziale Motivation einbezieht“2, gerecht werden kann.

DER HAUPTAKTEUR

Einer der größten jüdischen Gewerbebetriebe in Krems war die Tischlerei von Otto Adler, der seit 1909 in Krems ansässig war‘ und dessen Betrieb sich einerseits auf die Produktion von Stilmöbeln, andererseits auf billige Weichholzmöbel spezialisiert hatte. Einer der Hauptakteure der Arisierungen in Krems war der als kommissarischer Verwalter eingesetzte Wiener Felix Wolf. Bevor näher auf die unmittelbare Durchfüh-rung der „Arisierung“ eingegangen wird, sei dargelegt, welche Voraussetzungen notwendig waren, um als kommissarischer Verwalter jüdischer Betriebe eingesetzt zu werden. Felix Wolf war als Buchhalter elf Jahre bis zum Jahr 1938 arbeitslos4 und seit 1934 illegales Parteimitglied. Im Fragebogen der Betreuungsstelle für alte Kämpfer schrieb Wolf über diese seine Zeit, daß er „vielen Gegnern die Augen geöffnet und sie für die NSDAP gewonnen habe.“5 In der Vernehmung im Jahr 1945 sind diese Angaben nur mehr „dichterisch angehauchte Anführungen“, denen keine Tatsachen zugrunde lägen.6 Das Jahr 1938 brachte die entscheidende Wende in Wolfs Leben und einen gesellschaftlichen wie finanziellen Aufschwung. Nachdem er sich bei der Vermögensverkehrsstelle um eine kommissarische Verwaltung beworben hatte, bekam er von der Abteilung Holz den Auftrag, die Verwaltung der Firma Adler in Krems zu übernehmen.7 Obwohl Wolf von Beruf Buchhalter war, hatte er so gut wie keine Ahnung vom Geschäftsbetrieb eines größeren Unternehmens, wie er selbst zugab;8 Oskar Wolter Senior und Junior, deren Betrieb er ebenfalls übernehmen sollte, charakterisierten in ihrer Zeugenaussage Wolf als kein besonderes „Geisteskind“.9 Bezahlt bekam Wolf für seine Tätigkeit, die sich darauf beschränken sollte, Druck auf die jüdischen Geschäftsleute auszuüben und mit einem Buchhalter die Bücher zu studieren und für den Verkauf zu „frisieren“, sowie die Übergabe der Betriebe einzuleiten, nicht schlecht. Für die Firma Adler kassierte Wolf 500 RM monatlich, für die Firma Wolter 150 RM, für das Uhrmachergeschäft Bader 120 RM. Monatlich durfte Wolf laut Vermögensverkehrsstelle nicht mehr als 660 Reichsmark verdienen.10 Der Beginn von Felix Wolfs Tätigkeit in Krems ist mit 30. Mai 1938 zu datieren. Dieses Datum trägt die Vollmacht über die kommissarische Verwaltung der Möbelfabrik Otto Adler. Am selben Tag noch teilte Wolf dies der Besitzerin der Tischlerei, Leopoldine Pichler mit, die den Betrieb an Otto Adler verpachtet hatte.“ Felix Wolf stellte sich später im Prozeß selbst als bloßen Erfüllungsgehilfen der Vermögensverkehrsstelle dar. Da er sich nicht ausgekannt habe, habe er immer Rücksprache mit der „VVSt“ gehalten und außerdem sei schon alles bestimmt gewesen, als er nach Krems gekommen sei: „Der bekommt das und der das, ich konnte gar nichts machen.“ Ganz im Widerspruch zu dieser Selbsteinschätzung heißt es in der Anklageschrift, daß Wolfs Handlungen „über den Rahmen einer normalen kommissarischen Leitung hinausgingen“.“ Aufgelistet werden die Erpressung von Unterschriften, Drohungen gegen Familienangehörige, Verfassung entstellter, beleidigender und haßerfüllter Berichte. Nach der Vernehmung notieren die Beamten über den Charakter von Wolf: „sanfter Typ (…) bei freundlicher Befragung und heftigen Vorwürfen gleichmäßig sanft und ruhig“. Dies lasse, so die Beamten, auf einen „süßlichen, hinterhältigen Charakter“ schließen.13 Um das Charakterbild Wolfs abzurunden, sollen einige Ausschnitte aus dem Verneh-mungsprotokoll mit Aussagen von Betroffenen verglichen werden und auf Wolfs „selbstkritische Einsichten“ seine Handlungen betreffend eingegangen werden. Felix Wolf bescheinigt sich selbst ein taktvolles Verhalten, da er der Familie Adler aus Geldverlegenheiten geholfen habe: „Ich habe noch, wie man es taktvoller Weise zu machen pflegt, dem Adler über Ersuchen, damit er zu Bargeld komme, Bücher um 70 oder 80 Schilling abgekauft und seiner Tochter über Ersuchen 50 Schilling etwa 14 Tage nach

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Die Belegschaft von Otto Adler (Mitte) im Jahr 1921

der Sperre geschenkt.““ Das ist freilich der Takt der Peiniger, die Geld verschenken, das gar nicht ihnen gehört. Die Tochter von Otto Adler hat diese „Großzügigkeit“ jedoch ganz anders in Erinnerung, da sie einige Male versucht hatte, von Wolf Geld zum Leben zu bekommen, „(…) was er aufs Entschiedenste verweigerte mit der Begründung, daß es ihn nicht interessiere, wovon wir leben und wir zu nichts Anspruch haben. Außerdem drohte er mir ständig, auch mich zu verhaften. Ein einziges Mal erhörte er meine Bitte und gab mir 20 RM, nachdem ich an Herrn Landesgerichtsrat (Name unleserlich, Anm. R. St.) appellierte.“ Im Fall des zweiten Betriebes, den Wolf übernahm, betonte er vor Gericht die freundliche Aufnahme durch Oskar Wolter. In einem Brief an die Vermögensverkehrsstelle urteilte Wolf Anfang 1939 über Wolter: „(…) Sie wissen selbst von diesem Kampfe, welchen wir alle durchzumachen hatten, bis es endlich gelang, diesen erbärmlichen Juden zu einem Vertrage zu bewegen und dieses war nur im Gefängnis möglich. Ich schweige von den dramatischen Vorgängen, welche sich damals abspielten.“ In der Vernehmung 1948 findet es Wolf dann doch selbst eine „Gemeinheit“, daß er von Wolter als „erbärmlichen Juden“ geschrieben habe. Er habe eben viel geschrieben, um seiner Dienststelle „gefällig zu sein“, meinte er in der Hauptverhandlung.“ Eine Entschuldigung für seine Haltung findet er letztlich in den Zeitumständen: „(…) im übrigen `hob mich und trug mich die Zeit‘.““ Die Naivität, die Wolf an den Tag legt, ist geradezu rührend: „Wenn ich darüber nachdenke, warum ich das alles gemacht habe, da dies ja sonst nicht meine Art war (…).“ Das Jahr 1938 legte eben viele Begabungen frei, die in Menschen schlummerten. Der Terrorstaat bot ein reichhaltiges Betätigungsfeld und erlaubte und förderte Gewaltmethoden zur Durchsetzung diverser Interessen.

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Das Geschäft von Otto Adler in der Dinstlstraße
Im Eckhaus befand sich auch das Geschäft von Arnold Kerpen

DER NUTZNIESSER

Wolf selbst profitierte nur mittelmäßig von dieser Arbeit, verhalf aber anderen zum Beispiel zu einem neuen Betrieb. Bezeichnend für die Arisierungen in Krems ist das Zu-sammenspiel von Bürokratie und Terror. Einer, dem Wolf half, seine Interessen durchzusetzen, war Hermann Geppert, der nach dem ` Anschluß“ Innungsmeister der Tischler in Krems geworden war, und für den die Tischlerei von Otto Adler bestimmt war. Laut Wolf sei der Name Geppert bereits in Wien gefallen und außerdem sei Geppert mit dem Leiter der Abteilung für die Holzfirmen der Vermögensverkehrsstelle, mit Kurt Steinbichler, befreundet gewesen. Hermann Geppert selbst schildert die Umstände, warum er den Betrieb von Otto Adler übernommen hatte, in einem Brief an den Verfasser: „Im Jahre 38 war ich Innungsmeister und habe zwangs-läufig in dieser Funktion den Betrieb nur vorübergehend übernehmen müssen. Mehr könnte ich Ihnen aussagen. Ich selbst habe diese Vorgänge abgelehnt, wollte nichts weiter damit zu tun haben.“19 In einem Interview präzisiert Hermann Geppert diese Zwangslage: „Da mußte ich über die Kreisleitung, ich mußte den Betrieb übernehmen. Da haben sie von Wien einen gehabt, einen gewissen Wolf, der hat das durchgeführt. Da waren wir aber nur einige Monate dort (im Betrieb von Otto Adler, Hohensteinstraße Nummer 14, Anm. R. St.), ich habe dann gesagt: `Nein, das mach‘ ich nicht.‘ Ich bin dann in mein Geschäft in der Herzogstraße zurück (…). Das war meine Arisierung.“‚ Sollten selbst die „Arisierer “ „Opfer“ gewesen sein? Auf die Frage, was er sich damals gedacht habe, als er erfuhr, daß Otto Adler seinen Betrieb aufgeben mußte, eingesperrt wurde und Krems verlassen mußte, gibt Geppert eine ausweichende Antwort: „Warum haben Sie das damals gemacht? Wer so fragt, der hätte damals leben sollen und es erfahren müssen, was die Parteileitung und die Kreisleitung für einen Druck ausgeübt hat, es war nicht so einfach, wenn du nicht mitgetan hast, dann warst du ein Gegner, aber ich habe ja Familie und Kinder gehabt, ich habe ein Geschäft aufbauen wollen (…).“21 Der Zwang der Kreisleitung wird kein so großer gewesen sein, da sich der Kreisleiter Hans Heinz Dum und Hermann Geppert seit langem kannten22 und es auch ideologisch keine Gegensätze geben konnte, da ja auch Geppert illegaler Parteigenosse gewesen war. Im „Stammbuch“ hatte Geppert als Eintrittsdatum das Jahr 1932 ausgefüllt, in der Vernehmung meint er, in diesem Jahr nur kurz bei der SA gewesen zu sein, sein Mitgliedsbuch erst 1942 bekommen zu haben. Gesinnungsmäßig habe er sich schon 1924 zur nationalsozialistischen Bewegung zugehörig gefühlt.‘ Von einer illegalen Arbeit für die Partei will Geppert jedoch nicht sprechen. Das Gegenteil kann aufgrund der Quellen nicht nachgewiesen werden, belegt ist jedoch der politische Spürsinn Gepperts, der sich im Febraur 1938, nach dem Berchtesgadener Abkommen, das auch die Freilassung von Nationalsozialisten vorsah, in Szene setzte und an der Spitze eines Demonstrationszuges mit den befreiten Häftlingen von der Strafanstalt Stein mit der Hakenkreuzfahne marschierte. In der Vernehmung 1948 gibt er dies zu. Ein Arbeiter in der Tischlerei Geppert war Augenzeuge dieser `Häftlingsbefreiung‘: „Ich seh‘ ihn heute noch marschieren mit der Sturmfahne, wie sie eingezogen sind im 38-er Jahr, beim Fackelzug, wie ein Räuberhauptmann.“24 Vor diesem Hintergrund war es sicherlich kein Zufall, daß gerade Geppert nach dem „Anschluß“ zum Innungsmeister bestellt wurde. Gegenüber den übrigen Tischlern pflegte Geppert seine angebliche oder tatsächliche „illegale“ Vergangenheit hervorzu-streichen. „Der Steiner und ich sind die einzigen Illegalen in Krems“, so trumpfte Geppert zum Beispiel gegenüber dem Tischler Norbert Czaczala auf.‘ Walter Steiner, SS-Mann 1938, hält in einem Interview die These vom Zwang zur „Arisierung“ für ein Gerücht: „Damals hat man mir angeboten, von der Volksbank war das, ich soll den Adler arisieren. Das hab‘ ich nicht gemacht. Das ist mir nicht gelegen. (…) da hätte man mich ja auch zwingen können, vielleicht hat man es ihm nahegelegt, von Zwang hat man da nicht sprechen können.`

EINE ZWISCHENBILANZ

Eine Zusammenfassung des bisherigen Wissensstandes scheint angebracht, um die einzelnen Aussagen in den notwendigen Kontext zu stellen. Wie an keinem anderen Fall kann hier gezeigt werden, wie notwendig es ist, sowohl die Makro- als auch die Mikrostrukturen (die politische und persönliche Geschichte) der Akteure zu kennen, um ihre Aussagen, ihre Sicht der Ereignisse, bewerten zu können. Felix Wolf liegt viel daran, seine Position, seine selbständigen Aktionen zu verschlei-ern. Hermann Geppert will nur unter dem Druck der Kreisleitung gehandelt haben und Walter Steiner behauptet, daß „Arisierungen“ nicht sein Fall gewesen seien. Die Zitate aus Briefen von Wolf und aus der Konfrontation mit Aussagen der Tochter von Otto Adler haben den Charakter Wolfs gezeigt. Die persönliche Geschichte Gepperts rückten die These von der ungewollten „Arisierung“ in den Bereich österreichischer Vergangenheitsbewältigung. Und was alles tatsächlich Steiners Fall gewesen ist, müßte noch im Zusammenhang mit dem Kriegsende erläutert werden.27

DER GORDISCHE KNOTEN DER GESCHICHTE

Die unmittelbaren Ereignisse der Übernahme der Tischlerei Adler geben ein Beispiel dafür, wie Ereignisse nach 1945 die Sicht der Dinge nachträglich beeinflussen können, in welchem Wirrwarr mit den unglaublichsten Koalitionen der Kampf um die Wahrheit und die Klärung der Frage nach der Schuld bei den Volksgerichtsprozessen ausgetragen wurden. Ein gordischer Knoten der Geschichte, dessen Lösung nicht mit einem Schlag, im Sinne von Schwarzweißlösungen erfolgen kann, sondern bestenfalls in der Auflösung der einzelnen Handlungsstricke zu feinen Fäden bestehen kann. Beginnen wir mit diesem Entwirrspiel, das sein Material aus den Ergebnissen der Untersuchung für einen geplanten Volksgerichtsprozeß28 gegen Hermann Geppert bezieht. Am Ende, so glaube ich, wird ein Lehrstück österreichischer Vergangenheitsbewältigung, eine Farce, in der auch Mitglieder der KPÖ, die im Widerstand gekämpft hatten, verwickelt waren, übrigbleiben. Bei den Zeugenaussagen über die Ereignisse im Sommer 1938 in der Tischlerei Otto Adler sind zwei Gruppen von Arbeitern zu unterscheiden: jene, die bereits seit den zwanziger Jahren bei Adler gearbeitet hatten (dazu zählen: Franz Steininger, Johann Bauer und Ludwig Pfeffer) und jene, die bei Hermann Geppert beschäftigt waren. In den drei genannten Protokollen findet sich eine detaillierte Schilderung der „Machtübernahme“ im Betrieb von Otto Adler. Demnach soll Geppert mit einem Mann von der DAF (Deutsche Arbeitsfront) Ende Mai 1938 in den Betrieb von Otto Adler gekommen sein, wobei Geppert die Arbeiter aufgefordert haben soll, die Arbeit einzustellen?‘ Bei dem Mann von der Deutschen Arbeitsfront handelte es sich um Anton Schlixbier. Es muß wohl nicht extra betont werden, daß im Prozeß gegen Schlixbier diese Aktivität keine Rolle gespielt hat. Schlixbier schildert seine Tätigkeit als hauptamtlicher Kreisamtsleiter der DAF als Serviceleistung für verschiedene Fachgruppen hinsichtlich Ver-pflegung und Urlaub. Schulungen habe er nur gezwungenermaßen gemacht.“ Da Ludwig Pfeffer, an den Geppert das Ansinnen der Arbeitseinstellung richtete, meinte, er müsse erst den Betriebsrat fragen, stellte Geppert ein Ultimatum: noch am selben Abend sollte eine Delegation im Haus der DAF Bescheid sagen, wie sich die Belegschaft entschieden habe. Als Geppert am Abend hören mußte, daß die Arbeiter sich weigerten, die Arbeit niederzulegen, da sie bisher mit ihrem Chef zufrieden gewesen seien, schrie der Innungsmeister: „Wollt ihr euch das Blut von diesem Juden noch länger aussaugen lassen?“ In der Vernehmung entschuldigt sich Geppert ähnlich wie Wolf, er bestreitet die Aussage nicht, meint jedoch, er wäre halt auch ein bißchen radikalisiert gewesen.31 Unklar bleibt nun, ob bei diesem ersten Versuch der Arisierung bereits Felix Wolf anwesend war. Dies wäre nicht unbedeutend, da es als Zeichen für eine besondere Aktivität Gepperts gelten müßte, hätte er noch vor dem Eintreffen des kommissarischen Verwalters Schritte zur Arisierung des Betriebes von Otto Adler eingeleitet. Die Arbeiter Pfeffer und Bauer sprechen nur von Geppert und Schlixbier. Franz Steininger erwähnt auch einen ihm unbekannten Mann. Nach diesem Versuch soll im Betrieb von Adler weitergearbeitet worden sein, bis dann Felix Wolf auftauchte. Die erste Visite bei Adler leistete Wolf mit zwei SA-Männern ab, die ihm der Kreisleiter beigestellt habe, „zur Schaffung eines größeren repräsentativen Eindrucks.“32 Einer der beiden, der „draußen“ Posten stehen „mußte“, „während der Geppert drinnen arisiert hat“, war Walter Steiner.33 Der Lehrbub Eduard Kral hat das Auftauchen der SA-Männer in der Werkstatt von Adler miterlebt und erinnert sich: „Eines Tages, es wird so acht Uhr gewesen sein, ist der Chef gekommen, die Kanzlei ist herunten gewesen. Er kommt, wir sehen aber, daß einige hereinkommen. Das war Walter Steiner, einer aus der Austraße, der nachher in der Hütte gearbeitet hat, und der Glaserer Herz aus Mautern. Jeder einen riesigen Prügel umgehängt. Der Otto (Adler, Anm. R. St.) kommt herein, da stürzen die schon auf ihn, reißen ihm gleich die Schlüssel aus der Hand und haben gleich alles in Beschlag genommen. Damit war die Zeit des Otto Adler beendet. Die haben ihn dann mitgenommen, dann habe ich ihn nicht mehr gesehen.` An diesem Mittwoch, dem 1. Juni, wird die Fabrik von Otto Adler geschlossen. Zwei Tage später marschieren die Arbeiter „geschlossen“ zum Haus der DAF und protestieren gegen die Schließung der Fabrik, da sie „für die vergangene Woche keinen Gehalt erhalten haben.“35 Am folgenden Samstag versammelten sich die Arbeiter in der Fabrik. Anwesend waren auch Felix Wolf und Hermann Geppert. Da sich Adler weigerte, Wolf und Geppert in den Betrieb einzulassen, rief Wolf die SS. Der Betrieb blieb weiter gesperrt und erst am 6. oder 7. Juni begannen die Arbeiter unter ihrem neuen Chef Hermann Geppert wieder zu arbeiten. Soweit die Darstellung aufgrund der Zeugenaussagen von Arbeitern, die bei Adler gearbeitet hatten. Im Akt Geppert finden sich hingegen auch eine Reihe von Bestätigungen

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Fritz Nemschitz und Herta Adler
als Biedermeierpärchen

und Erklärungen von Arbeitern und Angestellten von Geppert, die ihrem Chef ein freundlicheres Zeugnis ausstellen. Auf den ersten Blick ergibt dies unter anderem eine unerwartete Koalition zwischen ehemaligen Kommunisten und einem illegalen Nationalsozialisten, der einen jüdischen Betrieb „arisiert“ hatte. Bei einer genauen Sichtung der Erklärungen, die alle rund um den 30. Jänner 1948 verfaßt wurden, wird die „Arisierung“ nicht erwähnt, sondern lediglich anhand einer Reihe von Beispielen die Menschlichkeit Gepperts demonstriert. Fest steht zum Beispiel, daß Hermann Geppert tatsächlich für die verhafteten kommunistischen Widerstandskämpfer Franz Zeller und Johann Hoffmann, die hingerichtet wurden, sowie für den Kommunisten Alois Zeller bei der Gestapo interveniert hat. Der Arbeiter Alois Hane lobt wiederum die Toleranz Gepperts, der genau die „gegnerische Einstellung von so vielen seiner Arbeiter kannte und wie ein väterlicher Freund zu uns gestanden ist.“36 Josef Mayer gibt an, daß er von Geppert aus dem Gefängnis geholt wurde, nachdem er verhaftet worden sei, weil er bei Bauern für Lebensmittel gearbeitet hatte.“ Mitzi Krautgartner hat es, nach eigenen Angaben, Gepperts Eintreten zu verdanken, daß sie als Halbjüdin trotzdem bei ihm weiterarbeiten durfte, obwohl die Kreisleitung dies verboten hatte.38 Interessant in diesem Zusammenhang ist die Art und Weise, in der Johann Zeller, der Bruder des hingerichteten Franz Zeller, seinen Arbeitsbeginn bei Hermann Geppert schildert: „Der Steiner Bua (Walter Steiner Anm. R. St.), der Mords-Nazi, hat mich

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Herta Adler bei ihrer Hochzeit
in den fünfziger Jahren in England

angefordert als Tischler. Zum Glück bin ich mit Krampfadern im Spital gelegen. Dann ist der Pfeffer zu mir kommen und hat gesagt: `Komm zu uns, komm zum Geppert‘. Da bin ich zum Geppert gekommen. Der Geppert hat im 38-er Jahr den Betrieb vom Pichler übernommen. Der Pichler, des war a Schwarzer, de Nazi ham sein Betrieb übernommen.“39 Ob es Zufall ist, daß Johann Zeller vergißt, daß Geppert nicht Pichlers Tischlerei, sondern jene Otto Adlers arisiert hat, der die Tischlerei von Leopoldine Pichler in Pacht hatte? Dies mag Vergeßlichkeit sein, Johann Zeller hat bei Geppert zu arbeiten angefangen, als dieser den Adler-Betrieb bereits „arisiert“ hatte. Ein Grund für die „Vergeßlichkeit“ mag in den Ereignissen im Jahr 1945 zu suchen sein, als der Werkmeister von Hermann Geppert, ein Arbeiter namens Rudolf Zeplichal, plötzlich als öffentlicher Verwalter des Geppert-Betriebes auftrat, nachdem Geppert in den Westen geflohen war. Rudolf Zeplichal hatte sich im Mai 1945 in die KPÖ „eingeschlichen“, wie es Johann Zeller nennt. „Das war kein Kommunist. Der hat zum Beispiel die Gefangenen geohrfeigt, während des Kriages, das hab ich selber gesehen.` In den zitierten Erklärungen von Arbeitern bei Geppert werden noch eine Reihe von anderen Beispielen von Zeplichal s de-nunziatorischem Verhalten angeführt. So hatte Zeplichal Alois Hane als Saboteur hingestellt. Dies war nun keineswegs eine leichte Anschuldigung, denn seit Oktober 1944 produzierte die Firma Geppert für die Firma Heinkel Flugzeugteile. Hermann Geppert zu dieser Rüstungsproduktion: „Wir haben Kleinflugzeuge, den Korpus und die Flügel gemacht, das war für einen Mann gedacht.“ Die Denunziation durch Zeplichal42 führte sogar zu einer Parteiuntersuchung, wobei der Arbeiter Hane jedoch freigesprochen wurde. Josef Mayer wurde von Zeplichal ebenfalls der Sabotage bezichtigt und „vor allen Leuten im Büro als nachlässiger Handarbeiter hingestellt, der gerade jetzt beim totalen Einsatz versage.“ 43 Für Rudolf Zeplichal bedeutete die Anzeige gegen Hermann Geppert und das besonders forsche Auftreten gegen Nationalsozialisten die einzige Möglichkeit, um von seiner eigenen Person abzulenken, den Posten als öffentlicher Verwalter zu behalten, denn nicht jeden konnte er mit Holz bestechen, wie er dies bei Josef Mayer versucht hatte.‘ Die Erklärungen der Arbeiter für Geppert sind nun als Kampf gegen den öffentlichen Verwalter zu werten. Johann Zeller gibt zu, daß er von Geppert ersucht worden sei, ihm zu helfen. „Der Hermann und ich, wir waren wie Freunde, obwohl er gewußt hat, wer ich bin und wo ich steh.“45 Johann Zeller sichert Geppert seine Unterstützung bei der russischen Kommandantur zu. Geppert dazu: „Die Russen haben mir das Geschäft zurückgegeben, die haben gesagt, man kann diesem Mann die Vorwürfe nicht machen.“46 Tragische Koalitionen, die menschlich verständlich sind. Wiegt die Unterstützung für inhaftierte Kommunisten eine „Arisierung“ auf? Eine österreichische Rechnung!? Gleichzeitig zeigt dieses Intrigenspiel von und gegen Rudlof Zeplichal auch die wirre Nach-kriegssituation, in der das Verhältnis zwischen KPÖ, öffentlichen Verwaltern, die sich als Kommunisten ausgaben und der sowjetischen Besatzungsmacht nicht so klar war, wie dies gemeinhin angenommen wird.

DIE „BANALE“ LÖSUNG DES RÄTSELS

Nach dem offiziell genehmigten Raub durch Hermann Geppert wurde Otto Adler in Haft genommen. Der Grund soll, laut Wolf, ein Brief der geschiedenen Frau Adlers gewesen sein, in dem diese ihren Exgatten gebeten hatte, bei einem Verkauf der Firma auch ihr Geld zu schicken.47 Dies war selbstverständlich ein willkommener Vorwand, um Adler einzu-sperren und gefügig zu machen. Bereits am 11. Juni 1938 verkaufte Felix Wolf an Hermann Geppert das Holzlager Adlers um 10.874,73 RM. Der Schwiegersohn Otto Adlers erinnert sich, daß die Aktiva und Passiva solange „frisiert“ wurden, bis sie einander die Waage hielten. „Als dann die Wiener Filiale hervorkam (ein Möbellager, das Felix Wolf erst nach Wochen entdeckte Anm. R.St.), wurde der ganze Vorgang neuerlich wiederholt, um dieses Kapital von ca. 12.000 Schilling unterzubringen.“ Im August 1948 wurde zur Prüfung des Vorwurfes, Hermann Geppert habe sich im Sinne des Kriegsverbrechergesetzes bereichert, ein Sachverständiger beauftragt, aufgrund der vorhandenen Unterlagen den Wert des Unternehmens von Otto Adler zu schätzen. Ing. Rudolf Vogl kommt zum Schluß, daß der Wert des Untenehmens mit rund 13.000 Reichsmark zu veranschlagen ist, merkt aber an, daß noch einige Schulden einzurechnen seien. („Die Dubiosa sind nach der Annexion sicherlich größer geworden“.) Sofern Geppert nachweisen könne, daß er 12.600 RM bezahlt habe, so Vogl, könne von einer mißbräuchlichen Bereicherung nicht gesprochen werden. In diesem Gutachten stellt Geppert überhaupt in Abrede, den Betrieb „arisiert“ zu haben, er habe lediglich das Warenlager von Adler übernommen. Den Einwand, den der Sachverständige selbst niederschreibt, daß einige Posten der zugrundeliegenden „Schätzpreise der damaliger Gerichtssachverständigen“ als niedrig zu bezeichnen sind, wischt er im selben Satz beiseite, da es sich wahrscheinlich um minderwertige oder schadhafte Waren gehandelt habe 48 Unter welchen Bedingungen der Verkauf abgewickelt wurde – daß Otto Adler zu dieser Zeit in Haft war – berücksichtigt der Sachverständige nicht. Da sich Adler weigerte, einem Verkauf zuzustimmen, klärte ihn Wolf erpresserisch darüber auf, daß seine Freilassung von der Unterschrift abhängig gemacht werde. 49 Oskar Wolter sieht in der Behandlung Adlers eine Parallele zu seinem Fall: „Adler hat auch unterschrieben, da er seine Tochter, die kurz vor der Abreise nach England stand, nochmals sehen wollte.“50 Ein scheinbar entlastendes Indiz für Gepperts Behauptung, daß er die „Arisierung“ nur aus „Zwang“ durchgeführt habe, ist in der kurzen Frist zu sehen, in der er den Betrieb führte. Karl Wimmer stellt in einem Brief an den Verfasser fest, daß er die Tischlerei im Jahre 1939 von Leopoldine Pichler gepachtet und später gekauft habe. In den Akten des Bürckel-Archives befindet sich allerdings ein Briefwechsel, der die wahren Gründe für die kurze Geschäftsführung Gepperts offenlegt. Bedenken gegen die Behandlung von Adler haben Geppert jedenfalls nicht so geplagt, daß er den Betrieb deshalb zurückgelegt hätte. Der Grund für das kurze Gastspiel Gepperts in der Hohen-steinstraße lag vielmehr im Streit über den Pachtzins an Leopoldine Pichler für den Betrieb. Aus den Schreiben des Gauwirtschaftsberaters Pg. Ing. Heinz Birthelmer zwischen Oktober 1939 und Jänner 1939 geht hervor, daß es über die Höhe des Pachtzinses zu einem Streit zwischen der „72jährigen Parteigenossin Frau Leopoldine Pichler“ und Pg. Hermann Geppert gekommen war, wobei, wie er schreibt, es sich bei beiden um „äußerst hartnäckige Gegner handelte.““ Im Brief vom 4.1.1939 schreibt der Gauwirtschaftsberater über diesen Streit: „Als Nachfolger des jüdischen Pächters scheint derzeit Pg. Hermann Geppert (….) auf. Es ist jedoch zu keiner Änderung des Pachtschil-lings gekommen, sondern weigert sich Geppert allen Stellen gegenüber, in irgendeiner Weise höhere Pachtbeträge zu zahlen. Dagegen ist besonders festzustellen, daß der Betrieb wesentlich stärker ausgenützt wird, als bisher zur Zeit der Inanspruchnahme durch den Juden. Die Abnützungsquote ist daher unvergleichlich größer und steht in keinem Vergleich mit dem Betrag. (…) Der Nationalsozialismus besteht nicht darin, einseitig Vorteile zu vergeben ….“52 Im Jänner 1939 kam es zu einer Einigung, die sich bereits im November 1938 abgezeichnet hatte, als Frau Leopoldine Pichler dem Gauwirtschaftsbe-rater mitgeteilt hatte, daß ihr ein „Aufgeben der Werkstätte von Seiten Gepperts (…) sehr angenehm wäre.“53

ANMERKUNGEN

1 Hans Safrian, Hans Witek: Und keiner war dabei. Dokumente des alltäglichen Antisemitismus in Wien 1938. Wien 1988
2 Gerhard Botz: Stufen der Ausgliederung der Juden aus der Gesellschaft. Die österreichischen Juden vom „Anschluß“ zum „Holocaust“. In: Zeitgeschichte (H.9/10) 1987. S.359
3 Hannelore Hruschka. Die Juden in Krems. Bd.2. S.234
4 Vg 13b Vr 2650/45 gegen Felix Wolf. Zeugenvemehmung vom 7.2.1946
5 Ebd. Hauptverhandlung vom 26.6.1949
6 Ebd. Vernehmung des Beschuldigten vom 24.5.1945
7 Siehe Amn. 4
8 Siehe Anm. 5
9 Siehe Anm. 4. Zeugenaussage von Oskar Wolter sen. vom 21.12.1945
10 Siehe Anm. 5
11 Siehe Anm. 4. Schreiben von Felix Wolf an Leopoldine Pichler vom 30.5.1938
12 Ebd. Anklageschrift vom 14.1.1949
13 Siehe Anm. 6
14 Ebd.
15 Siehe Anm. 4. Herta Skrow. Brief an das Landesgericht vom 24.6.1946
16 Siehe Anm. 12
17 Siehe Anm. 5
18 Siehe Anm. 6
19 Hermann Geppert. Brief an den Verfasser vom 2.8.1985
20 Hermann Geppert. Gesprächsnotiz vom 6.8.1985
21 Ebd.
22 Siehe Anm. 4. Zeugenaussage von Hans Heinz Dum vom 26.8.1947
23 Vg 4d Vr 2650/45. Vernehmung des Beschuldigten vom 15.11.1945
24 Eduard Figel. Interview am 17.2.1985
25 Siehe Anm. 23. Protokoll aufgenommen mit Norbert Czaczala und Alois Swoboda am 2.9.1945.
26 Walter Steiner. Interview am 30.7.1985
27 Walter Steiner erschoß bei der Verhaftung von Widerstandskämpfern im kleinen Ort Wolfenreith in der Nähe von Krems im April 1945 einen griechischen Häftling. Siehe Vg lb Vr 2469/45 gegen Walter Steiner, Robert Stiegler und Franz Moitzi.
28 Die Untersuchungen wurden eingestellt, es kam nie zu einer Volksgerichtsverhandlung
29 Siehe Anm. 23. Niederschrift vom 30.1.1947
30 Vg ld Vr 5031/46 gegen Anton Schlixbier. Hauptverhandlung vom 10.4.1947
31 Siehe Anm. 5
32 Siehe Anm. 29
33 Siehe Anm. 6
34 Eduard Kral. Interview
35 Siehe Anm. 23
36 Siehe Anm. 23. Erklärung von Alois Hane. vom 26.1.1948
37 Ebd. Erklärung von Josef Mayer vom 1.2.1948
38 Erklärung von Mitzi Krautgartner ohne Datum
39 Johann Zeller. Interview am 18.2.1984
40 Ebd.
41 Siehe Anm. 23. Bericht über den Nationalsozialisten Hermann Geppert von Rudolf Zeplichal. Laut Johann Zeller hat dies aber nie funktioniert.
42 Siehe Anm. 19
43 Siehe Anm. 37
44 Ebd.
45 Siehe Anm. 19
46 Siehe Anm. 39
47 Siehe Anm. 6
48 Ebd. Sachverständigengutachten vom 14.8.1948
49 Siehe Anm. 4. Urteil gegen Felix Wolf vom 26.6.1949
50 Ebd. Niederschrift aufgenommen mit Oskar Wolter sen. am 12.6.1946.
51 AVA. Bürckel-Bestand/Personenregistratur. K 68 0 139
52 Ebd. Brief des Gauwirtschaftsberaters an den Reichskommissar vom 4.1.1939
53 Siehe Anm 57. Brief von Leopoldine Pichler an den Gauwirtschaftsberater vom 22.11.38