Ö1 Bericht über das Projekt in Sittendorf

Ö1 Radio-Beitrag Lager in Sittendorf Sendung „Moment. Leben. Heute “ 20.6.2007 Gestaltet von Natasa Konopitzky

(Zeitzeugin Stefanie Kalchner): „Ich weiß nur, dass wir eine schöne Zeit verlebt haben und kein, es war eigentlich nie irgendwas was, wo wir gesagt hätten, ich nimmermehr hin, weil es mir nicht gefällt oder was, im Gegenteil. „

Die Autobahn, Hitler und Sittendorf ˆ ein Erinnerungsprojekt

1938 wurde, nahe bei Wien, im Niederösterreichischen Sittendorf, ein Barackenlager errichtet – die Nazis begannen mit dem Bau der Reichsautobahn. Österreichische Arbeiter hat man dort nur kurze Zeit untergebracht, bald wurden Kriegsgefangene interniert und andere Menschen, die die Nazis einsperrten.

(Ältere Dame): „Es ist immer interessant, zu hören, wenn die lokale Bevölkerung etwas dagegen tut, gegen die braune Kruste. “

Jetzt 2007 wird im Rahmen des Viertelfestivals Niederösterreich-Projekt: „Geblieben ist dann nur die Autobahn? “ in Sittendorf ein Erinnerungsort für das Barackenlager geschaffen. Am 8. September ist die Eröffnung. Begehbar ist das Lager schon jetzt ˆ Natasha Knopitzki war dort.

S.K.: „Da ist ein großer Herd gestanden und da war ein Koch auch. Der hat sich ausgegeben damals als Koch, aber können hat er nicht viel (lacht). Da haben wir Powidl Dadschgerl gemacht mit Kartoffelteig. Und da haben halt die Frauen mitgeholfen. “

19 Jahre war Stefanie Kalchner, als sie in der Küche des Zwangsarbeitslagers Sittendorf zu arbeiten begann. Heute ist sie 84 Jahre alt. Sie zeigt uns ein Photo von damals. 5 Frauen stehen eng beieinander auf einer Holzbaracke. Sie tragen alle Arbeitskittel und dicke Strümpfe. An den Füßen schwarze flache Schnürstiefel, den Kopf mit einem Tuch bedeckt. In der Mitte Stefanie Kalchner. Zur Erinnerung ˆ April 1942 steht hinten drauf. Ein Photo aufgenommen mitten im Krieg, im Arbeitslager. Die Sonne scheint, die fünf Frauen wirken fröhlich.

S.K.: „Die Gefangenen, die haben gekriegt, im Kessel gekocht. Also da war viel Trockengemüse. Wie im Frühjahr der Bärlauch war, na da haben sie Spinat gekriegt. Da sind sie raus gegangen, da ist schon ein Bewacher mitgegangen, und haben so zwei so Gemüsestängel, oder drei, haben sie gepflückt, nicht? Der Spinat war das, was frisch war, und die Kartoffeln. Kartoffeln, die sind jeden Tag gekocht worden. “

Sie hat auch noch eine Postkarte vom Lager. Sie ist die einzige noch lebende Zeitzeugin. Auf der Postkarte steht: Reichsautobahnlager Sittendorf, Gau Wien. Etwa sechs dunkle Holzbaracken unterschiedlicher Größe sieht man darauf. An einem leicht abschüssigen Hang, dahinter dichter Wald. 16. Juni 2007. Fast 70 Jahre nach der Erbauung des Barackenlagers wandern an die 20 Sittendorfer über das fussballfeldgroße Areal. Ein verwildertes Waldstück.

(Robert Streibel): „Wir können jetzt noch weitergehen, dann sehen sie da noch die anderen zwei. Bei jedem Rauchfang gibt‚s die große Öffnung hier, wo geheizt wird und dann noch Abzuglöcher auf jeder Seite. “

Vier Schornsteine sind erhalten, drei davon stehen, einer liegt am Boden. Eine Familie hatte nach dem Krieg versucht, Ziegel heraus zuschlagen ˆ vergeblich. Rahmen des österreichischen Viertelfestivals wird hier ein Erinnerungsort geschaffen. Das Gelände soll möglichst unverändert bleiben, nur leichter zugänglich werden. Die Schornsteine dienen als Ausstellungsvitrinen. Der Prozess, einen Gedenkort für das Lager Sittendorf zu schaffen setze 1986 ein, nach der Wahl von Kurt Waltheim zum Bundespräsidenten und der Diskussion der Nationalsozialistischen Vergangenheit Österreichs.

(Frau): „Es gibt Sittendorfer, die sagen es ist notwendig, dass das jetzt einmal aufgearbeitet wird, und das wir drüber schreiben. Es gibt Sittendorfer, die eine Abwehrhaltung haben und sagen: Wir können nix dafür. Die jüngste Meldung, die ich gehört habe, die war von einer Dame, die so um die 60 ist, die hat gesagt: Wir haben jetzt 30 Jahre und mehr nur aufgearbeitet, irgendwann muss Ruhe sein! “

(Mann): „Er hat ja doch die Autobahn gebaut, er hat uns Jobs besorgtΣ das ist vor einigen Wochen noch gesagt worden. Wir waren damals sehr arm, der Hitler hat uns wenigstens Jobs gebracht und es haben alle etwas zum Essen gehabt. “

Bei der Begehung des Terrains sind alle dabei: Bürgermeister, Vizebürgermeister, ehemalige Vizebürgermeisterin und diverse Vereinsobmänner. Das ist das ungewöhnliche an Sittendorf. Die Initiative zur Aufarbeitung der Nationalsozialistischen Vergangenheit ist von der Gemeinde selbst ausgegangen. Der Anlass war ein Heimatbuch, das geschrieben werden sollte. Vor etwa zehn Jahren war das. Man wollte die Geschichte der Gemeinde Wienerwald, zu der auch Sittendorf gehört, niederschreiben, und dabei die Zeit des 2. Weltkrieges nicht auslassen. Den Beitrag über das Sittendorfer Zwangarbeitslager recherchierte und schrieb Robert Streibel, Historiker und Direktor der Volkshochschule Wien Hietzing. Er war verblüfft, dass die Gemeinde aus eigener Initiative bei ihm angefragt hat.

RS: „Ich bin jetzt so eigentlich 20 Jahre in dem Bereich tätig, als Historiker und mit Erinnerungsarbeit beschäftigt, und hab schon die vielfältigsten Reaktionen erlebt. Es gibt das Beispiel in Hadersdorf, wo 61 Leute erschossen wurden, wo der Bürgermeister sich mit Händen und Füßen wehrt, dass es hier eine entsprechende Gedenktafel gibt, das die Namen genannt werden. “

Die Zeitzeugen sterben aus, vor allem wenn es um so kleine Orte wie Sittendorf geht, wo nur wenige schriftliche Aufzeichnungen existieren, ist man auf sie, die Zeitzeugen, angewiesen. Zeugen, die den Bau des Reichsautobahnlagers verfolgten.

Alte Tonaufnahme: „Es ist früher besonders über Verkehrprobleme sehr viel geredet worden “ ˆ Adolf Hitler am 7. April 1938. Der Anlass: Spatenstich zum Bau der Reichsautobahn Wien-Salburg in Walserberg. (Radiosprecher): „Und nun verlässt der Führer die Rednerkanzel und begibt sich an die Spitze der neu eingestellten Arbeiter für die Reichsautobahn und das gellende PfeifenΣ. “

Die Autobahn war ein Prestigeprojekt des 3. Reiches, Adolf Hitler war jedoch, entgegen der landläufigen Meinung, nicht er Erfinder der Autobahn. Es ist vielmehr seine Propaganda, die bis heute wirkt. In Österreich wurden zwar viele Strecken drassiert fertig gestellt wurden dagegen nur 16,8 km. Das die zwei gerne genannten „Pluspunkte “ des Nationalsozialistischen Regimes: Autobahn und Wirtschaftsaufschwung nicht stimmen, wird am Beispiel Sittendorf anschaulich. Das Lager, das für die Autobahn, errichtet wurde, diente bald anderen Zwecken. Der Autobahnbau wurde 1941/42 eingestellt. Keine Autobahn, kein Wirtschaftsaufschwung, sondern Krieg und Hunger. Bis in die 70er Jahre hinauf spielten noch Kinder auf der heutigen Allander Autobahn. Erst danach wurde Sittendorf an die Zivilisation angeschlossen, wie es im Dorf heißt. Das Zwangsarbeitslager in Sittendorf war nur eines von vielen. Ein sehr engmaschiges Lagernetz überzog Österreich in den Zeiten des Nationalsozialismus. Im Lager Sittendorf waren 30 Menschen als Wachpersonal für etwa 100-200 Häftling beschäftigt, erzählt Stefanie Kalcher. Sie hat von 1942 bis 1944 als Köchin dort gearbeitet. Die Bewacher seien angenehme Menschen gewesen, glaubt sie sich zu erinnern:

„Die waren harmlos, die haben kein Gewehr gehabt, oder was. Vielleicht haben sie einen Revolver gehabt, des hat man nicht gesehen. Aber da hat es keine Gewalt gegeben, also des war so eine Art wie Polizist, ne? Weil eine Uniform haben sie angehabt. “

Stefanie Kalchner hat nur positive Erinnerungen an die Zeit, auch an den Lagerführer, den so genannten „Herrn Kment „.

„Ja, der war eh prima, so ein gemütlicher Wiener, mit einem Wort. “

Zuerst waren Hilfsarbeiter aus Wien gegen Bezahlung am Autobahnbau beschäftigt. Ab Kriegsbeginn sollen auch Juden und französische Kriegsgefangene zur Arbeit herangezogen worden sein. Bereits im Morgengrauen, als sie zur Arbeit ausrückten, war das Klacken der Holzschuhe im Ort zu hören. Nach Einstellung der Arbeiten an der Autobahn waren dann serbische Zivilinternierte als Zwangsarbeiter im Lager.

„Also ich kann nicht sagen, dass die schlecht behandelt worden sind. Kann ich nichts sagen. Und dann haben wir, als die Serben gekommen sind, dann haben wir den, Ladi hat er geheißen, der war in der Küche, als Helfer. Mit dem haben wir uns ganz gut unterhalten. Der war Frisör von Beruf, ja der war, der hat immer gesagt: Steffi, fest bürsten die Haare, fest bürsten – ich hab schon viel Haar gehabt ˆ fest bürsten. Der hat immer geschaut auf uns. Ja, Schneider war auch, ein Schneider, der haben wir was gegeben zum Umändern, wir haben ja auch nichts gehabt, Stoffe, haben wir ja nichts gekriegt. Aber der hat uns umgeändert, dem haben wie ein bisschen was gegeben, ne. “

Ab 1942 wurden die Gefangenen ˆ so wurden sie genannt ˆ für Arbeiten im Ort eingesetzt. Sie waren zum Großteil Zivilisten aus Serbien, die von der Deutschen Wehrmacht verhaftet worden waren, um sie als Zwangsarbeiter zu deportieren. 1944 hat es auf dem Gebiet des heutigen Österreich etwa 1 Mio. ausländische Zwangsarbeiter gegeben. Diese wurden flächendeckend eingesetzt. Es gab sie in jedem Dorf. Ein Teil davon war, wie etwa in Sittendorf, in einem Lager untergebracht, andere direkt auf Bauernhöfen. Dort waren sie der Willkür der Menschen ausgesetzt.

„Der Lehrer und der Arzt, die sind auf viel Berg gegangen, da haben sie in einem Bauernhaus des war von unserer Freundin, haben sie einen Franzosen gehabt, der hat bei uns wieder gemäht mit der Maschine. “

Auf den Einwurf, dass die Gefangenen Zwangsarbeiter waren, die gegen ihren Willen verschleppt worden waren und praktisch keine Rechte hatten, entgegnet Stefanie Kalcher:

„Die haben das auch nicht so empfunden, das es soΣ uns gegenüber haben sie das nicht empfunden. Ich weiß nur, dass wir eine schöne Zeit verlebt haben. “

Das die Zwangsarbeiter oft nicht unbedingt schöne Zeiten verlebt haben, geht aus den Aussagen des verstorbenen Zeitzeugen, Joseph Kaiser hervor:

„Die oben, der Lagerführer samt dem ganzen Kreis da, mein Gott na, die haben gefeiert und die haben sie verhungern lassen. “

Es gab auch Opfer unter den serbischen Zwangsarbeitern, namentlich bekannt sind nur 17, sie wurden 1942 am Friedhof in Sittendorf begraben. Zeugenaussagen deuten darauf hin, dass es viel mehr gewesen sind.

„Das war ja furchtbar, dort haben sie alle Tage ˆ sagen wir ˆ drei, viere sind gestorben alle Tag‚. Die ganze Mauer am Friedhof waren nur Serbengräber. “

Es gibt keine Aufzeichnungen dazu. Viele Kranke sind an Hungertyphus gestorben.

S.K.: „Dann haben wir noch eine Partie gekriegt, sie sind vom Handelskai ? gekommen und die haben den Typhus hergebracht. Es hat nur geheißen wir kriegen von an Handelskai ? so ˆ für eine Erholung, arbeiten können die nix. “

Ob die Arbeiter bereits krank gekommen sind, oder aufgrund der schlechten Versorgung erkrankt sind, ist nicht geklärt. Es gibt Dokumente die den Rücktransport von etwa 70 arbeitsunfähigen Serben von Sittendorf nach Serbien belegen. Diese wurden in Belgrad erschossen. Und was hält Stefanie Kalcher von der Gedenkstätte, die gerade im Ort errichtet wird?

„Na ja, wenn es eine Gedenkstätte machen, na ja, bitte. Es war da, nicht? Es kann ja weiterleben. “

Ein Bericht von Natascha Knopitzki, Sprecherin: Nicole Dietrich